© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/99 05. März 1999


Wolfgang Benz: Ein Leben zwischen Judentum und Nationalsozialismus
Tragödie eines deutschen Patrioten
Götz Eberbach

Unter den Juden in Deutschland gab es Zionisten, die sich als Angehörige eines jüdischen Volkes fühlten und einen jüdischen Staat forderten, und es gab assimilierte Juden, die sich als Deutsche jüdischen Glaubens betrachteten. Auch politisch gab es alle Schattierungen: Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, aber eben auch deutsche Nationalisten und Konservative. Die Tragödie eines solchen deutschen Patrioten schildert Wolfgang Benz in dem Buch "Patriot und Paria. Das Leben des Erwin Goldmann zwischen Judentum und Nationalsozialismus".

Goldmann wurde 1891 in Bad Cannstatt geboren. Seine Familie war eine typisch assimilierte, politisch national-liberale jüdische Familie. Erwin Goldmann war überzeugter evangelischer Christ. Als Student der Zahnmedizin war er Angehöriger einer studentischen Verbindung und hochdekorierter Kriegsfreiwilliger. Nach dem Krieg gehörte er zur "Einwohnerwehr" und "Schwarzen Reichswehr". Der Weimarer Republik stand er ablehnend gegenüber. Das Aufkommen des Nationalsozialismus sah er mit Sympathie.

Goldmann war kein Einzelfall. Es gab unter den deutschen Juden durchaus "rechte" Gruppen. In der Weimarer Republik waren diese nationalen Juden vor allem im "Verband nationaldeutscher Juden" organisiert, der den Zionismus ablehnte, aber auch die ostjüdische Einwanderung. 1932 forderten sie die "deutschen Volksgenossen jüdischer Abstammung" auf, sich nicht durch Drohungen oder Versprechungen davon abhalten zu lassen, "deutsch" (das heißt: rechts) zu wählen, denn "die unverbrüchliche Verbundenheit mit dem deutschen Volke kann uns nicht geraubt werden, nicht durch Drohungen irregeleiteter Judenfeinde, nicht durch Hirngespinste einiger dem Deutschtum künstlich entfremdeter Zionisten, nicht durch die Angstpolitik einer kleinen wurzellosen Zwischenschicht! Das Volksgefühl gibt den Ausschlag, nicht die sogenannte ‘Rasse’!" Auch der "Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" und der bündische "Deutsche Vortrupp – Gefolgschaft deutscher Juden" vertraten ein ausgesprochen deutsch-nationales Judentum, das hoffte, mit dem Nationalsozialismus, den es als Erneuerungsbewegung begrüßte, zu einem Modus Vivendi zu kommen. Heftigst protestierten diese jüdischen Gruppen, als sie für "wehrunwürdig" erklärt wurden. Der Vorsitzende der "nationaldeutschen Juden", Max Naumann, bat 1935 Hitler, die nationaldeutschen Juden den Ariern bei der Wehrpflicht gleichzustellen.

Bis 1933 waren die konvertierten Juden für die meisten Deutschen keine Juden mehr, so lebte auch Goldmann als angesehener Bürger, ärztlicher Direktor der Zahnkliniken der AOK und aktiver Sportler in der Deutschen Turnerschaft. Er begrüßte die "Ausrottung der marxistischen Pest" durch den Nationalsozialismus und hätte gerne mitgemacht – statt dessen verlor er seine Direktorenstelle und mußte aus der Turnerschaft und der Altherrenschaft seiner Verbindung ausscheiden. Als konvertierter Jude war er in einer doppelt schweren Situation: von den Deutschen nicht als Deutscher, von den Juden nicht als Jude anerkannt.

Benz behandelt das Problem der konvertierten Juden in den beiden Großkirchen ausführlich. Goldmann leitete die "Bezirksgruppe Südwest" des Paulusbundes, in dem sich konvertierte evangelische Juden organisierten. Als der Bund verboten wurde, betreute er seine Schicksalsgenossen im Auftrag der Kirche weiter. Inzwischen durfte er nicht mehr als Zahnarzt praktizieren und verdingte sich als Gartenarbeiter. Er litt kolossal unter der Ausgrenzung. In seiner Wohnung hing ein Hitlerbild.

Als der Krieg ausbrach, versuchte er, als einfacher Soldat unterzukommen. Aber selbst "Halbjuden" oder "jüdisch versippte" (christliche Ehepartner von Jüdinnen) wurden für "wehrunwürdig" erklärt. In seiner Funktion als Betreuer der "christlichen Juden" hatte Goldmann auch mit SD und Gestapo zu tun gehabt. Als er gefragt wurde, ob er bereit wäre, als Informant zu arbeiten, sah er darin eine Art Wehrersatzdienst (er hatte schon in der Weimarer Zeit für die Abwehr gearbeitet). Zunächst lieferte er Stimmungsberichte, besonders aus den kirchlichen Kreisen. Zum Verhängnis wurde ihm die Bekanntschaft mit einem ebenfalls deutsch-nationalen Versicherungsstatistiker N., der oppositionell eingestellt war. Da dieser den Eindruck erweckte, als ob er Sprecher einer Widerstandsgruppe sei und in deren Auftrag "wehrkraftzersetzende" Schriften verfaßte, meinte Goldmann ihn denunzieren zu müssen. N. wurde verhaftet, konnte aber durch befreundete Ärzte in eine psychiatrische Heilanstalt abgeschoben werden.

Ende 1944 wurde der "Volljude" Goldmann Obermann in einem Zwangsarbeitslager für "Halbjuden" und "jüdisch-versippte Arier" bei Wolfenbüttel. Seine Aufgabe nahm er ernst. Bei "Disziplinlosigkeiten" wurde hart durchgegriffen. Andererseits bemühte er sich auch für seine "Schutzbefohlenen".

Nach Kriegsende kehrte Goldmann nach Stuttgart zurück, wurde verhaftet, in ein Internierungslager eingeliefert, entlassen, wieder verhaftet und schließlich 1947 als "Hauptschuldiger" verurteilt, hauptsächlich wegen des Falls N. Natürlich wurden dann auch seine Strafmaßnahmen (u. a. der Verlust der Approbation) nach und nach aufgehoben. Ab 1950 durfte er wieder praktizieren, doch weist Benz darauf hin, daß zu dieser Zeit die meisten "arischen" Funktionäre längst wieder in Amt und Würden waren. Goldmann und seine Familie (er war mit einer "Arierin" verheiratet) hingegen verfolgte bis zuletzt der Zorn der "Antifaschisten". Dafür pflegte er nun Kontakt mit Bekannten aus dem Internierungslager – endlich war er von denen akzeptiert, die er immer bewundert hatte. Er veröffentlichte in einem kleinen "rechten" Verlag seine Erinnerungen ("Zwischen zwei Völkern", Königswinter 1975), in denen er sich nach wie vor zu seinen Anschauungen bekannte.

Goldmann war kein Opportunist, sondern ein "Überzeugungstäter". Er wollte seinem Vaterland dienen, auch wenn die Machthaber dieses Vaterlandes nichts von ihm wissen wollten. Er wollte lieber "in Deutschland im Straßengraben verrecken, als im Ausland Millionär sein". 1981 verstarb er.

Benz veröffentlicht zahlreiche Dokumente zu diesem Fall in dem Buch, das besser als viele andere Bücher die Tragik des deutschen Judentums aufzeigt.

 

Wolfgang Benz: Patriot und Paria. Das Leben des Erwin Goldmann zwischen Judentum und Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, Metropol-Verlag, 180 Seiten, 28 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen