© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/99 12. März 1999


630-Mark-Gesetz: Der Kampf gegen Billigjobs kennt viele Verlierer
"Bündnis für Schwarzarbeit"
Ronald Schroeder

Das Ziel der Bundesregierung war die Senkung der Sozialabgaben. Inzwischen erscheint es ihr leichter, die bisher sozialabgabenfreien Beschäftigungsverhältnisse auf 630-Mark-Basis zu verteuern, als normale Arbeitsverhältnisse zu entlasten. Vor allem der Einzelhandel splittete in der Vergangenheit Vollzeit-Jobs in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse auf. Das wird ab 1. April weniger attraktiv. Dann werden diese bislang sozialabgabenfreien Tätigkeiten sozialabgabenpflichtig. Die Arbeitgeber müssen dann zwölf Prozent Beitrag in die Rentenversicherung und zehn Prozent Beitrag in die Krankenversicherung zahlen.

Ursprünglich sollte trotz Beitragspflicht kein Rentenanspruch entstehen. So wollte es Kanzler Schröder, der die 630-Mark-Jobs zur Chefsache erklärt hatte. Am Ende aber überwogen die verfassungsrechtlichen Bedenken. Am 23. Februar legte Arbeitsminister Walter Riester (SPD) einen nochmals korrigierten Gesetzentwurf vor. Jetzt erwirbt der Versicherte Anspruch auf Altersrente. Ausgeschlossen bleibt er von Rehabilitations-Maßnahmen und einer eventuellen Invaliditätsrente. Hierauf hat er erst Anspruch, wenn er selbst weitere 7,5 Prozent in die Rentenversicherung einzahlt. Beamte und andere Privatversicherte sollen von der Krankenversicherungspflicht befreit werden. Anderenfalls würde diese Gruppe möglicherweise Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Umfang nutzen können, der ihre gezahlten Beiträge deutlich übersteigt. Damit aber schafft die Bundesregierung wirkliche Billigjobs nur für Beamte und Pensionäre.

Zugleich wird geringfügige Beschäftigung auch komplizierter. Der Arbeitgeber muß künftig zwischen mehreren Gruppen von geringfügig Beschäftigten unterscheiden, die auch unterschiedlich zu behandeln sind. Betriebsräte erhalten ein Veto-Recht bei der Einstellung von Beschäftigten auf 630-Mark-Basis.

Die Wirtschaft läuft Sturm gegen das Gesetz. Eine Allianz von elf Verbänden der mittelständischen Wirtschaft hat die Koalition aufgefordert, ihre Pläne zur Neuregelung der 630-Mark-Jobs zurückzuziehen. Besonders engagiert sind das Hotel- und Gaststättengewerbe, der Handel, Verlage und das Handwerk. Außer der Bundesregierung hat der Gesetzentwurf nur zwei Befürworter: die Rentenversicherung, die jährlich 2,85 Miiliarden Mark mehr einnehmen will, und die Krankenkassen, die 2,25 Milliarden Mark Mehreinnahmen verbuchen möchten. Letztere hoffen, auf diese Weise die Mehrbelastungen aus der Verringerung der Zuzahlungen bei Arzneimitteln ausgleichen zu können. Beide geben aber zu, daß die unsichere Datenlage über die Zahl der geringfügig Beschäftigten nur sehr unsichere Schätzungen über die Mehreinnahmen zuläßt. Selbst diese Schätzungen sind hinfällig, wenn sich der Gesetzentwurf als das befürchtete "Bündnis für Schwarzarbeit" entpuppt.

So chaotisch, wie der Gesetzentwurf erarbeitet wurde, so soll er auch verabschiedet werden. Seit der verlorenen Hessen-Wahl verfügt Rot-Grün im Bundesrat nicht mehr über die erforderliche Mehrheit. Entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung will der abgewählte Ministerpräsident Hans Eichel (SPD), nach massivem Druck Oskar Lafontaines, dieses Gesetzeswerk nun doch noch Mitte März über die parlamentarischen Hürden hieven. Der Mittelstand hofft auf Verzögerungen und ein letztliches Scheitern im Bundesrat. Die unionsregierten Länder haben bereits angekündigt, alle Möglichkeiten zur Verschiebung der Abstimmung bis zum Regierungsantritt der Regierung Koch im April auszuschöpfen. Dann könnte den Niedrigverdienern ihr kleines Einkommen ungeschmälert erhalten bleiben.


 
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