© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/99 05. März 1999


Die Linke und ihre Renegaten: Von einer Allergie gegen die Nation zu ihrer religiösen Verabsolutierung
Idealismus in verschiedenen Uniformen
Werner Olles

Henryk M. Broder hat wieder einmal seinem geschundenen Herzen Luft gemacht und im Spiegel (siehe Ausriß) Horst Mahlers nationale Sammlungsbewegung "Unser Land" sowie die "Kanonische Erklärung zur Bewegung von 1968" – unterzeichnet von den ehemaligen SDS-Mitgliedern Reinhold Oberlercher, Günter Maschke und Horst Mahler – einer zutiefst hämischen Kritik unterzogen. Das ist natürlich sein gutes Recht – bei manchen Punkten kann man ihm sogar zustimmen –, dennoch entbehrt seine aufgeregte Suche nach Abweichlern von links nach rechts nicht einer gewissen Komik: Zum einen macht es den fatalen Eindruck, als wolle man wieder einmal unter sich Volksgenossen sein, zum anderen ist er ja selbst ein Renegat, der sich allerdings im Unterschied zu den drei Unterzeichnern ziemlich bedingungslos dem Establishment angedient hat.

In der Tat liegt der "Kanonischen Erklärung" (siehe Dokumentation) eine Idealisierung der 68er-Bewegung zugrunde. Man könnte dieses Ausweichen in ein Höheres – hier ist es der Versuch, die Studentenrevolte in eine nationalrevolutionäre Erhebung umzudeuten – als Merkmal einer politischen Romantik bezeichnen, die aus ihrer Gegnerschaft gegen die Ideen des Fortschritts, der Gleichheit und des Internationalismus eine charakteristische Wendung zu einer fast schon religiösen Verabsolutierung des Nationalen vollzieht.

Der tiefere Sinn von Broders Betrachtungen der Neuen Rechten liegt jedoch offensichtlich darin, daß in Deutschland die Quarantäne über die Rechte auf keinen Fall aufgehoben werden darf. Und wenn man sie schon nicht mehr kriminalisieren kann, soll sie wenigstens nach Kräften durch den Kakao gezogen werden. Daß man sich einigen von Broders Invektiven dennoch nicht gänzlich entziehen kann, liegt an den manichäischen Setzungen der "Kanonischen Erklärung". Einmal abgesehen von der Präambel, lassen sich die neun Artikel der Erklärung vor dem Hintergrund deutscher Ideologiegeschichte als utopisches Denken deuten, das emphatisch auf Weltentwurf, Gemeinschaft und Sehnsucht nach Ganzheit zielt. Argumentativ ist eine solche Haltung kaum angreifbar, ihr Resümee, daß man sich vor seiner eigenen Vergangenheit nicht zu fürchten braucht, ist jedoch bedenklich. Denn natürlich war die revolutionäre Linke in Deutschland immer auch antisemitisch.

Als 1970 bei einer Demonstration gegen die Zerstörung des Frankfurter Westends durch Magistrat und (jüdische) Immobilienspekulanten eine Gruppe jüdischer Studenten sich solidarisieren und mitmarschieren wollte, wurde sie mit der Parole "Tod dem Zionismus"daran gehindert. Mit der gleichen Parole, die frenetischen Beifall erntete, hatte ich noch 1982 meine Rede auf dem Frankfurter Römerberg anläßlich der Besetzung des Libanons durch die israelische Armee beendet, keinen einzigen der 8.000 Kundgebungsteilnehmer hat dies irgendwie gestört. Und natürlich war der feige Mord an dem hessischen Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry ein antisemitischer Akt. Verantwortlich dafür waren die gleichen Leute, die in Entebbe die Passagiere der entführten El-Al-Maschine nach Juden und Nicht-Juden selektierten.

In diesem Sinne war die Rote Armee Fraktion, wie in der "Kanonischen Erklärung" behauptet wird, eben kein "Waffen-SDS", sondern die präzise Karikatur des nationalsozialistischen Werwolfs. Es ist völlig rätselhaft, warum ich bis heute noch niemand ernsthaft darüber Gedanken gemacht hat, warum ausgerechnet in den beiden Achsenmächten Deutschland und Italien ein sich als "sozialrevolutionär" tarnender Terrorismus wütete, der sich primär gegen die alliierte Besatzungsmacht und ihre einheimischen Freunde richtete.

Niemand bestreitet, daß 1968 auch vereinzelt nationale Motive bestanden. Rudi Dutschke und Bernd Rabehl – beide aus Mitteldeutschland stammend – versuchten durchaus, nationalrevolutionäre Tendenzen in die Bewegung einzubringen. Dies ist allerdings völlig mißglückt, und Dutschke hat das später auch eingestanden, als er das Scheitern der 68er nicht zuletzt auf ihre Allergie gegen die Nation zurückführte. Wirklich fruchtbare Diskussionen konnte er erst in den siebziger Jahren in Klaus Rainer Röhls Das Da mit Henning Eichberg und Wolfgang Strauß führen.

Wenn Broder jedoch Horst Mahler unterstellt, dieser würde, vorausgesetzt es gäbe die DDR noch, heute "wie einst sein Kollege Klaus Coroissant in den Armen der östlichen Staatsmacht landen", dann ist dies hundsföttisch und entspricht einer gewissen Faulheit und Verantwortungslosigkeit bei der Betrachtung des Objektes. Das hat Broder, der ein eloquenter Zyniker ist, im Prinzip nicht nötig, und dadurch wertet er seinen Text zu einer schalen Prätention eines auktorialen All-Wissens herab.

Mit seinem Schlußsatz, daß die deutsche Linke nicht nur die Helden, sondern auch die Renegeten habe, "die sie verdient", desavouiert er sich letztlich selbst: die Renegat als politisch stigmatisierter Abfall einer chiliastischen Weltanschauung.

Weit weniger eloquent als Broder kommt in der Jungen Welt vom 3. Februar das Gründungsmitglied der terroristischen "Bewegung 2. Juni", Till Meyer, daher, dessen Resozialisierung offenbar rasante Fortschritte macht. Sein knapper Text ist durchzogen von moralischen Erregungen ohne jede moralische Qualität. Obwohl er von dem Sujet, über das er schreibt, offensichtlich wenig Ahnung hat, widmet er sich diesem mit ganzer Hingabe. Was aber kann man von jemandem erwarten, der Daniel Cohn-Bendit, der gewiß ein großer Spaßvogel ist, zur "Theoriekoryphäe" stilisiert und Günter Maschke "seit Jahren regelmäßig in der Rechtspostille Criticón" schreiben läßt? Auch Meyer hebt auf die in Artikel 5 der Erklärung geschilderte Ermordung Schleyers ab, an deren Interpretation in der Tat einiges auszusetzen ist. Hier hätten sich allerdings in erster Linie die angesprochenen Burschenschaften zu Wort melden müssen. Meyer stört sich jedoch weniger an der unglücklichen Wortwahl – die auch historisch völlig unhaltbar ist – ,sondern eher an der Charakterisierung Schleyers, "der die Position der nationalrevolutionären Volksgemeinschaft zugunsten derjenigen des Anführers eines Klassenkampfverbandes verraten hatte".

Tatsächlich steckte sowohl die Schulungsliteratur der SS wie auch der RAF voller Ermahnungen zu Treue, Tapferkeit, Opferbereitschaft und Todesmut; der deutsche Idealismus trug seit jeher verschiedene Uniformen. Neu ist dabei allerdings, daß es dem Liberalismus gelungen ist, die sich in den Einsatzgruppen der siebziger und achtziger Jahre austobenden revolutionären Linken derart zu korrumpieren, daß außer ein bißchen radical chic nichts übrig blieb. Vielleicht erzählt uns Till Meyer demnächst einmal darüber etwas.

"APO-Veteranen auf dem Eilmarsch nach rechtsaußen" sieht auch Jean Cremet in den Antifaschistischen Nachrichten. Zwar nimmt auch er Bezug auf die "Kanonische Erklärung", schlägt jedoch zunächst blindwütig auf Bernd Rabehl und Peter Furth ein. Einen Absatz lang spekuliert er über die Frage, ob es denn nun Sascha Jung, Hans-Ulrich Kopp oder Tilman Fichter war, der Rabehl zu den Danuben gebracht hat. Das ist ebenso unergiebig wie langweilig, und wo Broder immerhin noch eine Mentalität – nämlich die des Zynismus – wenn auch keine Theorie offenbart, bleibt bei Cremet nichts als endlose Klugscheißerei. Korrelativ zu seinem Verratsgeschrei ist auch die alarmistische Reaktion dieses sich links dünkenden Milieus zu verstehen, das mit begriffslosem Moralisieren einen dramatischen Kurzschluß nach dem anderen erzeugt.

 

Werner Olles, 57, war 1968/69 Mitglied im Frankfurter SDS, danach in diversen Kleingruppen der antiautoritären, radikalen Linken engagiert. Von 1973 bis 1977 war er Juso-Funktionär, bevor er Ende der siebziger Jahre der Linken den Rücken kehrte.


 
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