© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/99 05. März 1999


Enteignungen 1945–49: Läßt sich der größte Nachkriegsskandal noch länger vertuschen?
Ein deutsches Watergate
Kristof Berking

Mit einer eidesstattlichen Versicherung des ehemaligen Verhandlungsführers der DDR im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung, Günther Krause, CDU, wurde am vergangenen Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Hamburg die Beweiskette zur Aufdeckung des wohl größten Nachkriegsskandals der Bundesrepublik geschlossen.

Seit bald zwei Jahren wird in zahlreichen großflächigen Anzeigen unter der Überschrift "Der Skandal" die alte Bundesregierung der Lüge, des Diebstahls, der Hehlerei und des Prozeßbetruges bezichtigt. Auf Initiative des Hamburger Kaufmanns Heiko Peters prangert die Kampagne "Enteignungen 1945-1949 nein!" den Betrug an den in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Enteigneten an. Sie bekommen ihr Eigentum nicht zurück, weil dies angeblich eine Bedingung der Sowjetunion und der DDR für die Zustimmung zur Wiedervereinigung war. Mit dieser Behauptung konnte die alte Bundesregierung den "Restitutionsausschluß" in zwei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erfolgreich verteidigen.

Die angegriffenen bürgerlichen Politiker Kohl, Waigel, Kinkel, Schäuble und Bohl, die Peters – selbst CDU-Mitglied und von den Enteignungen nicht betroffen – herausfordert, haben es vermieden, ihn auf Verläeumdung zu verklagen. Darauf hatte Peters es abgesehen, da er angesichts der Beweislage meint, vor jedem Amtsgericht recht zu bekommen. Doch die in zahlreichen Interessenverbänden organisierten Enteignungsopfer aus Ost und West lassen auch nach der Abwahl der hauptverantwortlichen Politiker nicht locker.

Zunächst konnte Peters Ende Oktober eine Resolution des US-Repräsentantenhauses großflächig publik machen. Darin werden alle ehemals totalitären Staaten, "die dies bisher noch nicht getan haben," aufgefordert, "widerrechtlich enteigneten Besitz den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben". Nun hat die Peters-Initiative eine Erklärung Günther Krauses präsentiert (siehe Seite 4 und 5), in der dieser "an Eides Statt" versichert, daß weder die Russen noch die DDR die Festschreibung der Enteignungen von 1945 bis 1949 zur Bedingung gemacht haben. Diese Aussage Krauses, die der Tageszeitung Die Welt immerhin einen Aufmacher wert war, ist an sich nicht neu. Das Anliegen der Enteigneten erhält aber insofern Vorschub, als Krause die Interessen der ehemaligen DDR und ihrer Bürger in den Vordergrund stellt und damit die stillschweigende politische Rechtfertigung des Restitutionsausschlusses untergräbt. Bislang war es in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem um die Interessen der Sowjetunion und der in den Westen geflohenen "Junker" gegangen.

An die Legende von der Bedingung der Sowjetunion glaubt heute kaum noch jemand, nachdem George Bush, Schewardnadse, Genscher und wiederholt auch Michail Gorbatschow dieser Darstellung der Bundesregierung widersprochen haben. Krause, der Russisch spricht und am 21. Juni 1990 in Moskau die Angelegenheit mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten erörterte, bestätigt dies. Als das BVerfG 1996 erneut die Verfassungsmäßigkeit des Restitutionsausschlusses bejahte, hob es denn auch besonders auf den Willen der DDR ab. Roman Herzog, der als Senatspräsident am ersten Bodenreformurteil des BVerfG von 1991 mitwirkte, äußerte noch 1998: "Für die Beurteilung der Rechtslage scheint mir allerdings viel bedeutsamer, daß wohl niemand ernsthaft bestreitet, daß die demokratisch gewählte Regierung der DDR ihre Zustimmung zum Einigungsvertrag von dem Verzicht auf Restitution abhängig gemacht hat." Genau dies bestreitet Krause aber. Man habe nur die im Rahmen der sogenannten Bodenreform von einzelnen DDR-Bürgern erworbenen Rechte schützen wollen. Und auch diese Intention der DDR-Verhandlungsseite, empört sich Krause, werde durch die heutige Regelung unterlaufen.

Das heißt: Gegen die Rückgabe des noch in Staatshand befindlichen Enteignungsgutes (ca. 80 Prozent des Bodenreformlandes) hatte die DDR nichts einzuwenden, und den Neusiedlern und deren Erben, um die es ihr ging (ca. 20 Prozent der Gesamtfläche), wird heute ebenso wie den sogenannten Alteigentümern ihr Recht vorenthalten. Es ging der Bundesregierung offenbar nur darum, so viel Ländereien und Betriebe wie möglich zugunsten der Staatskassen zu verkaufen. Aber noch nicht einmal diese Rechnung ist aufgegangen, denn die Verwaltungskosten der noch nicht verkauften Immobilien und die Verkaufskosten gehen in die Milliarden, und der volkswirtschaftliche Schaden durch die Herauszögerung von Investitionen ist enorm. Und dem allen soll eine Lüge der Regierung zugrunde liegen.

Die Affäre, die den amerikanischen Präsidenten Nixon zu Fall brachte, ist harmlos dagegen, meint Heiko Peters. Seine Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß stellt er denn auch unter die Überschrift "Das deutsche Watergate".


 
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