© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/99 05. März 1999


Studenten: An der Göttinger Universität drohte ein Ende der linken Vorherrschaft
Spaßvogel übernimmt Vorsitz
Christian Vollradt

Es hatte alles so hoffnungsvoll begonnen. Göttingens universitäre Linke bekam Ende Januar endlich einmal wieder allen Anlaß, die Reihen fest zu schließen und gegen den Feind, der bekanntlich rechts steht, gemeinsam ins Feld zu ziehen: Für den Wahlkampf um die Zusammensetzung des Studentenparlamentes hatte der Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) Unionschef Wolfgang Schäuble zum Vortrag über die Hochschule in Zeiten der Globalisierung ins Zentrale Hörsaalgebäude der Universität eingeladen.

Weniger das Thema des Vortrages als der Vortragende selbst erregte die linken Gemüter, die wegen der CDU-Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsangehörigkeit dem "Rassisten und geistigen Brandstifter" Schäuble offensiv entgegentraten. Konnten sie durch ihr lautstarkes und handgreifliches Engagement auch den frühzeitigen Abbruch der Veranstaltung bewirken, mußten sie nach der Verkündung der Wahlergebnisse doch in Katerstimmung verharren. Augenscheinlich wurde ihnen das beherzte Vorgehen gegen die "Pogromstimmung" nicht ausreichend gedankt, denn erstmals seit vielen Jahren gelang es dem RCDS, mit dreizehn Sitzen im Studentenparlament stärkste Fraktion zu werden. Gemeinsam mit den anderen gemäßigten Gruppen (Liberale und eine Fachschaftsliste) bewirkten sie einen Patt gegenüber den verschiedenen linken Gruppen. Und noch schlimmer: Die "Rechten" erhielten beide studentischen Sitze im Senat der Universität.

War etwa alles umsonst? Hatten nicht die aufgebrachten Kolonnen vor und während der Schäuble-Veranstaltung den Ruf Göttingens als Hauptstadt der antifaschistischen Bewegung würdig zu verteidigen versucht, wie einst 1986, als der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ausgetrieben worden war? Überzeugender noch als die Trillerpfeifen und Farbbeutel, mit denen Schäuble am Reden gehindert wurde, wirkten die medialen Verlautbarungen, die die Protagonisten zur Begründung ihres Tuns von sich gaben. Sämtliche aus den sozialwissenaschaftlichen Proseminaren mitgenommenen Erkenntnisse wurden stolz präsentiert und dem Vorwurf, intolerant und undemokratisch gehandelt zu haben, entgegengeschleudert: Nach den Erfahrungen mit der mega-schlimmen deutschen Geschichte dürfe mit politischen Schmuddelkindern nicht tolerant verfahren werden (irgendwie den Anfängen wehren, oder so!), außerdem sei der Schoß noch fruchtbar, und wer Rassist sei, bestimmen schließlich die Antirassisten.

Aus dem unverhohlen zur Schau gestellten Avantgarde-Bewußtsein, das vorgibt, im Kampf gegen das Böse von demokratischen Spielregeln dispensiert zu sein, spricht jedoch ein gerüttelt Maß an Frustration. Das öffentlichkeitswirksame Sprengen der Veranstaltung mit dem CDU-Vorsitzenden hat nämlich nicht wie bisher bei ähnlichen Antifa-Aktionen unter den Studenten und dem liberalen Establishment Göttingens Verständnis hervorgerufen, sondern Abscheu erregt.

Diejenigen, die mit einem erleichterten Seufzer ein Wiederauferstehen von 68er Zuständen erblickten, befanden sich in der Minderheit. Ausgerechnet jetzt, da der einstige Göttinger AStA-Mescalero Jürgen Trittin, selbst Veteran des "Rosa-Luxemburg-Hauses" und 1977 Teilhaber jener unsäglichen "klammheimlichen Freude" am politischen Mord der RAF, im Bonner Kabinett der Neuen Mitte Platz genommen hat, wurde dem CDU-Vorsitzenden von über 800 Zuhörern Beifall gespendet, als er – flankiert von den deeskalierenden Sicherheitskräften – den Saal verließ. So wurden aus den gegen "geistige Brandstiftung" gerichteten Löschtrupps plötzlich unwillige Helfer jenes von links stets perhorreszierten konservativen Rollbacks.

Nach diesem Debakel konstituierte sich pünktlich zu Beginn der Semesterferien das Studentenparlament und wählte in einer bis in die Nacht dauernden Sitzung aus seinen Reihen einen neuen AStA. Daß mit einer hauchdünnen Mehrheit die Kandidaten der Linken obsiegten, lag an der Tatsache, daß sich eine Spaßgruppe, die bei den Wahlen einiges Aufsehen und schließlich auch einen Sitz errungen hatte, zu den linken Gruppierungen schlug und mit ihrem Votum den Patt auflöste. Zur Belohnung darf nun diese Spaßgruppe, die gleich einer Mischung aus Schlingensief und Statt-Partei mit Witz und Nonsens die Hochschulpolitik attraktiver machen will, den Vorsitz des AStA übernehmen.

Tatsächlich ist es mit der Attraktivität der verfaßten Studentenschaft nicht weit her. Die diesjährige Wahlbeteiligung sank in Göttingen auf unter 20 Prozent. Zu Recht scheint sich für die überwiegende Mehrheit der Kommilitonen der Eindruck zu verfestigen, daß der Allgemeine Studentenausschuß weder allgemein noch in erster Linie für Studenten da ist, sondern zuvorderst der ideologischen Selbstverwirklichung und Alimentierung politisierter Randgruppen dient: so gab es im vergangenen Jahr für ein ganzes Semester keinen AStA (die JF 23/98 berichtete) wegen eines aberwitzigen Dogmenstreits der um das emanzipatorische Reinheitsgebot besorgten Politruks. Monatelange Auseinandersetzungen innerhalb der linken Hochschulgruppen über die Beteiligung der offen extremistisch auftretenden Antifaschistischen Liste am AStA lähmten jegliche Selbstverwaltung.

Vor diesem Hintergrund ist das linke Protestgeschrei gegen die vom Ex-Juso und Wissenschaftsminister Thomas Oppermann erhobenen 100 Mark Verwaltungsgebühr, die jeder Student in Zukunft pro Semester abführen muß, heuchlerisch, weil es zwar die sozialistische Umverteilungsrhetorik zum Klingen bringt, aber nicht auf den verfehlten Sinn dieser Gebühr aufmerksam macht: daß nämlich mit diesem Geld kein einziges Bibliotheksregal, sondern mehr Planstellen für das in Niedersachsen sowieso schon ausufernde Beauftrag-ten(un)wesen aufgefüllt werden. Wie im großen der Landespolitik geht es en miniature an der Hochschule zunächst um die finanzielle Sicherung eigener Lieblingsprojekte zur Versorgung der jeweiligen Klientel.

Leider mangelt es noch immer an ausreichender Empörungsbereitschaft darüber, daß dieser Spaß Unsummen von Geld für hauptamtliche Mitarbeiter und bezahlte Referenten verschlingt. Der Vorwurf, darauf nicht ausreichend hingewiesen zu haben, trifft gerade auch die sogenannten bürgerlichen Gruppen. Deren Wahlerfolg mag aber nun darauf deuten, daß es mit der Geduld gegenüber der arroganten Selbstherrlichkeit der linken Machtbesitzer zu Ende geht.

Das stimmt trotz aller weiterhin bestehenden kruden Auswüchse in der Praxis der verfaßten Studentenschaft doch ein wenig hoffnungsfroh.


 
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