© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Kosovo: Plädoyer gegen "konservative Aufklärer"
Den USA folgen
Karlheinz Weissmann

Die Konservativen sind die letzten Aufklärer, sie versuchen es mit Ermunterung zum Nachdenken. Die in der selbstverschuldeten Unmündigkeit sollen begreifen, was hinter den Kulissen geschieht, worum es geht, wenn man den Schleier zerreißt und das Licht der Vernunft die Wirklichkeit erfüllt. Das ist ehrenwert und zum Scheitern verurteilt und widerspricht der konservativen Annahme von der begrenzten Macht der menschlichen Vernunft, und solche vergebliche Mühe hat bei den Konservativen Tradition, diesen Gegen-Aufklärern.

Nehmen wir den vorliegenden Fall der Intervention im Kosovo. Die einflußreichen ideologischen Lager des Landes sind sich einig in der Auffassung, daß dieser Krieg kein Krieg ist, oder jedenfalls ein gerechter Krieg, so wie der Golf-Krieg gegen Saddam Hussein Hitler gerecht war oder ein Krieg gegen Deutschland gerecht gewesen wäre, um das Münchener Abkommen und dann alle Weiterungen zu verhindern, sie sind sich einig, daß sich der Angriff auf Serbien mit dem Völkerrecht vereinbaren läßt (oder neuerdings: daß das Völkerrecht sowieso nur einen relativen Wert hat), daß er durch den Nato-Vertrag gedeckt wird und daß der Westen das Ziel, Milosevic zum Einlenken zu zwingen, auf militärischem Weg erreichen kann. Dagegen murren ein paar Einflußlose, stellen Mutmaßungen über die imperiale Politik der USA an oder verweisen auf zahlreiche Fälle von Menschenrechtsverletzung und Völkermord, bei denen sich die zivilisierten Nationen keineswegs aufgerufen fühlten, mit Bombardements die Schlächter zur Vernunft zu bringen.

Die Einflußlosen stehen damit nicht allein – die regierungsnahe taz stellte "in deutschen Kantinen" solche Überzeugungen massenhaft fest –, aber das hat keine politischen Konsequenzen. Zumindest in der Demokratie sind politische Argumente immer moralische und umgekehrt, wer anderes behauptet, macht sich verdächtig. Mit ihrer Weigerung, diesen Zusammenhang zu akzeptieren und gutzuheißen, stehen die Konservativen in einer deutschen und damit in einer bis auf weiteres gescheiterten – Tradition.

Der Historiker Peter Richard Rohden hat bei Gelegenheit drei Stile außenpolitischen Handelns unterschieden: den klassischen französischen, der den Kampf um die Macht auch als Spiel betrachtet, bei dem der Spieler manchmal die Maske lüftet (Richelieus Testament war eine ebensolche Demaskierung wie Mitterrands Äußerungen über die deutsche Einheit), den angelsächsischen, bei dem der Akteur keinen Unterschied zwischen Maske und Gesicht kennt ("Sie sagen Bibel und meinen Kattun", Theodor Fontane) und den deutschen, demzufolge es keiner Maske bedarf (Macht ist Macht und soll auch so genannt werden).

Von Gewicht ist heute aus leicht begreifbaren Gründen nur noch der angelsächsische. Dabei bedeutet es wenig, wenn die Vereinigten Staaten immer neue Beweise liefern, daß sie die von ihnen propagierten Maßstäbe nur "instrumentell" (so die FAZ angesichts des Verfahrens gegen die Verantwortlichen für das Unglück von Cavalese) benutzen, das gute Gewissen der Akteure bleibt unerschüttert.

Selbst die Argumente der Isolationisten in den USA spiegeln das wider, denn auch ihre Forderung, sich aus den Welthändeln heraus zu halten, fußt weniger auf Realismus als auf der vorbehaltlosen Identifizierung von Privatmoral und Politik.

Wahrscheinlich sind also die Bundesregierung und die anderen beteiligten Nato-Staaten gut beraten, das Muster der Vormacht zu kopieren. Damit fügen sie sich nicht nur dem Hegemon – und es gibt viele Gründe, sich der sanftesten aller Vormächte zu fügen –, sie handeln sogar klug, denn die Alternative wäre wohl das Nichtstun, die Hinnahme der Unfähigkeit Europas, so oder so zu entscheiden. Wir mögen davon träumen, daß es anders wäre und der alte Kontinent (natürlich hat Carl Schmitt immer mehr recht und die anderen haben immer mehr unrecht) selbst für Ordnung sorgen könnte an seinen Rändern, aber er kann es nicht.

Bestenfalls dürfen wir hoffen, daß uns die List der Vernunft oder die normative Kraft des Faktischen oder wie die zuständige Instanz sonst heißen mag, weiterhilft, und vielleicht bedient sich der Weltgeist des Nato-Einsatzes im Kosovo, um Neues vorzubereiten. Aber bis dahin bleibt nur Politik als Kunst des Möglichen – vorausgesetzt, man will Politik machen, und das heißt heute, sich das gebotene Maß an Naivität zulegen (besser: das Maskentragen lernen) oder Aufklären – vorausgesetzt, man will aufklären –, aber man sollte nicht das eine mit dem anderen verwechseln.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen