© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/99 26. Februar 1999


Kolumne:
Neue Epoche
von Ulrich Schacht

Das deutsche Feuilleton hat seit dem 27. September 1998 die Qual der Wahl eines neuen politischen Lieblingsfeindes: Entweder Kanzler Schröder selbst oder sein Staatsminister für Kultur, Michael Naumann. Naumann wurde vor allem geprügelt für seine Idee, daß es einer Staatsnation wie der deutschen nicht schlecht zu Gesicht stünde, dem föderalbürokratisch eng durchdeklinierten Kulturhoheitsbegriff der Länder gleichsam kompensatorisch ein gesamtstaatlich definiertes Weiterungselement hinzuzufügen. Die einen wollten ihm deshalb mit verfassungsrechtlicher Rabulistik kommen, machten sich letztlich aber nur lächerlich; die anderen setzten auf die zahllosen Tentakeln der Bonner Ministerialbürokratie als Garanten dafür, daß dem forschen Neuling auf politischem Parkett bald die Luft ausgehen würde. Doch es hat nichts genützt: Naumanns Position ist geschaffen, und der Mann versucht nun, einfach seine Arbeit zu tun, die er nüchtern, aber selbstbewußt als politische Arbeit für die Kultur der wiedervereinigten Nation versteht. Das hat dazu geführt, daß das Feuilleton sich wieder verstärkt an Naumanns Chef vergreift: Schröder, dem Protagonisten eines "linken Wilhelminismus".

Und warum wird so quasi über Nacht aus einem ehemaligen Juso-Chef ein Hohenzollernschnösel von links? Weil Schröder glaubt, daß ein Schloß in der Mitte Berlins schöner wäre und der "Seele des Volkes" besser gefallen würde als der primitive Amüsier-Kasten der Honecker-Gesellschaft "Palast der Republik". Weil er ein Denkmal für die Opfer der Judenvernichtungsaktionen Hitlers und seiner Mittäter wünschte, "zu dem man gerne hingeht" – was natürlich nicht, wie suggestiv unterstellt, auf die Errichtung einer Art Holocaust-Diskothek im Zentrum Berlins abzielte, sondern auf ein humanes Gedenk-Konzept, das in der Nähe dessen liegt, was György Konrad, der ungarische Jude und Berliner Akademiepräsident, vorgeschlagen hat.

Parallel zu den Attacken auf Schröder und Naumann wird aber in immer auffälligerer Weise ein Kultur-Politiker namens Helmut Kohl ins verfrühte Abrechnungsspiel gebracht, der sozusagen im Verschwinden zum Maßstabsereignis wird. Mit der Realität "von damals" hat das alles kaum was zu tun: Kohls Kultur hieß vor allem Strickjacke, Strickjacke, Strickjacke, dann erst Käthe-Kollwitz-Mißgriff oder windiges Auftauchen bei Ernst Jünger und noch opportunistischeres Sich-Drehen in Sachen Lea-Rosh-Denkmal.

Diese Kultur-Epoche ist offensichtlich endlich vorbei. Was der neuen nun entgegenschlägt, ist ein zutiefst anti-politischer Gesellschaftsbegriff, dessen Kern unreflektierte Staatsfeindschaft ist. Aber der Staat als Papa Kohl, der ist gerade abgewählt worden.


 
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