© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/99 12. März 1999


"Partisanen"-Krieg im Internet: Linke Vereinsaktivitäten im WorldWideWeb
Regeln für die Revolution
Matthias Seegrün

"Sei so fit, wie’s halt geht; d.h. frühstücke gut, Shit und jeglicher Alkohol bleiben zu Hause; sie beeinträchtigen dein Reaktions- und Wahrnehmungsvermögen. Du gefährdest dich und andere unnötig." Diese und andere überaus praktische Verhaltensregeln findet der angehende revolutionär-autonome Nachwuchs-Demonstrant auf der Website der "Roten Hilfe" im "Demo-Einmaleins", die im Internet abrufbar ist (http://www. partisan.net).

"Gegen die Eitelkeit" wird empfohlen: "Eine Demo ist kein Spaziergang, auch wenn’s oft so aussieht. Nicht nur, daß die Latscherei ganz schön lange dauern kann, nein, manchmal ist es auch erforderlich, schnell und beweglich zu sein. Deshalb keine Latschen und Stöckelschuhe, kein Wochenendeinkauf, kein Fahrrad und kein Bollerwagen. Klamotten ausnahmsweise nach praktischen Erwägungen zusammenstellen: Witterung, Beweglichkeit, Unauffälligkeit und Schutz von besonders empfänglichen Körperteilen! Keine Schminke, keine Cremes, kein Labello – da sich beim Tränengaseinsatz das CN/CS in Fetten besonders anreichert! Tausche deine Kontaktlinsen gegen eine bruchfeste Brille!"

Angesichts der Tatsache, daß die Zahl der Nutzer des Internet in den vergangenen Jahren geradezu exponentiell gestiegen ist, hat auch die extreme Linke hierzulande die Tragweite des neuen Massenmediums erkannt und mit entsprechender Präsenz und Vernetzungsansätzen im WorldWideWeb reagiert.

Ein Beispiel hierfür ist das besagte Partisan.net, das im Mai 1998 ins Leben gerufen wurde. Wichtigstes Ziel des Projekts ist, die Webpräsenz verschiedenster "linker und radikaler" Gruppen auszubauen, zu vernetzen und providerunabhängig – vorbei an den großen kommerziellen Anbietern (Telekom, AOL, Compuserve usw.) – zu organisieren.

In einem Positionspapier vom November 1998 werden die vorrangigen Ziele des Partisan.net im einzelnen benannt: die Schaffung von günstigen Zugängen zu internationalen Kommunikationsnetzen und -diensten (Mail & News) für Privatpersonen aus dem linken & radikalen Spektrum; Bereitstellung von Webspace für die Verbreitung, Vernetzung und Archivierung von Nachrichten, Meinungen und theoretischen Arbeiten zur nicht-kommerziellen Netznutzung als Teil einer linken & radikalen politischen Praxis; Aufbau einer stabilen und kostengünstigen Infrastruktur durch Selbstorganisation; Umverteilung der Erlöse, um Kommunikationsdienste und Webspace für Leute aus linken und radikalen Zusammenhängen kostenlos anbieten zu können.

Projekte und Gruppen gehören dem Partisan.net nicht direkt an, können sich aber durch Einzelpersonen vertreten lassen.

Bis die Zahl von rund 1.000 Mitgliedern, sogenannten "PartisanInnen", die mit den Zahlungen für ihre Internetzugänge (Accounts) das Partisan.net finanziell auf eigene Füße stellen, bundesweit erreicht war, mußten zunächst noch durch die Partisan.net GbRmbH die Dienste eines regulären Providers in Anspruch genommen werden.

Die Zahl der erforderlichen Accounts muß inzwischen zusammengekommen sein, denn die für diesen Fall angekündigte Vereinsgründung erfolgte am 15. Dezember 1998. Sitz des Vereins, zu dessen Vorsitzenden Erhard Kleps gewählt wurde, ist Berlin-Mitte, wo Räume im "Haus der Demokratie" genutzt werden. Der Vorstand betreibt die Eintragung des Vereins ins Vereinsregister sowie die Anerkennung als gemeinnütziger Verein.

Im Monat Februar nutzten laut einer von den Betreibern geführten Statistik durchschnittlich 390 Besucher pro Tag das Angebot des Partisan.net.

Es umfaßt Links zu Projekten wie dem Zirkel "Der Revolutionäre Funke", das Magazin "Kalaschnikow" oder die durch Erwiderungen auf Horst Mahler und Bernd Rabehl bekannt gewordene "SDS Webside" (JF berichtete). Zudem finden sich Projekte wie zum Beispiel "Stressfaktor" mit den "Linken Links" zum "antifa.net", der "Antirassistischen Initiative Berlin", zur "Kampagne: Kein Mensch ist illegal" oder zum "squat.net – alles über besetzte Häuser".

Weiterhin die "trend onlinezeitung", Veranstaltungshinweise, Literaturlisten der "Linkskurve", Dokumentationen mit Titeln wie "Chiapas und die Linke", "Der Polizeistaat 1977", "KPD-Verbot", und auch Verweise auf die "Fuck- & Hateparade" sowie die "Hanfnet-Mirrorsite" dürfen nicht fehlen.

Einem kleinen Teil der Meinungsbeiträge kann man mit etwas Humor vielleicht gerade noch etwas abgewinnen, wenn man nicht wüßte, daß fast alles todernst gemeint ist.

So bei den "Programmatischen Thesen des Kommunistischen Zirkels "Der Revolutionäre Funke". Hier trifft der neugierige Internetsurfer auf einen verbittert-verbissenen, anarchistisch-emanzipatorisch verbrämten Kommunismus auf Autonomenart: "Das moderne Proletariat ist die Klasse, die außer der Illusion und Ohnmacht nichts zu verlieren hat, aber alles zu gewinnen. Proletarier sind diejenigen, die nicht über die Produktions-, Kommunikations- und Machtmittel sowie ihr Leben verfügen, dies wissen und sich dagegen bewußt auflehnen. ’Das Proletariat wird revolutionär sein oder es wird nicht sein‘ (Marx)...Angriffspunkte des Kampfes sind alle Bereiche der spektakulären Klassengesellschaft, die Ökonomie, Kunst/Kultur und vor allem das Elend des Alltags, dessen Ausdruck die Isolation, die Familie, die Wohngemeinschaft, die Raumordnung, also die ganze Kette konsumierbaren Verhaltens und dessen Lebensformen darstellt. Alles ist umgedreht, alles ist Lüge."

Keine auch nur im geringsten erstrebenswerte Alternative sozialen Zusammenlebens, die aus der angestrebten Emanzipation hervorzugehen habe, wird deutlich oder annähernd nachvollziehbar. Im letzten Abschnitt der "Programmatischen Thesen" heißt es: "Kommunismus ist kein Endziel, sondern die Bewegung die den erniedrigenden Zustand der Gegenwart aufhebt. Er bedeutet die Aufhebung von Lohnarbeit, Markt, Wert, Geld und Tausch. Er ist das Ende der Staaten und Nationen, die Realisierung der menschlichen Weltgemeinschaft. Durchsetzen kann er sich nur durch die bewußte und direkte Aktion der proletarisierten Menschen."

Nach solch extremem Stumpfsinn erfreut einen der Witz und Pfiff des Magazins "Kalaschnikow" mit dem Untertitel "Waffe der Kritik" – zumindest in den einleitenden Worten der Website: "Die Kalaschnikow erscheint je nach den Erfordernissen der Revolution, der Liebe und der Poesie ... und zwar dort, wo sich innere Unruhe und äußere Ruhe hart im Raum stoßen – wo man schreibt, um geliebt zu werden; wo man liebt, um schreiben zu können: daß es keine Ermächtigung ist, das Falsche zu tun, nur weil das Richtige nicht, noch nicht gehen mag. Der Kommunismus, daran gehindert, von der – in Maßen – theoretischen in die praktische Kritik von Kapital und Staat umzuschlagen und die Waffe der Kritik mit der Kritik der Waffen zu vertauschen, findet seine unfreiwillige Praxis in der Denunziation des Herrschenden Falschen."

Daß Humor und Intelligenz die ignorante und zynische Haltung der Kalaschnikow-Autoren jedoch nicht besser macht, zeigt sich deutlich an ihrer Einstellung zum "Schwarzbuch des Kommunismus". Zum Beitrag von Joachim Gauck heißt es da: "Darüber (über die DDR und Honecker, d. Verf.) schreibt insbesondere Pfarrer Gauck einen Sermon, der ’nicht nur eine Chronik der Verbrechen, sondern eine Unglücksgeschichte jener willigen Helfer im Westen, die sich 90 Jahre lang blind und taub machten‘, wie die FAZ (Das Kampfblatt der Großbourgeoisie.) meint. Wir aber meinen: scheiß drauf, aber voll!"


 
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