© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Pankraz,
Karl Kraus und der Weg ins Café scientifique

Ein Freund in Straßburg wollte Pankraz etwas besonders Gutes antun und führte ihn ins frisch eröffnete "Café scientifique" in der Rue du Carmes, mitten im Zentrum. Das, so schwärmte er, sei etwas ganz Neues, keines der üblichen Literatencafes, sondern ein "Wissenschaftlercafé", wo man leibhaftige Physik-, Chemie- und Medizin-Nobelpreisträger ihr Hörnchen essen sähe. Man könne sich völlig zwanglos zu diesen Heroen an den Tisch setzen und bekomme dann im Gespräch "Wissenschaft informell und aus erster Hand", ein Labsal, eine Sensation.

In Wirklichkeit war es aber ein ziemlicher Krampf. Pankraz und sein Freund kamen, wie sich herausstellte, zu einem "Termin". Andere Besucher hatten sich schon versammelt, warteten auf den Auftritt des Aidsforschers Gallo, der gerade auf Europareise war. Ein Vertreter einer "Association Profil", der das Café offenbar gehört, machte die Honneurs, und der Forscher hielt einen richtigen kleinen Vortrag, den kaum jemand verstand und der Ehrfurcht auslöste. Keine Spur von "gelöster Caféhaus-Atmosphäre".

Wie denn auch anders? Schon das traditionelle Literatencafé früherer Zeiten ließ sich nie kommandieren, im alten Österreich nicht und nicht im Paris der Surrealisten- oder Existentialistenära. Solche Cafés wurden nicht "gegründet" wie jetzt das "Scientifique" in Straßburg, sondern entstanden spontan, indem irgendeine poetische oder philosophische Zelebrität zufällig dort hängenblieb, von Freunden oder Bewunderern entdeckt wurde, Zirkel bildete, sich aufplusterte. Wenn sich die Sache allzu weit herumsprach, war das Unternehmen meist schon passé.

Keine verklärende Caféhaushistorie im Stil von Torberg kann darüber hinwegtäuschen, daß "Caféhauskultur" üblicherweise das Produkt von Personenkult und blinder Heldenverehrung gewesen ist. Was den Literatentisch vom bloßen Honoratiorenstammtisch unterschied, war weniger die Fülle der Bonmots und Anekdoten, die dort entstanden, als vielmehr der Grad der Anbetung, der bei den Literaten der jeweiligen Zentralfigur entgegengebracht wurde. Das war bei Sartre in Paris nicht anders als bei Kraus in Wien.

 

Soeben sind die Lebenserinne-
rungen des Komponisten Ernst
Krenek auf Deutsch erschienen, der einige Zeit Mitglied des sagenumkränzten Karl-Kraus-Stammtischs gewesen ist und in seinem Buch ausführlich darüber Auskunft gibt. Was für eine angespannte, ungemütliche Angelegenheit muß dieser Stammtisch gewesen sein! Kraus duldete nur hemmungslose Bewunderer und Jasager um sich herum, die von sich aus keine selbstständigen Pointen ins Gespräch bringen durften, die nur als Dekoration und Resonanzraum des großen Meisters zu fungieren hatten und das auch wußten. Man ging zum Kraus-Stammtisch, wie man als Rekrut zum Exerzierplatz geht. Krenek verkrümelte sich schließlich freiwillig.

Die manchmal zu hörende Auskunft, daß einige Literaten ihre Sachen nicht zu Hause oder im Institut, sondern "im Café" produziert hätten, verleitet zum Grinsen. Hermann Kesten oder Erich Kästner zum Beispiel sollen ein Großteil ihrer Schriften im Caféhaus verbrochen haben – sie sind auch danach. Im Café läßt sich weder ordentlich nachdenken noch penibel an Worten feilen. Es läßt sich dort nicht einmal "herrschaftsfrei" diskutieren oder per "brainstorming" der Geist fruchtbar auslüften. Alles ist auf Pfauenradschlagen und auf Platzhalterei angelegt.

Insofern war die Situation im Straßburger "Café scientifique" mit dem Aidsforscher eigentlich eine klassische Caféhaussituation: Eine Berühmtheit dozierte, und die Anderen hörten ergeben zu. Aber sie hatte zusätzlich etwas gänzlich Unwirkliches, Fiktives und Simuliertes. Denn Naturwissenschaftler sind in der Regel genau das Gegenteil des klassischen Literaten, sie experimentieren und berechnen, alle Wichtigtuerei und Banalisiererei ist pures Gift für ihr Metier. Die Situation "Caféhaus" können sie allenfalls als Privatmann verantworten. Für sie gilt im Café eindeutig: Hörnchen essen, echten Fachgesprächen ausweichen!

 

Um so verwunderlicher die
Sehnsucht ausgerechnet
nach dem "Café scientifique"; auch in Paris, Caen und Lyon gibt es ja schon solche Cafés, und demnächst will man in deutschen Universitätsstädten nachziehen. Drückt sich darin etwa das neuerdings so viel beredete "Unseriöswerden" der Naturwissenschaftler aus? Daß auch sie nun anfangen, sich medial nach der Decke zu strecken, ihre Laborbefunde zu manipulieren, sich gegenseitig zu bestehlen und alle möglichen Türken zu bauen, um an den Ruhm und an die Drittmittel heranzukommen?

Aber es sind glücklicherweise nicht die Naturwisenschaftler, von denen der Impuls zur Gründung von Wissenschaftlercafés ausgeht, es sind vielmehr clevere Wirte und Assoziationen, die damit ein Publikumsbedürfnis bedienen zu können glauben. Die vielen Fernseh-Talkshows mit Wissenschaftlern, die vielen televisionären Expertenrunden und Auskunfteien genügen offenbar nicht mehr, machen möglicherweise sogar Angst.

So will man denn den "Wissenschaftler zum Anfassen", mit dem man zusammensitzt und gemeinsam einen Kaffee trinkt, der aus echtem Fleisch und Blut besteht wie man selbst und der einem, hat man ihn erst einmal zutraulich gemacht, die Welt nicht nur aus dem Eff-eff, sondern direkt aus dem Bauch erklären kann. Ein verständliches, irgendwie rührendes Verlangen, das allerdings seine Fußangeln hat.

Wissenschaft ist immer noch, im Gegensatz zum caféhäuslichen Literatengeschwätz à la Kesten und Kästner, eine ernste, ja, streckenweise eine todernste Angelegenheit, die sich nicht in Filzpantoffeln und fesch drapiertem Gurumantel absolvieren läßt. Die sie ausüben, sind in vieler Hinsicht ohnehin schon ins Zwielicht geraten, ihre Ethik und ihre Maßstäbe schwanken, müssen wieder stabilisiert werden. Das Caféhaus bietet dafür nicht das richtige Firmenschild.


 
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