© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Krieg in Jugoslawien: Intellektuelle verfallen in Sprachlosigkeit
Zwickmühlen der Moral
Andrzej Madela

Vor acht Jahren war ein entfernter Kriegsschauplatz angesagt, die Bundeswehr nicht beteiligt und der Bösewicht höchstens als Kinderschreck in deutsche Angelegenheiten verstrickt. Und obwohl die Sowjetunion schon ins Totentuch eingewickelt war, geisterte in vielen Köpfen die Idee, daß eine Konfrontation der Großmächte Deutschland in eine Erstschlagwüste verwandelt. Diese Idee ist heute klinisch tot, der Pazifismus der Systemflüchtlinge und Totalverweigerer hat sich längst davongeschlichen. Zehn Jahre haben gereicht, eine verschüchterte "Ohne-mich"-Gesellschaft zu einer kriegführenden werden zu lassen.

Wer aber glaubt, daß nun wenigstens bei den Intellektuellen ein Aufschrei den nächsten jagen wird, sieht sich enttäuscht. Außer Peter Handke, einem Schriftsteller mit wachsendem Ruf und schwindendem Wirklichkeitssinn, ist bis heute kein Intellektueller von Rang und Namen zu nennen, der sich vehement gegen die deutsche Beteiligung am Krieg gegen Serbien gewandt hätte. Wie groß die Verwirrung sein muß, belegt ein Interview, das Christa Wolf dieser Tage einer großen Tageszeitung gewährte. Darin beklagt sie zwar das Leid der Zivilbevölkerung, das von alliierten Bomben ausgeht, gesteht andererseits aber ratlos ein, "eine Alternative zu den Angriffen" nicht zu kennen.

Demgegenüber kommt Cora Stephans "Plädoyer für eine realpolitische Außenpolitik" in der taz wesentlich selbstsicherer daher. Frei von weinerlichem Klagelied argumentiert sie folgerichtig, daß der Eintritt der Grünen in die Regierung das Ende der alten Bundesrepublik markiere. An die Stelle der alten totalen Verweigerung trete zumindest partiell eine Einsicht in übergeordnete politische Zwänge. Mit der wiedergewonnenen Souveränität verschwinde die alte Gewohnheit, sich die militärische Sicherheit von anderen garantieren zu lassen. Indem Deutschland an politischer Selbständigkeit gewinne, büße die Friedensbewegung mit ihren "Nie-wieder-Krieg!"-Parolen an Bedeutung ein und werde selbst nur noch als Teil des Kalten Krieges identifiziert. Ein Zuwachs an intellektuellem Pragmatismus?

Nichts verdeutlicht die Sache besser als der bissige Kommentar von Thomas Schmid in der Welt vergangenen Donnerstag. Der jahrelange Weggenosse von Daniel Cohn-Bendit läßt die Prämissen grauer Vorzeit um Lichtjahre hinter sich, wenn er meint, der kalte deutsche Pazifismus würde letztlich einer mörderischen Friedfertigkeit das Wort reden, indem er das serbische Morden im Kosovo als Folge alliierter Luftschläge deutet: "Denn das würde Milosevic’ dunkles Treiben letztlich rechtfertigen, würde den organisierten Mord ins Arsenal der verwertbaren diplomatischen Schachzüge aufnehmen."

Spätestens seitdem General Mladic die UN-Schutztruppe in Srebrenica wie einen Hühnerhaufen vorgeführt hatte, kommt Krieg als Mittel der Politik wieder in Betracht. Das mag auch mit seinem veränderten Charakter zu tun haben. Angesichts des Untergangs der Sowjetunion samt ihren Satelliten ist ein Weltkrieg in große theoretische Ferne gerückt, haben militärische Waffengänge höchstens regionalen Charakter mit meist begrenzten Folgen. Für die Mehrheit der deutschen Intellektuellen bedeutet daher die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg gegen Serbien einen lokalen Konflikt mit immer noch überschaubarem Einsatz.

Daß allerdings auch diese Sicht gewaltige Risiken in sich birgt, ist ein Tabu. Deutsches Weltbrand-Denken hat einem Denken Platz gemacht, das in die Zwickmühlen der Moral gerät. Exemplarisch hierfür steht Günter Grass, der auf der Leipziger Buchmesse die Nato-Angriffe auf Serbien begrüßte, auch wenn er, bei nur mühsam kaschiertem Antiamerikanismus, das Fehlen jeglicher Legitimation für die Luftschläge beklagte und meinte, die Nato decke mit ihren Bomben allenfalls die Folgen eigener Unfähigkeit zu. Daß der Angriff dennoch seine Berechtigung habe, so Grass, folge aus der moralischen Verantwortung Deutschlands für seine Nachbarn.

Erstaunlich daran ist nicht die blitzartig gekommene Retourkutsche aus dem serbischen Schriftstellerverband, Grass hätte "sein Ansehen, die deutsche Sprache und Kultur mißbraucht", einer zügellosen Aggression das Wort zu reden. Staunen macht vielmehr die Wandlung eines Apostels deutscher Neutralität zum Befürworter westeuropäischen Humanitäts-Interventionismus, der seine butterweiche Berechtigung aus den Lehren des Dritten Reiches bezieht. Daß damit erneut Adolf Hitler zum bundesrepublikanischen Identitätsstifter aufsteigt, ist nur ein Abfallprodukt der neuen Moral.

Denn wer schon in Serbien die Humanität erbombt, darf vor der Türkei nicht haltmachen. Einmal konsequent angewandt, ist nämlich die Schlinge der Moral in der Politik rasch zum Strick mutiert, an dem bald der Rechtsstaat baumelt. Das ist das eigentliche Dilemma: Die Intellektuellen denken den Krieg nicht aus zwingender Einsicht in die nationalen Interessen, sondern aus falsch verstandener Gefühlsduselei, in der sich der Kriegsgegner Handke und der Kriegsbefürworter Schmid über die Leichen hinweg brüderlich die Hände reichen. Was der eine als "Gerechtigkeit für Serbien" unter Ausblendung serbischer Verbrechen vermarktet, verscherbelt der andere als proalbanischen Politthriller, in dem die Rollen für Gut und Böse längst eindeutig festgeschrieben sind.

Einzig Jörg Friedrich gibt in der Berliner Zeitung einen schonungslosen Überblick über jahrhundertealte, unentwirrbare Knäuel von Haß und Vernichtung, zu denen balkanische Mentalitäten geronnen sind. Folgerichtig rät er vom Krieg in dieser Absteige verunglückter Politik ab, weil Deutschland sachlich, materiell und politisch dabei nur zum Laufburschen fremder Interessen absinken kann.

Dabei hätte eine redliche intellektuelle Befürwortung des Krieges (und die Befürworter sind in erdrückender Mehrzahl) zunächst darzulegen, daß sie sich am Angriff auf Serbien beteiligt, um Schaden vom eigenen Volk abzuwenden. Bisher wagte es aber noch keiner zu fragen, wieviel es kostet, wenn Deutschland – wie schon im Fall Bosnien – wieder knapp eine halbe Million Flüchtlinge aufnimmt (die ersten zehntausend sind schon unterwegs), die – meist ohne westeuropäische Ausbildungs- und Kulturstandards – unweigerlich zur Hauptlast für die ohnehin knappen Sozialkassen werden.

Wie weit soll eine deutsche Realpolitik auf dem Balkan gehen? Nach den jüngsten Bombardements spricht wenig dafür, daß Milosevic seine alten Tage unbehelligt auf seiner Datscha bei Belgrad verbringt. Fällt er – wer kommt dann als Garant regionaler Stabilität in Frage? Im Gegensatz zu Westeuropa mit seinen Zivilgesellschaften ist auf dem Balkan nur souverän, wer ein Gemetzel anordnet.


 
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