© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Bündnis 90/Die Grünen: Verteidigungspolitische Sprecherin macht Interview-Rückzieher
"Die Nato hat Fehler gemacht"
Karl-Peter Gerigk

Was die Grünen verteidigungspolitisch denken und wie die offizielle Parteilinie ist, wollte die JUNGE FREIHEIT in einem Interview mit der verteidigungspolitischen Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Angelika Beer, erfragen. Alles kein Problem – mag man denken, und so ist nach einem Anruf im Bundestagsbüro bei Frau Beer auch bald der Rückruf da, und die erklärte Pazifistin scheint auch bereit, Frage und Antwort zu stehen.

Für den 6. April wird ein Interview-Termin ausgemacht, und das Büro von Frau Beer schickt zur Vorbereitung darauf bereitwillig und korrekt adressiert ein Rundschreiben der verteidigungpolitischen Sprecherin an Parteimitglieder zu der Problematik des Eingreifens der Nato im Kosovo. Alles läuft, wie es immer läuft – der Anruf bei Angelika Beer, die Fragen werden gestellt und die Antworten aufgezeichnet. Nach kurzer Zeit erhält sie dann von der Redaktion die schriftliche Version des Interviews zur Autorisierung. Doch oh Wunder! Es folgt der Anruf aus ihrem Wahlkreisbüro. Leider müsse Frau Beer von dem Interview Abstand nehmen, da sie nicht gewußt hätte, daß es sich um die JUNGE FREIHEIT handele. Sie sei der Auffassung gewesen, die PDS-nahe Junge Welt hätte das Interview mit ihr geführt. Für die JUNGE FREIHEIT könne sie aber keine Autorisierung geben.

Dennoch möchten wir das Gesagte unseren Lesern nicht vorenthalten, auch wenn wir das Interview unter diesen Umständen nicht ohne Autorisierung drucken wollten.

Die Grünen seien keineswegs von Pazifisten zu Bombenwerfern mutiert, meint sie. Denn Politik sei die Kunst des Möglichen, Krieg hingegen das Versagen der Politik, und deshalb hätte man in Sachen Kosovo schon vor längerer Zeit auf Jugoslawien einen stärkeren Druck ausüben sollen. Die rot-grüne Regierung habe mit den Altlasten der Außenpolitik Helmut Kohls zu kämpfen, und dabei sei ihr heute keine andere Möglichkeit mehr geblieben, als dem militärischen Vorgehen der Nato im Kosovo zuzustimmen. Dennoch habe man alles Menschenmögliche versucht, um zum Beispiel im Vertrag von Ramboulliet noch eine Friedenslösung zustande zu bringen. Dennoch seien die Grünen in dieser Frage tief gespalten.

Dies ist ein Umstand, der nicht Joschka Fischer allein zuzuschreiben ist. Die Grünen sind zwar Regierungspartei, jedoch tragen nicht alle die Regierungsverantwortung und müssen dabei auch keine international tragfähigen Entscheidungen treffen – und in der Tat über Krieg oder Frieden entscheiden.

Die Grünen haben vor der Frage gestanden, was man tun kann angesichts der kalten Planung der ethnischen Säuberung von seiten Milosevics. Auch wenn man dem Vorgehen der Nato jetzt zustimmen müsse, erklärte Angelika Beer dieser Zeitung, blieben die Bedenken, daß es kein völkerrechtliches Mandat der Nato gebe. Die Selbstmandatierung der Nato und das Aushebeln der Uno sei dabei das größte Problem. Die Grünen hätten also ihre grundsätzlichen Standpunkte nicht verändert, wüßten aber nun Verantwortung in der Politik und insbesondere in der Außenpolitik zu übernehmen.

Dies ist zumindest die Ansicht von Frau Beer, und sie meint sicherlich die Minister, die in der Tat Verantwortung tragen. Es bleibt zweifelhaft, ob man die für alle Grünen – also für Realos wie Fundis – in gleicher Weise annehmen darf, auch wenn man es Angelika Beer zubilligen möchte. Die Linken der Grünen suchen sich unterdessen eine neue Heimat. Angst vor der PDS, die versucht, den linken, fundamentalen Flügel für sich zu gewinnen, müßten die Grünen jetzt aber nicht haben, so Frau Beer. Denn die PDS werfe den deutschen Regierungen seit Jahren vor, eine Zerschlagung Serbiens zu betreiben. Das würde die meisten in ihrer Partei jedoch wenig ansprechen und sei auch keine Strategie, die auf zutreffenden politischen Analysen beruhe. Die Grünen bräuchten die Pazifisten und Antimilitaristen in der Partei, und sie hoffe, daß diese nicht auf die populistischen Argumente der PDS hereinfallen.

Dabei haben die Grünen nach den Worten von Angelika Beer eine eindeutige Haltung zum Kosovo-Konflikt. Der politischen Initiative müsse wieder Vorrang gegeben und der in Gang gesetzte miliärische Automatismus gestoppt werden. Man müsse, und da vertritt Angelika Beer bewußt andere Positionen als die Regierung und das Kabinett, Milosevic immer noch als Verhandlungspartner akzeptieren.

Ein konditionierter Waffenstillstand, so lautet Beers Angebot an Milosevic. Das bedeutet, er muß die Voraussetzungen dafür schaffen, daß der Krieg aufhört – und das setzt den Abzug der serbischen Einheiten aus dem Kosovo voraus. Ebenso wichtig wie der konkrete Fall sei die Frage, was die Nato künftig bei ähnlichen Konflikten tun werde. Hier plädiert Beer für ein Eingreifen in alle Konflikte, bei denen es um Menschenrechtsfragen geht, wenn auch nicht militärisch. Beispielhaft nannte sie die Türkei mit ihrem Kurdenproblem. Man müsse bei den kommenden Wahlen in Kurdistan am 18. April Wahlbeobachter entsenden, damit auch dort die Grundlage für demokratische Prozesse gewährleistet sei. Doch bei der Frage des Einsatzes von Bodentruppen ist Frau Beer weniger konsequent und kritisiert die Vereinigten Staaten und insbesondere US-Außenministerin Albright, die dazu beitrügen, den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo durch die Verlegung der Apache Helicopter vorzubereiten. So ist sie auch strikt gegen den Einsatz von deutschen Soldaten als Kampfeinheiten im ehemaligen Jugoslawien: "Deutsche Soldaten haben aus völkerrechtlichen und historischen Gründen als Bodentruppen für Kampfeinsätze nichts im Kosovo verloren und in Jugoslawien zu suchen." Die Nato habe in den letzten Monaten Fehler gemacht, und in der Konsequenz verdeutliche dies noch mehr die Notwendigkeit, die Bundeswehr umzustrukturieren. Was in den Koalitionsvereinbarungen festgelegt ist, muß nach Ansicht der Grünen-Politikerin auch umgesetzt werden: der Aufbau von Friedenskräften und Friedensforschungseinrichtungen einerseits und eine deutliche Verkleinerung der Bundeswehr andereseits. Hier ist dieFreiwilligenarmee angesagt.

Eines ist in dem Interview deutlich geworden: Die pazifistischen Positionen der Grünen sind heute immer noch Parolen, mit denen Wähler angesprochen werden sollen, die alles Militärische ablehnen, ohne daß dies dann wirkliche Politik wird. Bedauerlich, daß Angelika Beer so unsouverän mit dem JF-Interview umging. Vielleicht ist dies auch ein Beleg aktueller Nervosität.


 
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