© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/99 26. Februar 1999


Bundeswehr: Gereralleutnant Franz Uhle Wettler zum Geschichtsverständnis der Armee
"Tradition ist immer eine Auswahl"
Karl-Peter Gerigk

Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat eine Diskussion über die Umbenennung von Bundeswehrkasernen angestoßen und dabei beispielhaft auch den Namen von Gereralfeldmarschall Rommel genannt. Was halten Sie davon?

Uhle-Wettler: Rommel war ein Krieger, wie ihn die Bundeswehr vielleicht bald wieder im Kosovo brauchen wird. Seine taktische Begabung war einzigartig; er hat sie in beiden Weltkriegen ebenso als Kompaniechef wie als Führer der Panzergruppe Afrika bewiesen. Sein Charisma hat sogar seine englischen Gegner bis heute bezaubert. Das Aufbegehren gegen Hitler hat er mit seinem Leben bezahlt. Die Bundeswehr könnte stolz sein, wenn sie einen ähnlichen Offizier in ihren Reihen hätte. Wenn wir nun sogar Rommel verwerfen, wird sich manch ein Radikalpazifist eines weiteren Erfolges freuen. Viele andere und vor allem viele Ausländer werden nicht einmal lachen, sondern von feigen Politikern sprechen.

Denken Sie, daß sich die Traditionspflege der Bundeswehr zu sehr an der Wehrmacht orientiert?

Uhle-Wettler: Kasernenbenennungen nach ehemaligen Soldaten stammen ohnehin fast ausnahmslos aus den Anfangsjahren der Bundeswehr – und mehr gibt es an Traditionspflege in der Bundeswehr kaum. Wer sich heute über deutsche Wehr - oder Kriegsgeschichte orientieren will, muß sich ohnehin meist an ausländische Autoren wenden.

Wie stehen sSe zu der Aussage, die Wehrmacht sei nicht traditionsfähig?

Uhle-Wettler: Die Aussage ist Zeugnis einer typischen Untugend: Überspanntheit und Maßlosigkeit. Schon Goethe hat beklagt, "das der Deutsche doch alles zu seinem Äußersten treibet".

Meinen Sie demnach, die Wehrmacht sei traditionswürdig?

Uhle-Wettler: Die Wehrmacht war eines der wichtigsten Werkzeuge eines Verbechers, und auch die Wehrmachtsführung hat das Schlimmste befohlen, das wir heute nur beschämt sehen können. Aber alle großen Organisationen schleppen in ihrer Geschichte auch dunkle Taten mit sich. Als Beispiel: Die katholische Kirche schleppt die Ketzerkreuzzüge mit sich, die evangelische Kirche die Hexenverbrennungen, die Royal Air Force den Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung – die Liste ist endlos. Sie umfaßt auch die Wehrmacht. Niemand kann uns aber sagen, bis zu wieviel dunklen Taten eine Organisation noch traditionswürdig ist und wann die Unwürdigkeit beginnt. Deshalb ist Tradition immer Auswahl. Und deshalb ist "die" Wehrmacht genauso traditionswürdig oder traditionsunwürdig wie andere und wohl alle großen Organisationen.

Wenn die Kasernen umbenannt werden, woran sollte hier angeknüpft werden?

Uhle-Wettler: Vermutlich wissen viele Soldaten gar nicht, nach wem die Kaserne benannt ist, in der sie dienen, und noch weniger werden wissen, warum sie nach irgendjemandem benannt wurde. Die Namen der Kasernen sind wenig wichtig. Der vom Zaun gebrochene Streit ist wohl eher Ausdruck des Bestrebens, die Bundeswehr zu diskreditieren. Eben deshalb wäre etwas mehr Mut der Politiker erforderlich.

Welche Rolle sollte nach Ihrer Meinung der deutsche Widerstand spielen, von der Weißen Rose bis zu Claus Graf Schenk von Stauffenberg?

Uhle-Wettler: Der höchste, allerhöchste Rang des Widerstandes kann nicht bezweifelt werden. Aber heute wird zu oft unterschlagen: der Jagdflieger, der sich in den Strom von Bomben warf, die die nächste Stadt verbrennen wollten, allgemein: jeder Soldat bis hinauf zum General, der verzweifelt kämpfte, um Deutschland ein Jalta und Potsdam zu ersparen, hat ebenfalls ehrenvoll gehandelt. Oft hat er ganz buchstäblich seine eigene Familie und in jedem Falle sein eigenes Volk vor einem furchtbaren Schicksal bewahren wollen. Eben deshalb vedienen sie ebenfalls unsere Achtung.

Steht die preußisch-militärische Tradition mit Stein, Hardenberg und Clausewitz jetzt ebenfalls zur Disposition?

Uhle-Wettler: Unsere politische Klasse wird sich irgendwann aufraffen und den Mut, die Zivilcourage aufbringen müssen, der Umschreibung alles Deutschen ins Negative zu antworten.

Hat die Bundeswehr genug Geschichte, um ein eigenes Selbstbewußtsein als deutsche Armee zu besitzen?

Uhle-Wettler: Die chinesische Volksbefreiungsarmee, die nordkoreanische Armee, die vietnamesische Armee und manch andere Armee haben glänzend gegen manche sehr traditionsbewußte Armee gekämpft. Wichtiger als das, was Ihre Frage als "Geschichte " bezeichnet, ist anderes. Der Soldat muß das Gefühl haben, dem eigenen Volk zu dienen, dort eingebettet zu sein und zu wissen, daß das Volk auf ihn schaut und ihn achtet. Wie es darum bestellt ist, zeigt die Zahl der Wehrdienstverweigerer.

Wie sollte die Bundeswehr denn in der Öffentlichkeit auftreten? Sollte die Bundeswehr bei staatlichen und repräsentativen Anlässen stärkere Präsenz beweisen?

Uhle-Wettler: Das ist eine Frage an die Politiker. Das öffentliche Auftreten der Streitkräfte ist in allen demokratischen Staaten als Ausdruck des staatlichen Selbstbewußtseins selbstverständlich; unsere Ideologen bräuchten nur nach England, Frankreich oder in die USA zu blicken. Gerade die Proteste und die Randealierereien zeigen, wie wenig die demokratisch bewaffnete Macht in unserem Staat verwurzelt ist. Sie sind Ausdruck des Demokratiedefizits – das zeigen nicht zuletzt die Lebensläufe einiger der vehementesten Demonstranten.

 

Dr. Franz Uhle-Wettler, Generalleutnant a. D. und Militärhistoriker, war bis 1987 Kommandeur des NATO-Defence College in Rom


 
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