© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/99 26. Februar 1999


Enthüllung: Heinrich Lummer über seine Treffen mit dem PKK-Chef Öcalan
Ein Hauch des Konspirativen
Heinrich Lummer

Natürlich hatte es den Hauch des Konspirativen. Denn ich hatte vor dem Gespräch mit Abdullah Öcalan niemanden gefragt und niemanden informiert. Sie wären ohnehin alle in Verlegenheit gekommen, und ich wollte auch, daß ich später – man wußte ja nicht, wie es ausgeht – guten Gewissens sagen konnte, das war die Aktion eines Einzelnen. Die Reaktion der Türkei konnte man sich eh an fünf Fingern abzählen. Obwohl falsch, hat sie später die Botschaft verbreitet, dahinter habe die Bundesregierung gestanden und ich sei so etwas wie ein Emissär gewesen. Nichts von alledem ist wahr.

Es war eine jener Routinereisen in ein Land, für das ich im Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages zuständig war: Syrien. Es war längst kein Geheimnis, daß sich "Apo" in Syrien oder dem Libanon aufhielt. Kontaktpersonen zu finden, war kein Problem. Ich hatte sie in Alighazi, einem ehemals iranischen Diplomaten kurdischer Herkunft, der in Deutschland lebte. Im Programm, das die Botschaft für mich arrangiert hatte, hatte ich mir eine Lücke für private Zwecke erbeten. Diese Lücke war am Nachmittag des 31. Oktober 1995.

Der Sinn des Gespräches mit Öcalan war einfach. In den Jahren vorher hatte es eine Fülle von Anschlägen und Gewalttaten von Kurden in Deutschland gegeben. Ich wollte ihn davon überzeugen, daß uns dies maßlos ärgere und ihm und seiner Sache nicht nütze. Nach dem Gespäch, das Udo Steinbach im Frühjahr mit ihm geführt hatte, war ich zu der Überzeugung gekommen, Apo wolle seine Strategie ändern und Kontakte – und damit vielleicht Reputation – suchen. So konnte sich ein Geschäft ergeben. Ergab sich auch.

Um 14.30 Uhr wurde ich von einem Daimler älteren Baujahrs abgeholt. Ich war gespannt, wohin es wohl gehen würde. Ein kurzer Weg, eine Straße mit kleinen, meist Einfamilienhäusern, ein wenig wie ein Villenvorort. Sollte ich mir Einzelheiten merken, um den Ort gegebenfalls wiederzufinden? Wozu, sagte ich mir und ließ mich überraschen. Es war dann in der Tat ein Einfamilienhaus, im Erdgeschoß das in arabischen Ländern übliche Empfangs- und Gesprächszimmer, die dienstbaren Geister junge Männer, Frauen waren nicht zu sehen. Alles schlicht und einfach. Ganz anders hatte ich das Hauptquartier Savimbis in Erinnerung. Obst auf dem flachen Tisch, Sitzgelegenheiten darum herum. Dann kam Öcalan: mittelgroß, kräftige Statur, starker Schnauzbart, ebenfalls schlicht und einfach gekleidet, offenbar legt er keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Ich mag diese Typen; es gab keine Berührungsprobleme. Von diplomatischem Schmus halte ich ohnehin nichts. Keiner von beiden hatte um ein solches Gespräch gebeten, aber beide haben es gewünscht.

Dolmetscher war der für Europa zuständige Generalsekretär der PKK. Es ging gleich zur Sache. Ich ließ ihn wissen, daß ich das Gespräch ohne Auftrag in eigener Entscheidung führe, daß ich deutsche Interessen vertrete und diese in dem Wunsch bestehen, daß die PKK in Deutschland keine Gewalt mehr verübe. Dies verspricht er. Dann gibt es eine Tour d’horizon. Nach gut zwei Stunden geht es zurück zum Hotel. Vorher reden wir von Wiedersehen und weiteren Gesprächen. Öcalan geht es ganz offensichtlich um einen Dialog – mit Deutschland, mit der Türkei und anderen Staaten. Die Einsicht, daß eine militärische Lösung nicht möglich sein wird, ist erkennbar. Die Gewalt dient dem Ziel, eine politische Lösung zu ermöglichen. Wenige Tage später gibt es einen Bombenanschlag auf Öcalans Haus. Alle meinen, der türkische Geheimdienst stecke dahinter. Der türkische Botschafter in Bonn läßt mich in einem privaten Gespräch wissen, er kenne das Haus.

Vor der Abreise habe ich dann unseren Botschafter über das Gespräch informiert. Ich wollte das Gespräch vertraulich belassen, doch es dauerte nicht lange, da wußte ein Journalist von Focus Bescheid. Woher? Ich weiß es nicht, irgendeiner hatte Interesse an der Publizierung.

Ein weiteres Gespräch mit Öcalan fand am 2. Mai 1996 an einem anderen Ort statt, die Atmosphäre war vergleichbar. Diesmal war es Abend, und es wurde ein Arbeitsessen. Der Themenkreis war der gleiche, die Stimmung locker. Die Türken sprechen immer vom Führer der separatistischen Terroristen. Mir vermittelte Öcalan, man sei bereit zu einer Lösung des Kurdenproblems innerhalb des türkischen Staates. Er sprach von einer föderalen Lösung und nannte Deutschland als Vorbild. Einen Brief Öcalans mit entsprechendem Inhalt habe ich damals an den türkischen Ministerpräsidenten übermittelt.

Die Methoden der PKK sind zweifellos auch terroristischer Natur – so wie bei Arafat oder den Juden beim Aufbau ihres Staates, so wie in Nordirland und weiland im französischen Algerien. Es ist jener Terrorismus, der nicht ohne innere Legitimation ausgeübt, der vielleicht nur ausgeübt wird, weil die Welt ansonsten diese Probleme nicht zur Kenntnis nähme. Sicher wollte Öcalan so etwas werden wie Arafat, es war ihm versagt. Man sagt bei uns: Ein Mann, ein Wort. Was den Gewaltverzicht in Deutschland betrifft, hat er Wort gehalten – bis Griechen und Türken ihn verschleppten. Doch damit ist auch das Problem nur verschleppt und nicht gelöst. Auch die Türkei wird es begreifen.


 
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