© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Kino: "Sitcom" führt politische Korrektheit ad absurdum
Auf die Spitze getrieben
Ellen Kositza

Der Bedeutungswandel des Kampfbegriffs political correctness ist schon beachtlich: Als programmatische, primär sprachregelnde Forderung aus Amerika in die Bundesrepublik getragen, wurde politische Korrektheit weniger explizit denn unterschwellig wirksam: Wo die Bezeichnung "Neger" in den Achtzigern zumindest noch in der Komposition mit "-kuß" oder im Kinderlied "Zehn kleine Negerlein" ohne böse Gedanken üblich war, ist solcher Sprachgebrauch heute fast undenkbar. Während solche Vorgänge sich selten political correctness nannten, sondern namenlos vonstatten gingen, formulierte sich als nächstes hierzulande eine Opposition gegen ähnliche und vor allem gegen noch weiterführende Sprach-, Schreib- und Denkreglementierung. Diese negative pc-Rezeption faßte zunächst primär in den Organen der Neuen Rechten Fuß, hielt dann als Anti-Modewort im bürgerlich-liberalen Feuilleton Einzug, um schließlich zur Lieblingsphrase reaktionärer Politik zu werden.

Auch der französische Regisseur François Ozon beschreibt "Sitcom", seinen ersten langen Kinofilm, als "Angriff auf die political correctness", ist dabei aber weit davon entfernt, den entsprechenden, vermeintlich politisch unkorrekten Auslassungen etwa eines Herrn Stoiber die Hand zu reichen. Political correctness und die allzu beliebte Gegnerschaft hat nun die Inflation erreicht, die der Begriff, längst schon ziemlich nichtssagend geworden, verdient: Politisch nicht korrekt zu sein bedeutet für Ozon, tabulos zu sein, das heißt: Selbstbefriedigung, Sadismus, Sodomie – kein Problem in dieser Tragikomödie, ebensowenig wie Inzest.

Dabei fängt alles so harmlos an: mit einer ganz normalen Familie, eben die übliche Besetzung einer üblichen Sitcom. Sitcom: Das sind jene zahlreichen, häufig aus Amerika importierten Serien, in denen die Wohnung einer Familie die einzige Kulisse bildet, die triviale Handlung sich über Begebenheiten wie die Streiche des renitenten Sohnes, die aktuellen Liebesaffären der Tochter und die Verdauungsbeschwerden des Familienvaters erstreckt. Eine ähnliche Familie, vielleicht etwas bürgerlicher als gewohnt, wird zunächst auch hier dargestellt. Mutter Hélène – Dallas-Miß-Ellie, durch den Kopierer gezogen –, leidlich gebildet und ziemlich gepflegt, leistet sich vom Gehalt ihres großverdienenden Mannes eine südamerikanische Putzfrau. Daß die temperamentvolle, hübsche Maria bald zum familiären Abendessen eingeladen wird, resultiert aus einem Hintergedanken Hélènes: Sie möchte die Raumpflegerin auf ihren schwächelnden, sexuell scheinbar zurückgebliebenen Sohn Nicolas ansetzen.

Doch Hélènes Planung entzieht sich bereits der Nachmittag: Jean, Familienoberhaupt in der konservativsten Bedeutung des Wortes, bringt eine Albino-Ratte nach Hause. Was die Mutter ekelt und die beiden halbwüchsigen Kinder nur mäßig begeistert, fungiert fortan als zauberisches Wesen, das bei Berührung die geheimsten, verborgenen Sehnsüchte in den einzelnen Familienmitgliedern freisetzt. Als dann Maria eintrifft, erscheint sie nicht allein, sondern in Begleitung ihres dunkelbraunen Verlobten Abdu. Hélène schluckt, doch da die herzensinnige Weltoffenheit über den Wunsch obsiegt, Nicolas an die Frau zu bringen, findet sich die Familie samt der dumpfen Tochter Sophie und ihres ebenso dumpfen Freundes David bald in einem beflissenen Geplänkel mit dem gebildeten Mann aus Kamerun. Wer nicht mitplänkelt, ist Nicolas, der, noch Rattenurin an den Fingern, sich schließlich erhebt und verkündet: "Ich bin schwul." Während Hélène zusammenbricht und Jean eher ungerührt auf das antike Griechenland verweist, bietet sich Abdu, erfahren in der Jugendarbeit, an, mit Nicolas zu reden. In Nicolas Zimmer wird jedoch wenig geredet, vielmehr erfährt Nicholas jetzt seine sexuelle Inititiation.

Das heißt nicht, daß der Film mit einem Schocker auftaktet, nein, im Laufe der nächsten Tage tickt jeder einzelne aus seiner bislang angenommenen Rolle – und von Mal zu Mal wird es schlimmer. Tochter Sophie und ihr Freund begnügen sich bald nicht mehr mit vergnügtem Befummeln, sondern treiben wüste Sadomaso-Orgien, Nicolas veranstaltet im noch kurz zuvor wohlanständigen Haus Sodomie-Runden mit gleichgesinnten Menschen und einer breiten Gemüsepalette, und als schließlich Hélène selbst, nach einer nächtlichen Begegnung mit der Ratte, "Liebe, Dialog und Zärtlichkeit" bei ihrem Sohn sucht und findet, ist vielleicht endlich alles gesagt, was Jungfilmer Ozon so zu sage hatte: eine vorurteilsfreie Beleuchtung von "als abnorm geltenden Grenzbereichen der Sexualität im positiven Sinne", wie es im Presseinfo heißt. "Politisch inkorrekt" also auch dies.

Diesen Film braucht ganz gewiß kein Mensch, doch immerhin wird hier ein Begriff samt seiner Negierung verdienterweise ad absurdum geführt.


 
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