© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/99 16. April 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Kriegsgewinnler
Karl Heinzen

Einer demokratischen Ordnung ist mit verantwortungsbewußten Politikern, die eine unverantwortliche Politik betreiben, besser gedient als mit verantwortungslosem Personal, das sich die Fessel des Verantwortungsdenkens anlegt: Insofern hat die Kosovo-Krise dem Bonner Regierungswechsel von 1998 jenen Sinn zukommen lassen, an den nach den ersten 100 Tagen des rot-grünen Bündnisses schon niemand mehr glauben wollte. Nun ist Gerhard Schröder ganz ohne Ermächtigungsgesetz zum ersten demokratisch legitimierten Kriegskanzler der deutschen Geschichte avanciert und mit einem Luftstreich aus dem Schatten eines Vorgängers getreten, der aufgrund seines Jugendtraumas alles, sogar die eigene Währung, einem fragwürdigen Frieden zu opfern bereit war.

Das für Deutschland so unerfreuliche Jahrhundert findet damit einen versöhnlichen Ausklang. Es ist also doch noch möglich, vor der eigenen Haustür einen Krieg zu führen, von dem die deutsche Bevölkerung nicht bereits aus dem Nachthimmel, sondern erst im Frühstücksfernsehen erfährt, einen Krieg, in dem sich das Vertrauen und die Freundschaft bewähren, die über ein halbes Jahrhundert zwischen den Feinden von einst angestaut wurden. Es wäre unredlich, wollte die Regierung die Ereignisse in Jugoslawien zu einer bloß generellen Stimmungsmache mißbrauchen und sie nicht zu den großen Reformprojekten unserer Zeit in Beziehung setzen. Die Menschen haben ein Recht darauf, zu erfahren, mit welchem Einstellungswandel sie vielleicht den komplizierten Problemen auf dem Balkan gerecht werden könnten. Ist es beispielsweise vorstellbar, daß es nach dem Kosovo noch ein zweites Hessen gibt? Kein Mensch mit dem Herz auf dem rechten Fleck und einem Mindesmaß an historischem Verstand wird bezweifeln können, daß für die Flüchtlinge von heute bald schon nur noch die doppelte Staatsbürgerschaft die Aussicht bieten wird, mit ihrer alten Heimat in Verbindung zu bleiben. Dieses Menschenrecht darf nicht durch Unterschriftenkampagnen und andere Wahlkampfdemagogie aufs Spiel gesetzt werden.

Und mehr noch lehrt das Kosovo: Eine Regierung braucht Spielräume, und es ist beschämend, dies in Zeiten, in denen Blut fließt, überhaupt anmerken zu müssen, finanzieller Natur. Es wäre für das Ansehen unseres Landes verheerend, in solchen historischen Momenten, in denen unser Kontinent auf das 21. Jahrhundert vorbereitet wird, den Buchhalter herauszukehren. Man wird Hans Eichel die Zinssenkung der Europäischen Zentralbank mit dem Blick auf die Refinanzierung der Staatsschuld also gönnen müssen: Ein nachgebender Euro ist allemal besser als ein unnachgiebiger Milosevic.

So könnte es also im Prinzip immer weitergehen. Der Krieg beweist seine ideologische Neutralität, man muß ihn nur gescheit zu nutzen verstehen. Gerhard Schröder ist hier so erfolgreich, daß er keines Friedens mehr bedarf.


 
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