© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/99 02. April 1999


Makedonien: Ein Einsatz von Bodentruppen widerspräche den Verträgen mit der Nato / Interview mit dem Botschafter der Republik Makedonien Dr. Srgjan Kerim
"Wir lassen die Albaner ins Land"
Karl-Peter Gerigk

Herr Botschafter Kerim, verschlimmert sich nach Ihrer Auffassung die humanitäre Situation der Kosovo-Albaner duch die Nato-Luftangriffe?

Kerim: Ich glaube nicht, daß die Nato-Luftangriffe eine entscheidene Rolle in diesem Sinne spielen. Es ist wesentlicher, was sich da vor Ort abgespielt hat. Hätten die Luftangriffe der Nato negative Konsequenzen für die Bevölkerung, müßte ganz Serbien und Jugoslawien von einem Flüchtlingsproblem betroffen sein.

Sie denken also, daß Bombardement der Nato trifft wirklich vorwiegend militärische Ziele?

Kerim: Ja, das ist so vorgesehen, und die Nato muß sich daran halten. Immerhin 19 westliche Staaten stehen hinter diesen Luftangriffen, die nicht die Zivilbevölkerung treffen sollen. Diese Staaten tragen ja auch die Verantwortung für eine etwaige weitere Eskalation des Konfliktes.

Meinen Sie, die serbischen Medien treiben nur Propaganda, wenn sie serbische Opfer unter der Zivilbevölkerung zeigen?

Kerim: Man kann natürlich nicht ausschließen, daß es verletzte Zivilisten gibt. Dies ist sehr bedauerlich, denn Ziel der Angriffe ist ja nicht das serbische Volk. Das ist nicht das entscheidende Problem – viel eher, ob die serbische Kriegsmaschenerie wirklich entscheidend geschwächt wird.

Was machen Sie mit den Flüchtlingen, die jetzt vermehrt an ihre Tür klopfen?

Kerim: Zuerst versucht der makedonische Grenzschutz, die ankommenden Flüchtlinge über die regulären Grenzstellen und Übergange zu lotsen. Denn auf jugoslawischer Seite ist die Grenze durch Militär dicht besetzt. Und auf unserer Seite sind bekanntlich die Nato-Truppen, dies könnte für die Flüchtlinge schon zu einen Sicherheitsrisiko werden, wenn jugoslawische Verbände die Grenze nicht mehr akzeptieren. Unsere Polizei versucht da im Interesse der Flüchlinge Ordnung zu schaffen. Die Meldungen, daß einige Grenzübergänge geschlossen seien und wir die Flüchtlinge nicht ins Land ließen sind falsch. Noch heute haben ich mit dem makedonischen Innenminister gesprochen, der bestätigt hat, das unsere Tür für die Kosovo-Albaner in Not offen steht.

Sie lassen also die Vertriebenen Kosovo-Albaner zunächst nach Makedonien ein?

Kerim: Wir lassen Sie gruppenweise über die Grenzübergänge, denn es ist ein ungeheuerlicher Druck. Auf der anderen Seite warten mehr als 40.000 Meschen und wollen nach Makedonien. Wir haben schon 24.000, die erst in den letzten Monaten ins Land gekommen sind. Dies ist schon seit den Verhandlungen im September der Fall, als Holbrooke mit Milosevic eine Lösung in Angriff nahm. Im Oktober 1998 waren es schon Tausende, die aus Richtung Kosovo nach Makedonien geflüchtet sind. Ein Land wie Makedonien – mit einen jährlichen pro Kopf-Einkommen von 2.000 DM, kann das beim besten Willen nicht alleine auf Dauer aushalten. Andere Länder, besonders die Balkanstaaten, müßten auch zu der Übernahme der Flüchtlinge bereit sein.

Braucht Makedonien bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems Hilfe durch Drittstaaten?

Kerim: Makedonien braucht dringend Hilfe und wir begrüßen den Besuch der EU-Kommissarin Frau Borino und des Staatsministers im Auswärtigen Amt Günther Verheugen. Wir hoffen sehr, daß man dabei ganz konkrete drängende Maßnahmen vereinbaren wird, um uns bei der Flüchtlingsproblematik unter die Arme zu greifen. Wir wollen die Leute anständig und vernünftig unterbringen und mit dem Lebensnotwendigen versorgen können. Wir wollen sie auch darauf vorbereiten, später wieder in den Kosovo zurückzukehren – sie sollen nicht unbedingt hier bleiben. Sie sollen ja aber auch nicht nach Westeuropa einwandern. Sie haben ihre Heimat ja im Kosovo. Alles andere wäre eine Rechtfertigung und Unterstützung einer Politik, die Verteibung betreibt, und die niemand in Europa für gut hält.

Wenn humanitäre Hilfe geleistet werden sollte – wer sollte da die Hauptrolle spielen? Die Europäer mit der EU oder die Uno, die ja militärisch in diesem Konflikt ausgeschaltet wurde?

Kerim: Das muß vor allem die EU tun, aber sicherlich auch die Uno, die mit der UNHCR ja eine eigene Flüchtlingshilfeorganisation besitzt. Aber es ist im Prinzip ein echtes europäisches Problem. Es betrifft Länder von Italien bis Makedonien, Griechenland und Österreich, die Schweiz und Deutschland – man muß eng zusammarbeiten, um eine humanitäre Kathastrophe zu vermeiden.

Wie hoch ist denn schätzungsweise die Belastung für Makedonien durch einen Flüchtling finanzell?

Kerim: Das ist zu beziffern. Man geht davon aus, daß man mindestens zunächst 1.000DM pro Kopf bräuchte, um eine gute Unterbringung zu ermöglichen und auch die erste Versorgung sicherzustellen. Insgesamt benötigte Makedonien also 40.000.000 DM, wenn man das auf die Zahl der zu erwartenden Flüchlinge umrechnet. Dies wäre aber bestimmt als erste Hilfe notwendig.

Was denken Sie über das Eingreifen von Nato-Bodentruppen in den Konflikt? Meinen Sie, Makedonien könnte auf diese Weise tiefer in den Konflikt mit einbezogen werden?

Kerim: Ich möchte daran erinnern, daß es eine politische Vereinbarung zwischen der Nato und der Republik Makedonien gibt. Danach sind Bodentruppen der Nato für Makedonien ausschließlich für den Einsatz als Friedenstruppe im Kosovo und der Bundesrepublik Jugoslawien vorgesehen. Dazu zählen natürlich auch die bei Tetovo stationierten Truppen der deutschen Bundeswehr. Ziel ist ja die Realisierung und Durchsetzung einer möglichen Friedenslösung für Kosovo. Es gibt kei anderes Mandat für diese Truppen, und damit ist sowohl die Nato einverstanen wie auch die Regierung der Republik Makedonien. Es gibt keinen Anlaß, daran zu glauben, daß diese Truppen für etwas anderes eingesetzt werden, als für den für sie vorgesehenen Auftrag. Falls sie sich dazu herausgefordert fühlen, müssen sie jedoch agieren.

Halten Sie zum Beispiel einen Angriff serbischer Einheiten auf die deutschen Truppen in Tetovo für wahrscheinlich und denkbar?

Kerim: Ich denke nicht, daß sich die serbische Führung hierzu hinreißen lassen würde. Ich gehe eher davon aus, daß sich die jugoslawische Regierung auf ein solches Abenteuer nicht einlassen würde – man bedenke die weitreichenden Konsequenzen.

In Makedonien leben 30 Prozent moslemische Albaner. Meinen Sie, daß sich der Konflikt ausweiten könnte, angesichts der Unterstützung der Serben durch bulgarische und russische Söldner, die vielleicht ihren orthodoxen Brüdern helfen wollen – und einer Unterstützung der Moslems zum Beispeil durch die Türkei – dem Erzfeind des orthodoxen Giechenlands?

Kerim: Das ist eine interessante Frage – ob die Religion hier eine entscheidene Rolle spielt. Aber diese Tatsache besteht schon seit Jahrzehnten. Makedonien war eine Teilrepublik Jugoslawiens. Es ist nun schon seit über acht Jahren selbständig. Wir sind selbst ein Vielvölkerstaat. In Makedonien leben neben den Makedoniern, Albaner, Türken, Serben auch Zigeuner. Diese Tatsache auch der unterschiedliche Religionen hat sich bisher nicht zu einem Konflik entwickelt.

Glauben Sie das jetzt noch die Nato als Friedenstruppe eingestzt werden muß – oder können die Uno-Truppen, wie in Bosnien-Herzegowina, diesen Part übernehmen?

Kerim: Es ist schwer vorherzusagen, was passieren wird, und Prognosen sind nach dem Luftkrieg durch die Nato auch schwierig. Belgard wehrt sich vehement dagegen. Aber um eine Stabilität in der Region zuerreichen, muß man eine Kompromißlösung finden. Dies sollte auch im Interesse Belgrads sein.

Sie meinen eine Internationale Friedenstruppe unter Einschluß von Rußland?

Kerim: Ja – das war etwas, was nicht umstritten war in der Kontaktgruppe. Alle Europäer müssen sich um die Stabilität auf dem Kontinent kümmern. Das schließt Rußland und die Ukraine mit ein.

Strebt Makedonien mttelfristig eine Mitgliedschaft in der EU oder der Nato an?

Kerim: Beides – und zwar sobald als möglich. Der makedonische Ministerpräsident wird dies mit den aktuellen Rat-Vorsitzenden der EU – Deutschland – besprechen. Der Präsident Makedoniens regt während des Besuchs bei der deutschen Regierung und Bundeskanzler Schröder ein Assoziierungsabkommen mit der EU an, der so schnell wie möglich unterzeichnet werden soll. Mit seiner konsequenten Haltung und der Loyalität gegenüber der Nato und der EU hat sich das Makedonien verdient.

 

Dr. Srgjan Kerim studierte an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Belgrad und promovierte 1981 im Fachbereich Weltwirtschaft. Zwischen 1972 und 1991 war er erst Assistent und dann Professor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Belgrad.1986 bis 1989 leitete er das Ministerium für Außenwirtschaft in der Regierung der Republik Makedonien.Von 1989 bis 1991 war er Vizeminister im Bundesministerium der SFR Jugoslawien und Sprecher des Ministeriums. Seit 1994 ist er Botschafter der Republik Makedonien in der Bundesrepublik Deutschland, in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein.


 
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