© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


Vor zehn Jahren: Rückzug der Sowjetarmee aus Afghanistan
Freundschaft gekündigt
Kai Guleikoff

Als Michail Gorbatschow am 11. März 1985 zum Generalsekretär des ZK der KPdSU gewählt wurde, hatte Rußland weltweit den größten Einfluß in seiner tausendjährigen Geschichte. Traditionsgemäß war der erste Mann im Moskauer Kreml auch gleichzeitig Oberster Befehlshaber der Streitkräfte. Gorbatschow stand damit auch an der Spitze der über 100.000 Soldaten in Afghanistan, die seit dem 27. Dezember 1978 in den Bürgerkrieg eingegriffen hatten zugunsten des sowjetfreundlichen Machtpolitikers Babrak Karmal.

Entgegen den Erwartungen vieler ausländischer Politiker und mancher Sowjetbürger wurde der Krieg mit unverminderter Härte fortgeführt, obwohl es sich bereits abzeichnete, daß er nicht zu gewinnen war. Die Großstädte und wichtigsten Straßenverbindungen waren unter Kontrolle, das Hochgebirgsland nicht. Von hier aus operierten die islamischen Gotteskrieger (Mudschaheddin). Ihre Basen waren weder durch den Einsatz modernster Luftwaffen- und Raketentechnik noch durch Spezialeinheiten auszuschalten. Auch auf Seiten der Mudschaheddin kamen modernste Abwehrwaffen gegen Flugzeuge, Hubschrauber und Panzerfahrzeuge zum Einsatz. Ausgebildet und unterstützt wurden diese Afghanen durch angeworbene Söldner der US-amerikanischen Eliteeinheit Green Berets. Der Nachschub erfolgte von Pakistan und Iran aus.

Doch Gorbatschow wußte wie seine Vorgänger von der geostrategischen Schlüsselrolle des Landes: Wer Afghanistan beherrscht, kontrolliert den Nahen und Mittleren Osten. Das britische Weltreich versuchte in drei erfolglosen Kriegen (1841/42, 1878/79 und 1919) bereits diese Machtposition zu erreichen. Seit dem Sturz des Schahs Mohammad Resa Pahlawi am 16. Januar 1979 und der Ankunft des Ajatollah Ruhollah Chomeini am 1. Februar 1979 in Teheran bedrohten die Auswirkungen der Islamischen Revolution auch die innenpolitische Stabilität in den südlichen Republiken der Sowjetunion. Im angrenzenden Afghanistan bekannten sich 99 Prozent der damals 16 Millionen Einwohner (1980) zum Islam. Durch den russischen Bürgerkrieg (1918 bis 1922) waren viele Tadschiken, Usbeken, Turkmenen und andere Turkvölker über die Grenze nach Afghanistan geflohen. Die Verbindungen über die Grenze hinweg blieben erhalten.

Die Sowjetunion bemühte sich daher frühzeitig um die politische Beherrschung dieses "Vorfeldes". Bereits im Februar 1921 wurde ein Freundschaftsvertrag geschlossen, dem im August 1926 ein Nichtangriffs- und Neutralitätspakt folgten. Im Juni 1946 erfolgte eine vertragliche Grenzkorrektur zugunsten Afghanistans. Als im Dezember 1955 die Sowjetunion einen Aufbaukredit von 100 Millionen US-Dollar gewährte und König Mohammed Zahir Khan im Juli/August 1957 im Kreml empfangen wurde, begannen die USA nervös zu werden.

Afghanische Armee erhielt russische Waffen

Pakistan wurde als "letztes Bollwerk" vor dem Indischen Ozean großzügig unterstützt. Der Besuch von US-Präsident Dwight D. Eisenhower in Afghanistan vom Dezember 1959 verursachte keinen Sinneswandel in Kabul. Die afghanische Armee, 80.000 Mann Heer und 6.000 Mann Luftwaffe, wurde mit russischen Waffen durchgehend ausgerüstet. Durch die zweijährige Wehrpflicht, eine große Anzahl ausgebildeter Reservisten und einen hohen Anteil von Berufssoldaten erreichte sie eine beachtliche Schlagkraft, die nach Abzug der sowjetischen Verbündeten noch drei Jahre lang erhalten blieb. Die besonders durch den "Sieg über die USA und ihren Verbündeten im Vietnamkrieg" überheblich gewordenen sowjetischen Militärs sahen keinen erheblichen Widerstand voraus und träumten den zaristischen Traum von den eisfreien Häfen am Indischen Ozean. Dazu mußte Afghanistan vorher eine Volksrepublik werden.

Der "rote Prinz" Mohammed Daud, ein Vetter des letzten Königs Zahir Schah, wurde am 27. April 1978 vom "Revolutionsrat der Streitkräfte" entmachtet, vor Gericht gestellt und hingerichtet. Doch nun begann die streng gläubige Bevölkerung zunehmend Widerstand zu leisten. Der britische Geheimdienst, Kenner von Land und Leuten, beschrieb in seinen Lageberichten den "verlorengehenden Einfluß Moskaus sowohl in Kabul als auch im Land". Der sowjetische Geheimdienst warnte vor dem Erstarken der moslemischen Bewegung in den an Afghanistan grenzenden Sowjetrepubliken. Moskau zog die militärische Karte.

Seit November 1979 wurden durch eine Luftbrücke Kriegsmaterial und Militärpersonal nach Kabul eingeflogen. Eine sowjetische Luftlandedivision bezog vom 24. Dezember 1979 an ein Feldlager in der Nähe von Kabul. Während die USA und Europa sich dem Weihnachtsfest widmeten, besetzten sowjetische Fallschirmjäger am 27. Dezember 1979 handstreichartig den Flugplatz und das Regierungsviertel in der afghanischen Hauptstadt. Staatschef Amin war damit entmachtet und wurde später durch den eingesetzten Nachfolger Babrak Karmal hingerichtet.

Fünf sowjetische Divisionen mit 50.000 Mann der ersten Welle marschierten in Afghanistan ein und besetzten strategisch wichtige Positionen im Land innerhalb einer Woche. Der bereits ausgebrochene Bürgerkrieg mit den "Ungläubigen" wurde seitens der Mudschaheddin zum "Heiligen Krieg" erhoben. Der Krieg wurde von beiden Seiten mit großer Grausamkeit geführt. Sowjetische Kampfhubschrauber und Erdkampfflugzeuge löschten hunderte afghanische Siedlungen und Dörfer aus, töteten Vieh und belegten landwirtschaftliche Anbaugebiete mit Napalm. Etwa 1,5 Millionen Afghanen fanden in neun Jahren dabei den Tod, etwa 5,3 Millionen flüchteten nach Pakistan und in den Iran. Ein Tag- und Nachtkrieg der Mudschaheddin zermürbte zusehends die sowjetischen Bodentruppen und afghanischen Regierungssoldaten in den festungsartig ausgebauten Städten und Stützpunkten. Nach offiziellen sowjetischen Regierungsangaben fanden 13.310 Sowjetsoldaten den Tod, über 30.000 wurden verwundet.

Innerer Zerfall machte Streitkräften zu schaffen

Der einsetzende innere Zerfall der Sowjetunion in der zweiten Hälfte der 80er Jahre machte auch den Streitkräften in Afghanistan zu schaffen. Befehlsverweigerungen, Fahnenflucht, Drogenprobleme und Waffenschiebereien nahmen bedrohliche Ausmaße an. Am 14. April 1988 erklärte Michail Gorbatschow endlich seine Bereitschaft zu einem Friedensvertrag und zu einem Rückzug aller sowjetischen Truppen aus Afghanistan. Damit lieferte er seine unvorbereiteten afghanischen Verbündeten den Gotteskriegern des Gulbuddin Hekmatyar aus. Der geordnete Rückzug der 115.000 Sowjetsoldaten erfolgte vertragsgemäß in neun Monaten. Generalleutnant der Fallschirmjäger Boris Gromow passierte am 15. Februar 1989 als Letzter die Brücke über den Grenzfluß Amudarja. Die Sowjetunion hatte die erste große militärische Niederlage nach dem Zweiten Weltkrieg erlitten.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen