© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


Lafontaine: Spekulationen um Gründe für seinen Rücktritt
Eine brillante Inszenierung
Michael Oelmann

Freitag voriger Woche: Ein Hauch von CNN-Kriegsberichterstattung weht durch Deutschlands Fernsehstuben. Bis in die Nacht schalten die Sender zu Live-Reportern vor das Haus des zurückgetretenen Ministers Oskar Lafontaine. Während nicht nur die von Informationsknappheit gebeutelten Moderatoren krampfhaft an ihren Sondersendungen laborieren, sondern die gesamte in- und ausländische Öffentlichkeit über die Hintergründe spekuliert, herrscht im Zentrum des Geschehens, dort, hinter den Rolläden in dem Saarbrücker Ministerhauptquartier, dramatische Funkstille.

Einen wirkungsvolleren Abgang hat die Republik noch nicht gesehen. Die ausländische Presse berichtet in nicht gekannter Breite über das Thema, die Börse boomt, der Euro erstarkt, und dazwischen immer wieder die blassen Gesichter geschockter Genossen, gezeichnet von Ratlosigkeit. Trotz erster Irritationen bei der Kabinettssitzung am Tag vor dem Rücktritt, als Kanzler Schröder deutliche Worte gegen den wirtschaftsfeindlichen Kurs der linken Minister fand, war die Entscheidung Oskar Lafontaines ein echter Paukenschlag. Ein wohlkalkulierter dazu?

Auch, wer seit Amtsantritt Schröders einiges in Sachen Polit-Entertainment gewohnt war – dieser Showdown der sozialdemokratischen Flügelehe zwischen Kanzler Schröder und Minister Lafontaine hatte es in sich. Nicht nur daß, sondern wie Lafontaine ging – nämlich die Öffentlichkeit in beredte Ratlosigkeit versetzend – heizte die Stimmung an: Auch die kurze Erklärung Lafontaines am nächsten Abend zu seinen Rücktrittsgründen brachte wenig Aufhellung in die Angelegenheit. Mit "Abstimmungsproblemen" suchte Lafontaine seinen Schritt zu erklären. Und mit seinem Wunsch, sich dem Familienleben zu widmen. Daß einem Politprofi derartige Einsichten nach wenigen Monaten der ersehnten Machtübernahme kommen, läßt viele zweifeln. Den wachsenden Spekulationen um die wahren Hintergründe tat das Lafontaine-Statement jedenfalls keinen Abbruch.

Bereits am Samstag verbreiteten vornehmlich britische Tageszeitungen dubiose Gerüchte um den "most dangerous man in Europe". Lafontaines Rücktritt habe mit Verbindungen zum Rotlicht-Millieu zu tun, werden alte Geschichten wieder aufgewärmt. Und am Sonntag berichtete die Sunday Times über angebliche Verbindungen Lafontaines zur Stasi, die in naher Zukunft publik gemacht werden sollten. Kolportiert wird, daß Kanzleramtsminister Hombach und Gerhard Schröder bei ihren Besuchen in Washington entsprechende Hinweise erhalten haben sollen, die wiederum angeblich aus den in den USA lagernden Akten der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der DDR-Staatsicherheit stammen sollen.

Und in dieser Woche rumort es aus der deutschen Presselandschaft, die Rücktrittsabsichten wären dem inneren Regierungszirkel Schröders schon seit Wochen bekannt gewesen. Bereits nach der Hessenwahl hätte es Gespräche zwischen dem Kanzler und Noch-Ministerpräsident Eichel gegeben, ihn zum neuen Finanzminister zu machen. Der Stern titelt, der Abgang Lafontaines sei Schröder bereits seit drei Wochen bekannt gewesen.

Der Regierungs-GAU, der sich angesichts der politischen Fehler seit langem angebahnt hatte, wurde schnell zur persönlicher Show des "Saar-Napoleons", zur Inszenierung um die Verstrickungen im Zentrum der Macht. Schröder hatte nur wenig Mühe, die Regierungskrise kleinzureden. Das offensichtliche Scheitern der rot-grünen Politk, die steigenden Arbeitslosenzahlen, der offene Eklat mit der Wirtschaft – alle diese realitären Komponenten des politischen Mißlingens wurden vom Wirbel um die Personen des wohlfeilen Dramas förmlich fortgesaugt.

Erfolgreich. Trotz des Bekundens der Regierung, nach dem Rücktritt Lafontaines an ihrer Politik und den Gesetzesvorhaben festzuhalten, hatte die Opposition wenig Erfolg, die Aufmerksamkeit auf die Kanzlerverantwortung zu lenken.

Lafontaine hat der Regierung Schröder dank einer brillanten Inszenierung Zeit verschafft. Ein wenig Zeit.


 
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