© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/99 12. März 1999


Ökosteuer: Die Mehrheit im Bundestag beschließt neue Abgaben auf Gas, Treibstoff und Benzin
Eine Reform, die eine werden soll
Gerhard Quast

Die Ökosteuerreform ist unter Dach und Fach, jedenfalls die erste Stufe. 332 Bundestagsabgeordnete stimmten vergangene Woche für das Energiesteuergesetz, 299 dagegen. Sofern der Bundesrat ebenfalls seinen Segen gibt, wird die Reform fristgerecht zum 1. April in Kraft treten.

Monatelang stritten Regierung und Opposition, mobilisierten Wirtschafts-, Sozial- und Umweltverbände. Am Ende mischte sich sogar die EU in das Hickhack um die Reform ein. Mit dem Ergebnis ist jedoch kaum jemand zufrieden. Ein Großteil der Wirtschaft nicht, weil sie das Konzept der ökologischen Steuerreform – die Belastung des Energieverbrauchs bei gleichzeitiger Entlastung der Lohnnebenkosten – grundsätzlich für verfehlt hält und den Einstieg in die Ökosteuer nicht verhindern konnte, Sozialverbände, weil sozial Benachteiligte durch die Verteuerung der Energiekosten nicht ent-, sondern belastet werden, und Umweltverbände, weil ihnen das Gesetz nicht weitreichend genug ausfiel und von dem ursprünglichen Konzept einer Ökosteuerreform nur Ansätze übrig geblieben seien.

Das Ergebnis der Reform sieht folgendermaßen aus: Die Mineralölsteuer für Benzin und Dieselkraftstoff steigt um sechs Pfennig pro Liter. Heizöl wird um vier Pfennig je Liter und Gas um 0,32 Pfennig je Kilowattstunde (kWh) teurer. Die neu eingeführte Stromsteuer für Endverbraucher beträgt zwei Pfennig je Kilowattstunde. Soweit die einigermaßen übersichtliche Regel.

Komplizierter sieht es bei den Ausnahmen aus, denn für das produzierende Gewerbe, die Bahn, die Land- und Forstwirtschaft und alle in Betrieb befindlichen Nachtspeicherheizungen gelten reduzierte Steuersätze: Das produzierende Gewerbe zahlt lediglich 20 Prozent der Regelsätze auf Strom, Gas und Heizöl (sofern eine "Bagatellgrenze" von jeweils 1.000 Mark überschritten wird). Sollten die Belastungen aus der Energiesteuer die Einsparungen eines Betriebes aus der Rentenbeitragssenkung um mehr als 20 Prozent übersteigen, wird die Differenz auf Antrag zurückerstattet. Land- und Forstwirte sind mit dem produzierenden Gewerbe gleichgestellt und müssen ebenfalls nur ein Fünftel der Regelsätze zahlen. Die Bahn, Straßenbahnen und Oberleitungsbusse müssen für ihren Strom nur die Hälfte des Steuersatzes zahlen, also einen Pfennig pro Kilowattstunde. Bei der Mineralölsteuer erhalten sie keinen Steuernachlaß. Nachtspeicherheizungen haben einen reduzierten Stromsteuersatz von einem Pfennig.

Von der Mineralölsteuererhöhung befreit sind die umweltfreundlichen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, sofern sie einen Jahresnutzungsgrad von 70 Prozent überschreiten. Bei der Stromerzeugung sind nur die kleinen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen von der Stromsteuer befreit. Die Obergrenze liegt hier bei 0,7 Megawatt. Von der Steuer befreit ist Strom aus erneuerbaren Energieträgern (Wasser, Wind, Solar, Erdwärme, Deponiegas, Klärgas und Biomasse), sofern er von Eigenerzeugern als Letztverbraucher oder von Letztverbrauchern aus einem ausschließlich aus solchen Energieträgern gespeisten Netz entnommen wird. Ausgenommen davon ist Strom aus Wasserkraftwerken, Kläranlagen und Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Biomasse mit einer installierten Generatorleistung über fünf Megawatt.

Durch die zum 1. April wirksamen Ökosteuern erhofft sich die Bundesregierung allein für die neun Monate dieses Jahres Mehreinnahmen von schätzungsweise 8,4 Milliarden Mark. Auf ein Jahr gerechnet, entspricht das Einnahmen von 11,3 Milliarden Mark. Von den Einnahmen soll zunächst eine Senkung der Rentenbeiträge um 0,8 Prozent auf 19,5 Prozent finanziert werden.

Über die positiven wie negativen Auswirkungen der Ökosteuern herrscht Uneinigkeit. Als sicher kann angenommen werden, daß die Entlastung bei den Lohnnebenkosten sich kaum bemerkbar machen wird, so daß eine Entspannung der Arbeitsmarktsituation nicht zu erwarten ist. Auch der beabsichtigte Anreiz zum Energiesparen dürfte bei diesen Steuersätzen unter den Tisch fallen.

Entsprechend unzufrieden war der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel. Er übte generell Kritik an dem Vorhaben: "Ob große oder kleine Unternehmen, in- oder ausländische Investoren – alle sind einer Meinung: Die Steuerbeschlüsse kosten massiv Arbeitsplätze." Weniger pauschal äußerte sich der Präsident des Verbandes der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten, Sozialrentner und Hinterbliebenen (VdK), Walter Hirrlinger. Er betonte, daß die 20 Millionen Rentner, Behinderte, Arbeitslose und Studenten durch die Erhöhung der Kraftstoff- und Energiepreise "kräftig zur Kasse gebeten würden", ohne von der gleichzeitigen Absenkung der Lohnnebenkosten zu profitieren. Auf mögliche negative Folgen für die Mieter hat auch der Deutsche Mieterbund (DMB) aufmerksam gemacht. Mehrbelastungen von 200 bis 300 Mark jährlich für jeden Haushalt seien durchaus realistisch, betonte DMB-Direktor Franz-Georg Rips. Diese Kosten träfen besonders hart diejenigen, die von der gleichzeitig vorgesehenen Senkung der Lohnnebenkosten nicht profitierten: Rentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU sprach von einem "schwarzen Tag". Das Gesetz über die Ökosteuern werde sich als "Steuerlüge, Arbeitskostenlüge, Umweltlüge und als ideologischer Popanz" erweisen. Außerdem sei es "kostentreibend, investitionsfeindlich und wettbewerbsverzerrend" und werde die Unternehmer außer Landes jagen.

Als "im großen und ganzen positiv" bewertet der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) den Einstieg in die Ökosteuerreform. Hoffnungen setzt der Umweltverband aber insbesondere auf die zweite und dritte Stufe der Reform. Daß diese noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden sollen, kündigte die Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Finanzausschusses, Christine Scheel, an. Bereits im Sommer sollen dafür die Vorbereitung beginnen.


 
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