© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/99 05. März 1999


Dokumentation: Ehemalige SDS-Mitglieder veröffentlichten eine "Kanonische Erklärung zur Bewegung von 1968"
(JF)

Angesichts des anhaltenden Mißbrauchs, der in Deutschland von Funktionären und Propagandisten der Fremdherrschaft über das deutsche Volk im besonderen wie der globalimperialistischen Kapitalherrschaft über die Völker der Welt im allgemeinen mit dem Mythos von 1968 betrieben wird, sehen die Unterzeichner sich zu folgender Erklärung veranlaßt, um nicht nur als Zeitzeugen, sondern auch als damals geschichtlich handelnde Personen gegenüber den Nachgeborenen und der Geschichtsschreibung klarzustellen, daß die Bewegung der Jahre um 1968 weder für Kommunismus noch für Kapitalismus, weder für drittweltliche oder östliche noch für westliche Wertegemeinschhaft aufstand, sondern allein für das Recht eines jeden Volkes auf nationalrevolutionäre wie sozialrevolutionäre Selbstbefreiung. Schon gar nicht stehen wir für irgendeine Parteipolitik, für Parlamentarismus, für rot-grüne Regierungskoalitionen, für Demokratie als politischen Kapitalismus, und erst recht haben wir nichts zu schaffen mit Liberalismus, Konservativismus oder Sozialismus im Sinne einer Klassenherrschaft innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Die 68er Bewegung steht nicht für die Amerikanisierung der Welt, nicht für die Zerstörung der Völker und der Familien durch Kommerzialisierung von allem und jedem, nicht für die Ausbreitung von Job-Mentalität, schlechter Musik, Pornographie, Rauschgift, Kapital, Verbrechen und Kapitalverbrechen, – sie steht für das Gegenteil.

 

Artikel 1

Die Kulturrevolution von 1968 war die erste Weltrevolution gegen den Kapitalismus. Sie wurde getragen von der Jugend der industriell entwickelten Länder, nicht von der Arbeiterklasse, nicht vom Mittelstand, nicht von der Bourgeoisie oder der Bürokratie.

 

Artikel 2

Das Jahr 1968 bezeichnet den ersten Aufstand für das Reich der Freiheit. Den Ausgangspunkt dieses Aufstandes bestimmte Rudi Dutschke schon 1965: "Die tendenziell völlige Arbeitslosigkeit muß für uns ... der Fixpunkt sein. Von diesem Endziel ... des technologischen Prozesses her muß sich unsere Strategie konstituieren". Am 5.9.1967 postulierten Krahl/Dutschke für den Aufstand eine Ausgangslage, in der "die Herrschenden die Massen ernähren müssen".

 

Artikel 3

Das deutsche ‘68 war nach 1945 der zweite deutsche Aufstand gegen eine Besatzungsmacht, der wie der 17. Juni 1953 seinen Schwerpunkt in Berlin hatte. (Das Hauptgefechtsfeld war von der Stalinallee auf den Kurfürstendamm verlegt.) Nach Johan Galtung war die deutsche Marx-Renaissance nach ’68 "eine Unabhängigkeitsbewegung" (Leviathan 3/83,325) des teutonischen Denkstils gegen den angelsächsischen.

 

Artikel 4

Das deutsche ’68 war der zweite deutsche Revolutionsversuch gegen die Weltherrschaft des Kapitals. Deswegen wurde es als "linker Faschismus" tituliert.

 

Artikel 5

Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) spielte eine der Jenenser Urburschenschaft vergleichbare Rolle als nationalrevolutionärer Initiator. Der zu Beginn der 70er Jahre sich bildendende Waffen-SDS (Rote Armee Fraktion) setzte die Tradition eines Karl Sand, eines Major von Schill und eines ernsthaften Waffenstudententums fort. In der tragischen Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer traf der Waffen-SDS einen SS-Mann, der die Position der nationalrevolutionären Volksgemeinschaft zugunsten derjenigen des Anführers eines Klassenkampfverbandes verraten hatte.

 

Artikel 6

Was für die nationalrevolutionäre Burschenschaft des frühen l9. Jahrhunderts das Jahr 1848, das war für den nationalrevolutionären SDS das Jahr 1989: eine Bestätigung des eingeschlagenen Weges zur Volkssouveränität und eine steckengebliebene Volksrevolution. Wurde nach 1848 die völkische Wiedervereinigung des Deutschen Reiches durch die antivölkische Restauration der dynastischen Herrschaften verhindert, so hat ab 1990 das Parteiensystem als Vogtei der Fremdherrschaft durch einen Verfassungsstreich seine Kollektivdiktatur in Deutschland konserviert.

 

Artikel 7

In der 68er Bewegung sind zwei nationalrevolutionäre Flügel entstanden, die Neue Linke und die Neue Rechte. Erstere legte ihre Hauptstoßrichtung gegen den Amerikanismus fest, letztere gegen den Sowjetismus. Die Neue Rechte hat ihr Nahziel erreicht und wendet sich zunehmend gegen den Amerikanismus und Kapitalismus, so daß eine Wiedervereinigung dieser beiden nationalrovolutionären Flügel stattgefunden hat. Nur dieses Neue hat den 68er Mythos erzeugt, hat Kunst und Kultur inspiriert. Das 68er Theorieprogramm hat den Deutschen Idealismus fortgesetzt, hat die Anstrengung des Begriffs auf sich genommen, die Welt von Gott her zu denken. Die Idee einer Internationale der Nationalrevolutionäre wurde im Februar 1968 auf dem Berliner Vietnamkongreß gefaßt, der die Aufgabe hatte, "Keimformen einer europäischen Befreiungsfront zu legen, um die Großmächte und ihre Kollaborateure aus Zentraleuropa zu drängen" (Bernd Rabehl, 6.12.98).

 

Artikel 8

Im Jahre 1968 wurde nicht nur das Neue und mit ihm der Mythos geboren, sondern geriet auch das Alte, auch Liberalismus und Konservativismus, auch reaktionäre Linke und reaktionäre Rechte, in Bewegung, und das Veraltete hatte, wie häufig in der Geschichte, eine destruktive Mehrheit. Diese Kräfte haben sich sämtlich von der 68er Bewegung später distanziert oder sie verflachend und verfälschend exploitiert oder dämonisiert. Die Krone der Verfälschung und des Verrats ist die Darstellung der rot-grünen Regierung als Machtantritt der 68er Ideen.

 

Artikel 9

Jede Nation, die nicht untergehen will, wird ihre Staatsverfassung wie ihre Sozialstruktur immer wieder der Revolution unterziehen, also der Umkehrung ihrer wesentlichen Verhältnisse dergestalt, daß neue und höherstehende Verhältnisse wesensbestimmend werden. Auch die Links-Rechts-Unterscheidung in der politischen Willensbildung tritt ständig neu auf. Denn jede Politik hat es mit Rechten der Personen, ob Einzelne oder Gemeinschaften, zu tun. Die rechte Politik will diese Rechte verteidigen oder zurückholen. Diese Rechte sind aber nur ins Dasein getreten durch eine politische Linke, die ihre Entstehung zuerst gefordert und ihre Schaffung und Gewährung schließlich durchgesetzt hat. (Jahresende 1998)

 

Horst Mahler (SDS), Günter Maschke (SDS), Reinhold Oberlercher (SDS)


 
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