© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/99 12. März 1999


Vertreibung: Schröder erklärt totalen Verzicht
Es verjährt nicht
Roland Schnürch

Mit den Äußerungen von Außenminister Fischer und Staatsminister Verheugen Ende des vergangenen Jahres war schon vorgezeichnet, wohin Kanzler Schröder steuern wird. Fischer soll Ende Oktober 1998 in Warschau erklärt haben, er halte die Ansprüche der Vertriebenen auf Entschädigung für "anachronistisch und absurd". Verheugen hatte am 5. Dezember in Dresden auf die Frage eines sudetendeutschen Journalisten erklärt, daß "die Bundesregierung gegenüber der tschechischen Regierung keine Vermögensansprüche geltend machen wird."

Am Montag dieser Woche vereinbarten Kanzler Schröder und der tschechische Ministerpräsident Zeman, im Zusammenhang mit den Geschehnissen während und nach dem Zweiten Weltkrieg nie wieder Vermögensfragen aufzuwerfen. Schröder betonte, von der Regelung der Vermögensfragen seien auch die Forderungen der vertriebenen Sudetendeutschen betroffen.

Schröder setzte damit fort, was Kohl mit der unsäglichen deutschtschechischen Erklärung (sprich: Verhöhnungserklärung) vom 21. Januar 1997 begonnen hat. Heißt es doch in diesem politischen Papier, das keinen völkerrechtlichen Vertrag darstellt, daß beide Seiten ihre Beziehung nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden (Zf.IV).

Kohl hatte bei der Unterzeichnung in Prag gegenüber dem erwähnten sudetendeutschen Journalisten erklärt, daß die Vermögensfrage weiter "offen" sei; die Bedeutung dieser Aussage offenbart sich jetzt. Bei allem Ermessensspielraum, den die Gerichte der politischen Handlungsfreiraum einer Bundesregietung zubilligen, hätte diese spätestens beim Abschluß des zweiten Prager Vertrages von 1992 ihre Schutzpflicht gegenüber ihren Staatsangehörigen, den Sudetendeutschen, konsequent vertreten müssen. Ein Hinausschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag war indiskutabel!

Schröder schafft nun Klarheit, vor allem gegenüber professionellen Beschwichtigungsaposteln, aber kein Recht! Die Konsequenzen ergeben sich aus dem Gutachten, das der Wiener Völkerrechtler Professor Ermacora im Jahre 1991 für die Bayerische Staatsregierung, Trägerin der "Schirmherrschaft" der Sudetendeutschen seit 1954, erstellt hat:

"Das Unrecht der Vertreibung (der Sudetendeutschen) ist ein spezifiziertes völkerrechtliches und innerstaatliches Delikt. Es ist Völkermord im Sinne allgemeinen Völkerrechts und der Völkermordkonvention. Von langer Hand geplant, mit dem Willen ein Volk oder eine Volksgruppe auf ihrem angestammten Boden zu zerstören, steht er im Mittelpunkt des Tatbestandes."

Der leider schon verstorbene Felix Ermacora, viele Jahre Mitglied der UN-Menschenrechtskommission, stellte auch fest:

"Dieser klare Tatbestand ist wichtig, weil er eine klare abendländische Schlußfolgerung nach sich zieht:

a) er verjährt völkerstrafrechtlich nicht und

b) macht Konfiskation im Zuge eines Völkermordes ungültig: Eigentumsverluste sind in diesem Fall nicht nur zu entschädigen, sondern Eigentum ist zurückzugeben."

Der Sprecher der Sudetendeutschen, Staatsminister a.D. Franz Neubauer, erklärte schon am 20. Februar vor der Bundesversammlung der Sudetendeutschen landsmannschaft: "Wenn die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Verfassungsorgane an der Zerstörung der Rechte ihrer Bürger mitwirken würde, sei es durch Verzicht, durch Aufrechnung oder in anderer Weise, dann würde sie regreßpflichtig. Das ist die klare Rechtslage, und dementsprechend werden wir handeln."

Vorsorglich haben engagierte Sudetendeutsche sich rechtzeitig auf diesen Fall eingestellt. So der Leiter des juristischen Arbeitskreises einer sudetendeutschen Studiengruppe mit einer Klage vor dem OVG Münster gegen die Bundesregieung (Urteil vom 26.9.1996)

Franz Neubauer kündigte am 20.Februar auch eine Klage vor der UN-Menschenrechtskommission an. Ebenso forderte die SL-Bundesversammlung die tschechische Regierung auf, gemeinsam mit den betroffenen Wirtschaftsunternehmen einen Fonds zur Entschädigung von sudetendeutschen Zwangsarbeitern einzurichten.

Einige Zehntausend Deutsche verblieben in der Heimat als tschechische Staatsbürger minderen Grades. Ihr Eigentum werden sie auch nicht durch die von Zeman in Bonn als erloschen erachteteBenesch-Dekrete zurückerhalten. Gerechtigkeit?

Kein gutes Zeichen für eine Versöhnungsbereitschaft, die Milos Zeman schon vor der Wahl zum Ministerpräsidenten durch ungute Vergleiche vermissen ließ, ist die Wahl des Zeitpunkts. Vor 80 Jahren, fast auf den Tag genau, am 4.März 1919, feuerte tschechisches Militär in von den deutschen Sozialdemokraten initiierte Protestkundgebungen. 54 Männer, Frauen und Kinder starben. Der Leidensweg der Sudetendeutschen kulminierte mit 241.000 Toten der Vertreibung. In Verpflichtung ihrer Toten wird die Volksgruppe für Heimat und Selbstbestimmung weiter streiten!


 
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