© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/99 02. April 1999


Paul Noack: Ernst Jünger. Eine Biographie
Gestalt von europäischem Rang
Ulrich Schacht

Das zweifelsohne gültigste Urteil über den ästhetischen Wert und literaturgeschichtlichen Rang des Werks des 1998 im Alter von fast 103 Jahren gestorbenen Autors Ernst Jünger hat Botho Strauß aus Anlaß von dessen 100. Geburtstag 1995 in einem Sammelband zu Ehren des Jubilars abgegeben. In seinem zwar kurzen, aber äußerst prononcierten Beitrag stellte der Verfasser bedeutender Theaterstücke, Essays, Tagebücher sowie der kompromißlosen Medien- und Zeitgeistkritik "Anschwellender Bocksgesang" mit provozierender Lakonie fest: "Die Epoche der deutschen Nachkriegsliteratur wird erst vorüber sein, wenn allgemein offenbar wird, daß sie vierzig Jahre lang vom Jüngerschen Werk überragt wird."

Aber Strauß behauptet dies nicht nur, er begründet seine These auch, indem er Jünger attestiert, daß er "nach dem Krieg der Vergegenwärtiger, der Gegenwarts-autor schlechthin gewesen" sei: "Zwar nicht im Sinne des kritischen Realisten, dafür aber auf magisch-schauende, immer prospektive Weise." Jünger habe in seiner Prosa "täglich Geheimnisse entdeckt und genannt, doch keines verraten, das heißt: in jene gottverlassene Sprache transponiert, in der es sich nicht erhalten hätte". Damit jedoch habe er sich "im Gegensatz zu den mehr oder minder begabten Nachläufern" einer "epischen Moderne" befunden, "deren großangelegte Romanwerke oft auf einem gesinnungstüchtigen (…) Inhalt gründeten, der sie mittlerweile, auf einen Schlag, zu ‘historischen Schinken’ werden ließ". Es sei deshalb diese "Sprache der literarischen Öffentlichkeit gewesen, die ihn lange Zeit verpönt und ausgeschlossen" habe, "die Sprache der Journalisten, jener platt gegen den Tag, immerzu gegen die Scheibe der Zeit stoßenden Fliegen des Geistes". Für die Jüngeren dagegen sei Jünger inzwischen "immer deutlicher zum Prototyp einer kommenden Kunst" geworden.

Mit alldem ist zugleich erklärt, warum es über diesen Ernst Jünger zwar eine fast unüberschaubare Flut von Aufsätzen, Einzelstudien und Werkanalysen gibt, sein ganzes Leben deutende Biographien jedoch eher spärlich gesät sind. Bislang waren wir auf die ebenso text-instruktive wie optisch überreich ausgestattete Bild-Biographie von Heimo Schwilk angewiesen, die 1988 bei Klett-Cotta, Jüngers langjährigem Haus-Verlag, erschien. Nahm man Martin Meyers 1990 bei Hanser herausgekommene voluminöse Deutungsstudie über das Gedanken-Werk des Verfassers der "Stahlgewitter", der Tagebuch-Folgen "Strahlungen" oder "Siebzig verweht", des "Arbeiters" und "Abenteuerlichen Herzens" hinzu, dann hatte man zwar zwei sich ergänzende biographische Materialsammlungen in der Hand. Die ebenso geistreiche wie faktengesättigte wie auf Straußscher Erkenntnishöhe operierende, also für lange Zeit und Generationen gültige Biographie Ernst Jüngers liegt dagegen bis zur Stunde nicht vor.

Was jedoch seit kurzem vorliegt, ist ein fast vierhundert Seiten starker Annäherungsversuch des Münchner Politologen Paul Noack, der sich bereits 1993 mit einer Biographie des Staatsrechtlers Carl Schmitt auf ideologisch negativ kontaminiertes Geistesgeschichts-Gelände deutscher Provenienz begeben hatte. Wer von Noack biographische Neuigkeiten auf der Basis brisanter oder einfach nur bislang unbekannter Details und Fundstücke aus lange geschlossenen Archiven erwartet, wird enttäuscht werden; wer einen seriösen, frischen und überschaubaren Zugang zu Person und Werk Ernst Jüngers erhofft, wird dagegen auf befriedigende Weise fündig.

Das ist, auch heute noch, viel; wenngleich wir wissen, daß jene andere, im Sinne der oben genannten riterien angemessene Lebensbeschreibung des Weltberühmten schon in Arbeit ist: In wenigen Jahren soll sie bei Piper erscheinen. Ihr Autor: Heimo Schwilk.

Was wir bis dahin nutzen können, ist nun also auch die vorliegende Studie, die schon am Beginn klar zu erkennen gibt, welche Bedeutung Ernst Jünger für ihren Autor hat: "Ernst Jünger ist eine deutsche Gestalt von europäischem Rang, als Autor weltbekannt und doch fast immer mit dem Beiwort ‘umstritten’ besetzt, gerade in Deutschland. Im Ausland haben seine Ambivalenzen im Politischen wie Literarischen weniger Irritationen ausgelöst; man sah ihn als einen Schriftsteller, der nur aus seinen nationalen Voraussetzungen heraus verständlich wird und diese doch zugleich überragt, ein Zeitzeuge, aber auch ein Zeitzeichen."

Wer solche Größe als Ausgangspunkt seiner Betrachtung über diesen Autor wählt, kann zu keinem Zeitpunkt mehr in die Niederungen bösartiger neid- und ideologiebessesener Blickwinkel auf Ernst Jünger geraten. Vielmehr wird er immer wieder inflationär kreisende Klischees durchschauen, sich seriös-besorgt gebenden Vor-Urteilen verweigern, Eigensicht auf das Objekt der Betrachtung riskieren. Bei Noack geschieht all dies, wenn er, zum Beispiel, den berüchtigten Oberflächen- und Kälte-Vorwurf gegen Jünger zurückweist, um nüchtern zu konstatieren: Es ist "nicht eigentlich Kälte, die ihn kennzeichnet, sondern strikte Distanz, ein ständiges Bewußtsein von Abständen und Unterschieden, das alle Gemeinsamkeiten überwiegt." Doch Noack geht im Verstehen-Wollen noch einen großen Schritt weiter, wenn er seine Beobachtung dahingehend vorantreibt, daß der ältere Jünger der "Strahlungen" sehr wohl zu Momenten von Sympathie und Mitgefühl gefunden, vor allem aber "Grauen und Schrecken nicht eigentlich gesucht" habe, wie oft unterstellt. Vielmehr seien ihm "seine Sujets" "von der Geschichte aufgezwungen worden". Daß er sie beschrieben habe, "als gingen sie ihn nichts an", sei "auch Überlebensnotwendigkeit" gewesen.

In scharfer Differenz zu klassischen "Dandys" wie Baudelaire, Wilde oder Huysmans gäbe es bei Jünger eben "keine Disposition für den Exzeß". Exakt hier wurzelt womöglich jene Haltung, die Jünger zum stillen, aber starken Gegner des NS-Regimes machte, was Noack ohne Zeitgeistverrenkung festhält: Jünger habe damals – im Unterschied zu Martin Heidegger oder Carl Schmitt – "im richtigen Moment das menschlich Richtige" getan. Mit seinem kaum noch verhüllten, allegorischen Anti-NS-Staat-Roman "Auf den Marmorklippen" habe er sogar das Maximum dessen geleistet, "was in der gegebenen Situation einem Schriftsteller ohne Selbstzerstörung möglich war".

Von hier aus ist es nur logisch, daß Noacks Jünger-Biographie nicht so sehr mit einem werkbezogenen ästhetisch-analytischen Schluß endet, sondern mit dem Appell, daß es "wünschenswert wäre, daß der Anspruch auf Achtung anerkannt wird, den Jünger erheben darf". Ein Schriftsteller habe "das Recht, auch nach seinen sprachlichen und intellektuellen Leistungen beurteilt zu werden, nicht bloß nach seinen politischen, und eine differenzierte und distanzierte, eine aufmerksame und kritische Lektüre" lohne,"bei wenigen mehr als bei Ernst Jünger".

Auch deshalb könne es, so Noack in seinem letzten Satz, "nicht verwerflich sein", "ihn der Gruppe derer zuzugesellen, auf die ein Volk sich etwas zugute hält". Wann haben wir das zuletzt so offen, so direkt und so nobel zugleich über Jünger gehört, seine Freunde ausgenommen? Ulrich Schacht

 

Paul Noack: Ernst Jünger. Eine Biographie, Alexander Fest Verlag, Berlin 1998, 368 Seiten, 49,80 Mark


 
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