© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Jörg Schönbohm: Der CDU-Landeschef über seine Partei, die PDS, Brandenburger Verhältnisse, deutsche Leitkultur und sein Verständnis von nationaler Identität in Europa
"Ich möchte, daß die innere Einheit vorangetrieben wird"
Thorsten Thaler / Dieter Stein

Herr Schönbohm, Sie waren Drei-Sterne-General der Bundeswehr, Staatssekretär auf der Bonner Hardthöhe, Innensenator in Berlin und sind jetzt CDU-Vorsitzender in Brandenburg. Haben Sie angesichts dieses politischen Werdegangs Ihren Wechsel in die Politik jemals bereut?

Schönbohm: Nein, eines hat sich aus dem anderen ergeben, wobei keines folgerichtig war. Alle Entscheidungen, die ich getroffen habe, hängen sehr stark zusammen mit dem Thema, das mich seit 1990 besonders bewegt, die deutsche Einheit. Ich bin Staatssekretär geworden im Vollzug der deutschen Einheit, nachdem ich die nationale Volksarmee übernommen hatte. Ich bin in die Politik nach Berlin gegangen, weil ich ein überzeugter Verfechter der Region Berlin-Brandenburg bin. Ich bin in Potsdam in die CDU eingetreten im Mai 1994, bis dahin war ich in keiner Partei. Damals trat ich in die CDU ein, weil die PDS so stark war und ich glaubte, man muß einen Beitrag gegen diese Entwicklung leisten. Schließlich bin ich nach Brandenburg gegangen, weil die CDU dort Schwierigkeiten hatte, ihr Profil deutlich genug herauszuarbeiten. Dabei ist es gerade in den neuen Bundesländern wichtig, daß die CDU immer wieder herausstreicht, welchen Beitrag sie zur Wiedervereinigung geleistet hat und daß sie die Partei der deutschen Einheit ist. Das ist für mich das Motiv, warum ich jetzt auch als Spitzenkandidat gegen Manfred Stolpe antrete, der zwar ein hohes Ansehen in Brandenburg hat, der für mich aber nicht für die Einheit steht.

Trotzdem: Sie waren als Innensenator in Berlin unter anderem für die Sicherheit des Regierungssitzes verantwortlich. Jetzt tingeln Sie durch brandenburgische Städte und Dörfer. Was empfinden Sie dabei?

Schönbohm: Der Wechsel von Bonn nach Berlin war schon ein Unterschied. Ich war zuständig für die Sicherheitspolitik und habe mich überwiegend im Ausland aufgehalten. All das habe ich dann aufgegeben und mich neuen Herausforderungen zugewendet. Jetzt versuche ich, mit den Bürgern Brandenburgs ins Gespräch zu kommen, das nimmt einen auch in die Pflicht. Was ich dabei empfinde? Auf der einen Seite freue ich mich, das Land besser kennenzulernen und mich den Leuten auch verständlicher zu machen. Andererseits ist es anstrengend, aber darüber will ich mich nicht beklagen.

Die CDU lag bei der letzten Landtagswahl in Brandenburg bei knapp 19 Prozent, fast gleichauf mit der PDS. Jetzt streben Sie ein Ergebnis von 25 Prozent an. Glauben Sie an Wunder?

Schönbohm: Nein, es wäre ja kein Wunder, sondern ein Weg zur Normalität. Das letzte Ergebnis war von den Querelen in der CDU bestimmt und von dem großen Ansehen des Ministerpräsidenten Stolpe, das in der Zwischenzeit jedoch etwas gelitten hat. Der Lack ist ab. Deswegen glaube ich sogar, daß es mehr als 25 Prozent werden können. Bei der letzten Wahl, auf die Sie sich beziehen, hat die SPD über zehn Prozent dazugewonnen. Warum soll sie jetzt nicht fünf oder acht Prozent zugunsten der CDU verlieren?

Weil möglicherweise der Zustand der CDU in Brandenburg nicht gerade dazu angetan ist.

Schönbohm: Wir haben in den letzten Monaten eine enorme Geschlossenheit gezeigt. Im übrigen ist der Zustand der SPD ja auch nicht toll. Das wird alles überstrahlt und überwölbt von Stolpe.

Wird der Wahlkampf ganz auf Sie als Spitzenkandidat zugeschnitten sein, oder werden Sie mit einem Schattenkabinett antreten?

Schönbohm: Der Wahlkampf wird wohl zwangsläufig stark auf den Spitzenkandidaten, in diesem Fall auf mich, zugeschnitten sein, weil in Brandenburg die Personalisierung sehr weit fortgeschritten ist. Und wenn Sie einen Gegenentwurf präsentieren, müssen Sie auch die entsprechende Person haben. Im Kabinett Stolpe gibt es keinen Minister der so herausragt, daß er für die SPD Stimmen zieht. Abgesehen von Frau Hildebrandt in ihrer unnachahmlichen Art, auch wenn ihre Inhalte nach meiner Meinung falsch sind. Aber alle anderen Minister spielen da keine Rolle.

Es wird also kein Schattenkabinett geben?

Schönbohm: Nein.

Sie wollen die absolute Mehrheit der SPD in Brandenburg brechen und streben eine Koalition an. Jörg Schönbohm als Juniorpartner einer Regierung Stolpe?

Schönbohm: Die Frage kann ich erst beantworten, wenn sie sich stellt. Ich will Fraktionsvorsitzender werden und als Parteivorsitzender die CDU profilieren.

Schließen Sie einen Kabinettsposten aus?

Schönbohm: Es ist nicht mein Wunschtraum, unter Stolpe Minister zu werden.

Durch die Abwicklung der NVA haben Sie sich großen Respekt insbesondere bei ehemaligen NVA-Angehörigen erworben. Sie haben die NVA-Soldaten als Kameraden und nicht als Angehörige einer besiegten Armee behandelt. Nun sind Sie einerseits jemand, der die PDS radikal bekämpft, andererseits haben Sie durch die NVA-Abwicklung einen besonderen Zugang zu einer typischen Wählerklientel der PDS. Ist das ihr Geheimrezept, die PDS-Wähler anzusprechen?

Schönbohm: Nein. Ich glaube, man muß sich mit der PDS-Führung und der Programmatik der Partei sehr hart und sehr unzweideutig auseinandersetzen, um immer wieder deutlich zu machen, daß sie die Nachfolgepartei der SED ist. Das kann man aus der Programmatik erläutern, die viele gar nicht kennen, weil die PDS eine Strömungs- und Stimmungspartei ist. Was ich tun werde – das habe ich auch schon in Ost-Berlin gemacht – ist vor allem zuhören. Als ich die Volksarmee übernommen habe, habe ich festgestellt, daß Glaubwürdigkeit dadurch entsteht, daß man anderen zuhört, die eigene Position erläutert und dann in einen Dialog eintritt. Das wird sich auch in unserem Wahlkampf widerspiegeln, wenn wir die Menschen davon überzeugen wollen, daß wir die besseren Lösungsansätze haben. Aber ein Geheimrezept gibt es nicht.

Sie haben die PDS früher wörtlich als eine "anschubfinanzierte kommunistische Kaderpartei" bezeichnet. Bleiben Sie heute noch bei dieser Bewertung?

Schönbohm: Was ich gesagt habe, bezog sich auf die PDS in Berlin. Aber wenn Sie sich die PDS in Brandenburg anschauen, die jetzt eine Landesvorsitzende gewählt haben, die sich mit nur 55 Prozent gegen einen kommunistischen Alt-Kader durchsetzen konnte, dann zeigt das, daß in dieser Partei die Strömung der kommunistisch denkenden Parteimitglieder auch in Führungspositionen noch sehr stark ist. Und wenn man in der Politik etwas verdeutlichen und verändern will, muß man bisweilen eine etwas kräftige und bildhafte Sprache finden. Das habe ich hier bewußt getan. Interessanterweise hat die PDS darauf nicht reagiert.

Aber treiben Sie mit solchen Formulierungen die Wähler nicht in die Arme der PDS?

Schönbohm: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube vielmehr, daß ich damit die Wähler und Mitglieder der PDS dazu bewegen kann, sich etwas intensiver auch die Frage der Vergangenheitsbewältigung zu stellen, die ja nicht genug in der PDS diskutiert wird und die auch durch die Zusammenarbeit der SPD mit der PDS in den Hintergrund gedrängt wird. Da kann man seinen Beitrag leisten und die Wähler überzeugen, daß die PDS die falschen Lösungsansätze hat.

Der Erfolg der PDS liegt weniger an ihrer Programmatik oder den Spitzenleuten, sondern an ihrer Verwurzelung im Osten und daran, daß sie ein Heimatbewußtsein besetzt hat.

Schönbohm: Das Heimatgefühl versucht Stolpe zu besetzen, indem er ständig "Steige hoch, du roter Adler" singt, sich in der Lausitz in der Tracht der Sorben zeigt und auch mal die brandenburgische Küche probiert

… und damit ankommt beim Wähler.

Schönbohm: Ja sicher. Aber die PDS steht für etwas anderes. Ihre Wähler nehmen die PDS weniger als eine programmatische Partei wahr, sondern als eine, die ihre Gefühlswelt aufnimmt und weitergibt. Es ist die Partei, in der sie sich verstanden fühlen. Da liegt das Problem. Die PDS hat noch nicht deutlich genug gemacht, daß Brandenburg nicht mehr in der DDR, sondern im wiedervereinigten Deutschland liegt und daß sich daraus gewisse Veränderungen in der Gesellschaft ergeben haben. Beispielsweise in der Betonung der Eigenständigkeit der Persönlichkeit und der Freiheit, sein Leben selbst zu bestimmen. Da gibt es zwischen der PDS und der SPD Ähnlichkeiten. Die Stolpe-SPD setzt ja sehr stark darauf, dem Bürger deutlich zu machen, daß der Staat alle umsorgt und der Einzelne nicht so sehr gefordert ist, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Das ist zwar der falsche Entwurf, aber er kommt an.

Kommen wir zu einem anderen Thema: Sie werden häufig der "nationalen Schwärmerei" bezichtigt. Was bedeutet Ihnen die Nation und was verbinden Sie damit?

Schönbohm: Mir bedeutet der Begriff Nation sehr viel. Die deutsche Einheit können Sie nur aus dem Begriff der Nation heraus erklären. Ich glaube, die Nation ist ein ganz wichtiger Identifikationsrahmen in der Geschichte: Schicksalsgemeinschaft, Staatsvolk, Kultur und gemeinsame Zukunftsgestaltung. Diejenigen, die den Begriff der Nation ablehnen, haben noch nicht begriffen, daß auch in einem mehr zusammenwachsenden Europa die Nation für die Menschen in Europa weiterhin der entscheidende Bezugs- und Orientierungsrahmen bleibt. Solange wir eine geteilte Nation waren, hatten wir große Schwierigkeiten. Ich habe die deutsche Einheit als einen wirklicken Glücksfall der deutschen Geschichte empfunden, daß wir als Volk wieder in einem Staat mit gesicherten Grenzen leben. Darum lasse ich auch den Gegensatz zwischen Nation und Europäische Union nicht zu. Die Europäische Union besteht aus Nationen. Außerdem haben mir gerade Vertreter osteuropäischen Staaten gesagt: "Sagt, daß Ihr eine Nation seid und definiert Eure nationalen Interessen." Das ist für mich ein zentraler Punkt.

Stimmen Sie der These zu, daß das Bewußtsein für Nation, auch für Heimat, in den neuen Bundesländern stärker ausgeprägt ist als in Westdeutschland? Und wenn ja, kommt dann zu Ihrer Grundüberzeugung vielleicht auch ein wahltaktisches Moment hinzu?

Schönbohm: Nein, ein wahltaktisches Moment kommt in diesem Zusammenhang überhaupt nicht hinzu. Ich habe mich seit 1992, als ich Staatssekretär war und die deutsche Sicherheitspolitik mitgestaltet habe, immer wieder zur nationalen Frage und zur Nation geäußert. Ich habe dafür zum Teil auch Prügel bekommen. Doch wir haben nationale Interessen, die wir definieren und vertreten müssen. Das kann man nicht außer Kraft setzen. Das hat nichts mit Wahltaktik zu tun. In Westdeutschland hat man lange Zeit Angst gehabt, den Begriff der Nation überhaupt in den Mund zu nehmen. Das hat zu einer gewissen verkrümmten Haltung geführt. In den neuen Bundesländern hat man nach der Wiedervereinigung sehr schnell die regionale Identität, also Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, wieder entdeckt. Ich glaube, daß man in den neuen Bundesländern stärker regional orientiert ist als international. Außerdem spielt die Nation als abstrakte Denkfigur nicht die entscheidende Rolle, sondern eher das deutsche Volk als Gemeinschaft.

Und das gerade bei einem Teil der PDS-Wählerklientel.

Schönbohm: Auch, ja.

Gibt es dann nicht doch einen Zusammenhang zwischen Ihren Ansichten zu Nation, Volk und Heimat und Ihrem Bemühen, auch in PDS-Wählerkreise einzubrechen?

Schönbohm: Ich habe nicht die Absicht, auf meine alten Tage die Grundsätze, zu denen ich immer gestanden habe, nur wegen einer Wahl zu ändern. Ob ich den Wahlkampf erfolgreich führen kann, hängt auch mit meiner persönlichen Glaubwürdigkeit zusammen. Als junger Offizier habe ich 1962 eine Arbeit veröffentlicht, in der ich einige Grundlagen meines Denkens formuliert habe und für die ich einen Preis bekommen habe. Seither habe ich immer wieder veröffentlicht, gerade in den letzten Jahren eine ganze Menge. Das alles habe ich getan, ohne jemals zu ahnen, daß ich einmal in Brandenburg Spitzenkandidat gegen die SPD und gegen die PDS werde. Aus dieser Kontuinität des Denkens heraus mache ich Politik. Und gerade weil ich den Begriff der Nation für so wichtig halte, möchte ich, daß die innere Einheit vorangetrieben wird. Dazu gehört, daß es in Brandenburg eine politische Alternative zu SPD und PDS gibt und daß sich eine demokratische Streitkultur entwickelt, die im Augenblick fehlt.

Ist man in Brandenburg weiter entfernt von der inneren Einheit als anderswo?

Schönbohm: Ich glaube ja.

Warum?

Schönbohm: Das hängt mit der sehr stark rückwärtsgewandten Politik zusammen, die von der jetzigen Regierung vertreten wird und die eine starke Abschottung Ost gegen West betreibt. Von dieser Regierung wird weniger das Gemeinsame in Deutschland betont. Statt dessen hebt man das Trennende hervor und leitet daraus einen Interessengegensatz Ost/West ab. In anderen Regionen wie in Thüringen zum Beispiel ist man da viel weiter.

Der CDU in den neuen Bundesländern hängt das Image einer vom Westen dominierten Partei an. Wie wollen Sie davon wegkommen?

Schönbohm: Wenn Sie sich die Landesregierung in Brandenburg anschauen, können Sie feststellen, daß sie von Westimporten dominiert ist. Ein anderer Punkt: Seitdem die SPD die Bundesregierung stellt, stellen wir fest, daß die Landes-SPD in Brandenburg außerordentlich lammfromm am Zügel geht. So hat sie beispielsweise der Öko-Steuer zugestimmt, obwohl dieses nicht im Landesinteresse ist. Meine Aufgabe ist es, Brandenburger Interessen zu vertreten, und das werde ich auch tun. Dabei wird deutlich werden, daß die Landesregierung gegenüber der jetzt von der eigenen Partei gestellten Bundesregierung nicht die Kraft hat, dieses zu tun.

Wie läuft die Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft in Brandenburg?

Schönbohm: Gut. Bis jetzt haben wir etwa 60.000 Unterschriften gesammelt.

Rot-Grün hat sich jetzt auf das sogenannte Optionsmodell verständigt, bei dem sich hier geborene Ausländer bis zum 23. Lebensjahr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden sollen. Ist das ein Weg, den Sie mitgehen können?

Schönbohm: Nein, wir haben das gerade im Bundesvorstand besprochen. Wir sind einstimmig der Auffassung, daß das Optionsmodell nicht der richtige Weg ist. Wir glauben vielmehr, daß der Staat eine Einbürgerungszusage geben sollte, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Es hängt dann von dem Ausländer ab, ob er diese Zusage annimmt. Etwas anderes muß man aber deutlich klarstellen: Wenn die Grünen unsere Position vertreten würden, würden sie sofort mit dem Schlagwort arbeiten, wir betrieben eine Zwangsgermanisierung. Denn das haben sie im Ergebnis vor: Wer hier geboren wird, ist per Geburt Deutscher. Auch wenn die Eltern das nicht wollen. Nein, die ideologischen Antriebskräfte bei den Grünen sind noch nicht erlahmt, und die SPD macht dies mit. Die Union wird das nicht mitmachen.

Viele selbst in der CDU waren über den enormen Zuspruch der Unterschriftenaktion verblüfft. Auf der anderen Seite tut sich die Union sehr schwer mit der Einbindung des Volkes über Plebiszite oder Befragungen. Woher diese große Scheu?

Schönbohm: Wir glauben, daß die repräsentative Demokratie der richtige Handlungs- und Entscheidungsrahmen ist, indem die Entscheidungsprozesse erfolgen. Die Unterschriftenaktion ist in dem Sinne auch kein Plebiszit, sondern eine politische Willensbildung, die durch die Hessenwahl untermauert wurde. Aber Sie sprechen ein anderes Defizit an. Als ich darauf hingewiesen habe, daß die Integration der Ausländer nicht funktioniert, weil wir zu viele Ausländer haben und überlegen müssen, wie wir den Nachzug regeln, habe ich großen Ärger bekommen, politisch und öffentlich von den Medien. Ich habe diese Themen angesprochen, nachdem ich vor allem in Berlin-Kreuzberg sehr viele Mieterversammlung besucht habe und dann durch die Häuser gegangen bin. Wenn man die Wirklichkeit dort wahrnimmt, muß man politisch tätig werden. Das Defizit der großen Parteien, bei SPD und Grünen noch mehr als bei der Union, besteht darin, daß manches nicht so wahrgenommen wird, wie es der Bürger erfährt. Entweder wegen der ideologischen Brille oder aus Gründen der politischen Korrektkeit. Ich bin zutiefst davon überzeugt, wenn man politisch glaubwürdig sein will, muß man, wie Franz Josef Strauß gesagt hat, dem Volk aufs Maul schauen und nicht nach dem Mund reden. Oder anders ausgedrückt: die Sorgen und Nöte der Bürger ernst nehmen und zwar die, die sie haben, und nicht die, die wir ihnen einreden.

Wird die CDU in Zukunft stärker das Volk mit einbeziehen?

Schönbohm: Das müßte man an einem konkreten Fall sehen. Es wäre natürlich ideal, wenn wir im Wahlkampf in Brandenburg ein solch emotionalisierendes Element finden. Dann würde ich das nutzen.

Welches Thema können Sie sich da vorstellen?

Schönbohm: Ich sehe im Augenblick keines, das diese emotionalisierende Wirkung hat.

Ist das nicht ein Widerspruch, wenn man nur bei Themen, die einem in den Kram passen, das Volk befragt? Bei der Einführung des Euro hat die Union es nicht getan.

Schönbohm: Das hat Manfred Brunner mit dem Bund Freier Bürger ja versucht. Mit seinem Wahlkampf gegen den Euro hat er aber nicht die gewünschte Resonanz gefunden. Es ist auch eine politische Führungsaufgabe, daß man die Bürger und die Wähler davon überzeugt, warum die Entscheidugn für den Euro richtig ist. Diese Arbeit ist manchmal unterschätzt worden. Aber eine Partei wird nur dann eine Unterschriftenaktion machen, wenn sie der Auffassung ist, daß sie dadurch Schaden vom Land abwendet. Sie wird keine Unterschriften sammeln, wenn sie merkt, die Stimmung ist nicht gut. "Ich bin an sich dafür, will jetzt aber dagegen sein" – das geht nicht.

Sie haben den Begriff von der "deutschen Leitkultur" geprägt. Was verstehen Sie darunter?

Schönbohm: Wenn ich von Integration spreche und davon, wie unsere künftige Gesellschaft aussieht, meine ich, daß Parallelkulturen nicht entstehen dürfen. Die Grundlage unseres Zusammenlebens ist die deutsche Kultur, so wie sie sich seit Otto dem Großen bis heute entwickelt hat. Diese Kultur hat immer in Berührungen mit anderen Kulturen gelebt, mit der slawischen, der französischen und vielen anderen. Sie hat sich immer weiter entwickelt. Aber dies muß die Grundlage sein. Selbst Herr Thierse sagt heute, es müsse einen Grundkanon geben, der Goethe, andere deutsche Klassiker und die Bibel beinhalten muß. Dann habe ich gesagt, und das ist vielfach mißverstanden worden, Multikulti ist die letzte Utopie der Linken, doch sie wird scheitern. Ich habe mich dabei bezogen auf ein Buch des Grünen Cohn-Bendit und Thomas Schmidt mit dem Titel "Heimat Babylon", wo eine Art utopische Entwicklung von Multikulti beschrieben ist. Ich habe gesagt, wir werden eine Vielfalt von Kulturen in Deutschland haben, wobei immer klar sein muß, daß die deutsche Kultur die Basis sein muß. Darum geht es.

Nun wird Brandenburg in den Medien in Zusammenhang mit einer besonders hohen Zahl von fremdenfeindlichen Straftaten gebracht. Kritiker halten Ihnen vor, Sie würden mit Ihren Positionen in der Ausländerpolitik die Täter ermuntern und seien selbst ein "Schreibtischtäter". Bringt Sie das auf die Palme?

Schönbohm: Nein, das sind Totschlagargumente. Man glaubt damit, einem ein Sprech- und Denkverbot auferlegen zu können. Der Tod einer Demokratie ist, wenn man nicht die Grunderfahrung der Menschen aufnehmen kann. Darum lasse ich mich dadurch nicht beirren. In vielen Dingen ist die von mir vertretende Position, die heftig umstritten war, jetzt zum Allgemeingut geworden. Ich habe zum Beispiel einen Artikel mit dem Titel "Integration ist keine Einbahnstraße" geschrieben. Darin habe ich gesagt, was wir von den ausländischen Mitbürgern verlangen müssen. Es gab einen Riesenärger. In der Zwischenzeit sagen das alle. Da muß man ein dickes Fell haben. Was mich an der Sache eigentlich ärgert, ist diese scheinheilige Argumentation der Linken. Nach dem Motto, wenn ich bestimmte Positionen nicht vertreten hätte, hätte es keine Fremdenfeindlichkeit in Brandenburg gegeben. Das ist doch absurd.

Eine Einbürgerung ist doch eigentlich ein Grund zu feiern. Unter den jetzigen Bedingungen kann ein Gefühl, in eine neue Gemeinschaft aufgenommen zu werden, erst gar nicht aufkommen. Worin soll sich denn jemand integrieren und worauf soll er stolz sein?

Schönbohm: Das hängt mit den parteipolitischen Gegebenheiten zusammen. Rot-Grün will die Einbürgerung als Persilschein ausgeben, das soll kein feierlicher Akt sein. Stilfragen staatliche Repräsentanz sind lange Zeit vernachlässigt und gering geachtet worden.

Trägt dazu nicht auch bei, daß selbst die politische Führung des Landes zuweilen den nötigen Ernst vermissen läßt.

Schönbohm: Ja, das fängt bereits damit an, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland im Fernsehen sich danach fragen läßt, ob seine Haare gefärbt sind. Die Steigerung all dessen, was Schröder macht, ist nur der Striptease. Wir müssen wieder lernen, daß Staatsämter eine gewisse Würde haben. Es ist doch beispielsweise richtig, daß man sich aus Achtung und Respekt vor dem Amt erhebt, wenn der Bundeskanzler oder der Bundespräsident den Raum betreten. Oder nehmen Sie ein anderes Beispiel: Wenn man die Nationalhymne singt und aufsteht, ist das ein Tribut an die eigene Nation. Dieses sollte wieder etwas selbstverständlicher werden. Das können wir von großen Demokratien wie Frankreich und England lernen.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von einer Winston-Churchill-Kaserne?

Schönbohm: Nichts.

 

Jörg Schönbohm Generalleutnant a.D., wurde 1937 in Neu-Golm in der Mark Brandenburg geboren. Nach dem Abitur trat er 1957 in die Bundeswehr ein. Sein beruflicher Werdegang führte ihn über verschiedene Kommandos bis an die Spitze des Planungsstabes im Bundesverteidungsministerium im Rang eines Generalleutnants. Nach der Wiedervereinigung wurde er Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost in Strausberg, dessen Aufgabe es war, Teile der Nationalen Volksarmee der DDR in die Bundeswehr einzugliedern. Im Februar 1992 wurde Schönbohm von Verteidigungsminister Stoltenberg zum Staatssekretär auf die Bonner Hardthöhe berufen. Von Januar 1996 bis November 1998 war er Innensenator von Berlin. Seit Januar ist er CDU-Vorsitzender in Brandenburg. Bei der Landtagswahl am 5. September kandidiert er gegen Ministerpräsident Manfred Stolpe.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen