© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


Doppelte Staatsbürgerschaft: Rechtsanwalt Hannes Kaschkat über Bedenken gegen das Optionsmodell
"Verfassungsrechtlich höchst fragwürdig"
Thorsten Thaler

Herr Dr. Kaschkat, die Regierungskoalition hat sich auf das rheinland-pfälzische Modell zur Staatsbürgerschaft geeinigt. Halten Sie den Doppelpaß für hier geborene Ausländerkinder für die Lösung der Integrationsprobleme?

Kaschkat: Zunächst geht es primär nicht um Pässe, sondern um die Staatsangehörigkeit. Der Paß ist nur ein nachrangiger Gesichtspunkt bei der Frage der Staatsangehörigkeit. Ich halte auch wenig von quasi amtlich verordneter Integration von Ausländern. Das soll jeder einzelne Ausländer machen, wie er es für sich und seine Familie für richtig hält. Wir brauchen als zahlenmäßig größtes Volk in Europa keine Zwangsgermanisierung. Integration halte ich für ein "Modewort" aus dem Wörterbuch des "Gutmenschen".

Was kann man tun, wenn sich jemand mit 23 Jahren nicht entscheiden will und seinen zweiten Paß nicht abgibt? Kann man ihn dazu unter Androhung von Sanktionen verpflichten?

Kaschkat: Noch einmal: Es geht zuerst um die Frage der Staatsangehörigkeit und nicht um Pässe. Man kann Pässe mit derart individuellen Gültigkeitsdauern versehen, daß sie zum Beispiel mit Erreichen des 23. Lebensjahres ungültig werden.

Wäre eine solche Regelung überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar?

Kaschkat: Der Paß ist ja nicht identisch mit der Staatsangehörigkeit.

Aber er ist ihr sichtbarer Ausdruck.

Kaschkat: Sicher. Aber es ist doch ganz normal, daß ein Paß zur Zeit zehn Jahre gültig ist. Das kann künftig doch auch so geregelt werden, daß der Paß künftig mit Erreichen des 23. Lebensjahres ungültig. Dann müssen sich die Betroffenen eben entscheiden, und wenn sie das nicht tun, bekommen sie keinen neuen Paß. Das kann durch einfache gesetzliche Regelungen festgelegt werden.

Wie steht es mit der Staatsangehörigkeit?

Kaschkat: Nach Artikel 16 Absatz 1 Grundgesetz darf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden. Auch ein Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund eines Gesetzes ist nur in ganz engen Grenzen möglich. Hier bin ich gespannt, wie der rot-grüne Gesetz- geber diese verfassungsrechtlichen Klippen umschiffen will.

Wo soll jemand mit zwei Staatsangehörigkeiten seinen Wehrdienst leisten?

Kaschkat: Einer zweimaligen Wehrpflicht werden sich Inhaber zweier Staatsangehörigkeiten nur dann entziehen können, wenn dazu zwischenstaatliche Abkommen geschlossen werden, etwa zwischen Deutschland und der Türkei, oder aber es müssen unsere deutschen Wehrdienst- und Zivildienstgesetze geändert werden.

Denkbar ist also tatsächlich, daß die Betreffenden in zwei verschiedenen Staaten ihren Wehrdienst leisten.

Kaschkat: Sicher, da gibt es ja genug Fälle. Ein Klassenkamerad von mir, der zugleich Schweizer Statasbürger war, hatte nach seinem Dienst bei der Bundeswehr viel zu tun, um sich der anschließenden Militärpflicht in der Schweiz rechtlich wirksam zu entziehen. Dieses Problem hat es schon immer gegeben. Wenn man zwei Staatsangehörigkeiten hat, bringt das nicht nur Vorteile mit sich.

In welchem Land kann der hier geborene Türke mit deutscher und türkischer Staatsangehörigkeit wählen – in Deutschland, in der Türkei oder in beiden Staaten?

Kaschkat: Nach deutschem Recht in Deutschland, das türkische Wahlrecht kenne ich nicht. Es kann auch sein, das das türkische Wahlrecht Staatsangehörige mit ständigem Wohnsitz im Ausland in der Türkei des Wahlrechtes entkleidet. So wie es bei uns zum Beispiel Paragraph 12 des Bundeswahlgesetzes für lange in Übersee abwesende Deutsche vorsieht.

Kann man von hier geborenen Doppelstaatern ein Bekenntnis zur Verfassungstreue fordern?

Kaschkat: Das wird schwierig sein. Aber es kommt auf die im Moment noch unbekannte zukünftige gesetzliche Regelung an und deren Vereinbarkeit mit unserem Verfassungsrecht. Im traditionellen Einwanderungsland USA muß ja der Neubürger bei seiner Aufnahme in die US-Staatsangehörigkeit ausdrücklich der Treue gegenüber seinem Herkunftsland abschwören.

Wie bewerten Sie das Optionsmodell im Hinblick auf die ethnische Zusammensetzung des deutschen Staatsvolkes?

Kaschkat: Ich halte die qualitative Änderung des deutschen Volkssouveräns durch massenhafte Aufnahme Nicht-Deutscher für verfassungsrechtlich höchst fragwürdig. Das Grundgesetz spricht in seiner Präambel, die bindende Wirkung hat, vom deutschen Volk und den Deutschen in den Bundesländern. Es kann der Regierung deshalb nicht gestattet sein, durch massenhafte Veränderung der Wählerschaft ein neues Wahlvolk zu basteln, um mit dessen Hilfe die politische Landschaft quasi für die Ewigkeit zu zementieren.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Chancen einer von der CDU/CSU angekündigten Verfassungsklage?

Kaschkat: Was ich bisher darüber gelesen habe, greift die Union viel zu kurz. Sie hat ihre Bedenken wegen Artikel 16 Absatz 1 Grundgesetz, ob man diese zeitweilige Staatsangehörigkeit überhaupt einführen könne mit entsprechendem Entzug, wenn keine Entscheidung getroffen wird. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der CDU knüpfen also auf ausgesprochen niedriger Ebene an. Die grundsätzlichen Bedenken bestehen darin, ob es gestattet ist, über eine Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts und die massenhafte Einbürgerung Nicht-Deutscher die Mehrheitsverhältnisse so zu verändern, daß die Wahlkörperschaft eine völlig andere wird.

Wäre nicht eine europaweite Regelung des Staatsbürgerschaftsrechts und der Einwanderungspolitik erforderlich – ein Franzose aus Marokko oder Algerien kann sich heute schon frei in Deutschland niederlassen?

Kaschkat: Das ist rechtlich nicht möglich. Es kann zwar zwischenstaatliche Abkommen über eine einheitliche Einwanderungspolitik in Europa geben, nicht aber Verfügungen über die Staatsangehörigkeit. Diese ist eine der drei konstitutiven Elemente des Staates und als solche an den konkreten Staat gebunden. Einen Staat Europa gibt es nicht und wird es unter der Herrschaft des Grundgesetzes nicht geben können.

Was ist mit der Unionsbürgerschaft?

Kaschkat: Die kann nicht den Rang einer Staatsbürgerschaft haben. Sie ist kein Staatsangehörigkeitsrecht.

Wie steht es mit der Niederlassungsfreiheit?

Kaschkat: Hierbei ist zu beachten, daß wir auf dem Wege sind, den anderen EU-Staaten Millionen von Nicht-EU-Angehörigen ins europäische Haus zu drücken. Ich kann mir schwerlich vorstellen, daß Frankreich und England, die genug Schwierigkeiten mit dem Einströmen ihrer ehemaligen Kolonialvölker ins Land haben, sehr erfreut darüber wären, wenn über Deutschland auch noch zahlreiche Türken und andere Völkerschaften zuströmen können.

 

Dr. Hannes Kaschkat, geboren 1941 in Berlin, ist Rechtsanwalt in Würzburg. Zuvor war er Assistent am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Ostrecht, Lehrbeauftragter für DDR-Recht und von 1976 bis 1982 Vizepräsident der Universität Würzburg.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen