© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


Oper: "Katja Kabanowa" in der Bayerischen Staatsoper München
Schwiegermutter ohne Biß
Werner Veith / Berta Besel

Schon immer haben Gewitter die Menschen bedroht. Und schon immer stritten die Menschen, ob Gewitter schicksalhafte Ereignisse oder bloße Naturerscheinungen sind. So auch die Menschen in Rußland um 1860. "Gewitter sind unsere Strafe, damit wir die Macht Gottes spüren", meint Sawel Dikoj in Leos Janacéks Oper "Katja Kabanowa", in der die Katastrophe nicht nur von Gewitterdonner begleitet, sondern auch ausgelöst wird. Denn als wieder Blitz und Donner die Erde beben läßt, zittert Katja am ganzen Leib, schluchzt: "Mütterlein! … Gesündigt hab’ ich vor Gott, vor euch", und gesteht in ihrer Panik ihren Ehebruch – der Schwiegermutter und der gesamten Öffentlichkeit.

Die Handlung ist schnell erzählt, wenn man einige russische Namen ins Deutsche übersetzt: im Zentrum stehen Katja Kabanowa, ihr Mann Tichon Kabanow – zu deutsch: der Stille Kabanow – und ihre böse Schwiegermutter Marfa Kabanicha – zu deutsch: Marfa Wildsau. Zwischendurch wütet noch der unkontrollierte Kaufmann Sawel Dikoj – zu deutsch: Sawel Wilde.

Die Geschichte beginnt, als Marfa Wildsau (Sally Burgess) ihren Sohn auf Geschäftsreise schickt. Katja (Catherine Malfitano) fleht ihren Mann vergeblich an, mitreisen zu dürfen. Sie hat große Angst, ihm untreu zu werden. Und daß Katjas Angst berechtigt ist, zeigt sich schnell: sie verliebt sich in einen anderen Mann, und das Unglück nimmt seinen Lauf.

Als ihr Ehemann, der "Stille" Kaban, nach Hause kommt und Katja ihm ihre Verfehlung gesteht, ist er bereit zu verzeihen. Doch die Scham und die gehässigen Worte der Marfa Wildsau sind stärker. Sie drängen Katja in den Tod, den sie in den Fluten der Wolga sucht.

Das Bühnenbild in München ist ohne barocke Zierde, dafür stechen die Beleuchtungseffekte ins Auge. War das erste Bühnenbild hellgrün und wasserfarbig oder so giftgrün wie das Kleid von Marfa Wildsau? Durch die geschickte Lichtführung ändert sich der Farbton mehrmals, vielleicht wie das Wasser der Wolga, das den Strudel der Ereignisse anzeigt. Der Bühnenaufbau, der zwei Stockwerke übereinandersetzt, auf denen zum Teil parallel agiert wird, erschließt sich eindrucksvoll im letzten Bild: das Erdgeschoß als weißgetünchte Halle, im Obergeschoß eine Promenade zum Schlendern an der Wolga. Von einem Schiff ist nur ein Segelgerüst sichtbar – das auch ein Kreuz auf Katjas Grab sein könnte.

Nicht weniger imponierend die Gesangsleistungen der Aufführung. Nur bei den höheren Tönen wird Catherine Malfitano etwas leiser. Überzeugend verkörpert sie Katja als verspielte Träumerin, die zugleich stolz, aber auch emotional und unbeständig ist. Sehr eindrucksvoll war das schauspielerische Talent von Nadja Michael. Sie sang brillant die unverheiratete Pflegetochter im Hause von Marfa Wildsau, die als Kupplerin Katjas Ehebruch anbahnt. Viel zu brav spielte Sally Burgess die böse Schwiegermutter. Eine wirkliche Giftspritze war sie nie, wie es der Text ihr vorgibt, wenn sie Katja zur Sühne lebendig in die Erde eingegraben wünscht. Und sie glich weder einer russischen Dampfwalze, die heutzutage mit spitzen Ellbogen und Körpergewicht in die Moskauer Metro drängt, noch einer scheinheiligen Intrigantin.

Es ist schwierig, Janacéks Musik zu beschreiben: welche Adjektive und Hauptwörter sind seinem Klangteppich angemessen, der sich alle paar Minuten ändert? Wie lassen sich Janacéks musikalische Impressionen in Sprache fassen? Einerseits klingt die Musik von "Katja Kabanowa" wie eine Mischung aus Gustav Mahler, Debussy, Mussorgsky und Sibelius. Und doch ist Janacéks Musik ganz eigenständig. Sie verschmilzt mit dem Text und der Handlung zu einer Einheit, die bis ins letzte durchkomponiert erscheint. Doch man versteht kein Wort, weil alles auf Tschechisch gesungen wird und die weltberühmte Bayerische Staatsoper auf Übertitel verzichtet. Die Sympathie für Janacéks Musik steigt enorm, wenn man den Text vor Augen hat. Erst dann versteht man die Musik und kann sie wirklich genießen.

Paul Daniel am Pult rückt das Melodische in den Vordergrund und führt mit großer Einfühlungskraft das Bayerische Staatsorchester zu einer sehr überzeugenden Leistung.

Die Inszenierung von David Poutney verharrt weitgehend auf der psychologischen Ebene. Man hätte die Oper aber auch als Milieustudie der russischen Kaufleute auffassen können. Oder als Gesellschaftsstück, in dem die Schwiegermutter nur stellvertretend für die menschliche Kälte und kompromißlose Härte des Zarenregimes steht. Vielleicht erklärt das die Verhärtung der Fronten in der russischen Geschichte und den Wandel der sozialdemokratischen Partei Rußlands zum fanatischen Bolschewismus und terroristischen Stalinismus.

 

Karten für die Aufführung in der Staatsoper (Maximilianstr. 11, 80539 München) sind unter Tel. 089 / 21 85 19 20 und http://www.staatstheater.bayern.de/staatsoper   erhältlich.


 
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