© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/99 05. März 1999


Literatur: Vor fünf Jahren starb Charles Bukowski
Dichter der Entwurzelten
Thorsten Thaler

Für seine treue Lesergemeinde war er der "Schreib-Weltmeister im Schwergewicht, Gewichtsklasse Hemingway", wie Wolf Wondratschek 1977 in einem Portrait über ihn schrieb. Für seine zahlreichen Kritiker war er dagegen nur eine Drecksau, ein Säufer und Hurenbock und auch sonst ein veritabler Kotzbrocken. Kultische Verehrung und blindwütige Ablehnung – Charles Bukowski polarisierte und provozierte die Gemüter wie kaum ein zweiter US-Schriftsteller, vielleicht mit Ausnahme Henry Millers. Und so ist es sicher kein Zufall, daß das bekannteste Urteil über Bukowski ebendiesem Henry Miller angedichtet wurde: "Jede Zeile von Bukowski ist infiziert vom Terror des amerikanischen Alptraums. Er artikuliert die Ängste und Agonien einer nach Hunderttausenden zählenden Minorität im Niemandsland zwischen brutaler Entmenschlichung und ohnmächtiger Verzweiflung."

Daß dieses Zitat von Bukowskis Freund und kongenialem Übersetzer Carl Weissner, der ihm in den siebziger Jahren in Deutschland zum Durchbruch verhalf, frei erfunden war, störte hierzulande niemanden. Es war einfach zu treffend, um nicht zum Beispiel von der Verlagswerbung ausgeschlachtet zu werden.

Bukowski, der am 9. März vor fünf Jahren im Alter von 73 Jahren starb, waren die Reaktionen – positive wie negative – herzlich gleichgültig. Was andere von ihm dachten oder über ihn sagten, bedeutete ihm nicht besonders viel. Die meiste Zeit seines Lebens genügte er sich selbst, wie ein Gedicht von ihm belegt: "Ich mag Hunde lieber / als Menschen und / Katzen lieber als / Hunde und mich / am liebsten von allen, besoffen / in meiner Unterwäsche / aus dem Fenster schauend."

Andererseits kokettierte der in Andernach am Rhein geborene Sohn eines polnischstämmigen US-Sergeanten und einer deutschen Mutter gern mit seiner misanthropischen Einstellung. Aus seinem rund 60 Bücher umfassenden Werk, zu dem zahlreiche Gedicht- und Erzählbände, aber auch Romane gehören, spricht eine gleichermaßen starke Abneigung gegen Intellektuelle, Yuppies und andere Wichtigtuer wie eine tiefe Zuneigung für alle Außenseiter der Gesellschaft. Eine Haltung, die er kultivierte: als "akkurater Beobachter amerikanischer Rinnstein-Tragödien" und Dichter der Entwurzelten.

Bukowski selbst sah sich als "eine seltsame Kreatur, die plötzlich auftaucht und eigenartige Töne von sich gibt, wie man sie bis dahin eigentlich noch nicht gehört hat", wie er einem deutschen Journalisten schon 1975 anvertraute. "Nichts Außergewöhnliches, aber irgendwie interessant, auf eine merkwürdig kaputte musikalische verrückte Art." Eine Art, die Bukowski auch heute noch – oder wieder – lesenswert macht.


 
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