© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


Theater: "Iphigenie" im Dresdner Schloßtheater
Pflicht und Versuchung
Uwe Ullrich

Orest: Vergib uns unsern Anschlag, unsre Künste. Gewalt und List der Männer höchster Ruhm sind durch die schöne Wahrheit, durch das kindliche Vertrauen beschämt.

Iphigenie: Denk an dein Wort und höre diese Rede, die aus einem Munde kommt, der treu ist und grad. Versagen kannst du’s nicht, gewähr’s uns bald.

Thoas: So geht! (Wendet sich ab und geht.)

Langsam verläßt Iphigenie die Bühne und schreitet den Zuschauerraum hinauf, dreht sich um und spricht. Das letzte Hüsteln der Premierenbesucher verstummt.

Iphigenie: Nicht so, mein König! Ohne deinen Segen in Unzufriedenheit will ich nicht scheiden... (Langsam schreiten die beiden aufeinander zu, reichen sich die Hände.)

Thoas: Lebt wohl!

Die Spannung bleibt im Zuschauerraum erhalten. Selbst als das Licht verlischt und der Vorhang fällt. Dann folgt lang anhaltender Applaus. Der verdiente Endpunkt und Würdigung der Neuinszenierung von "Iphigenie auf Tauris" in der Prosafassung Johann Wolfgang von Goethes auf Dresdens neuer Bühne, im Schloßtheater.

Wie die Legende berichtet, wurde Iphigenie (Hannelore Koch) vor ihrer durch den Vater gutgeheißenen Opferung für den siegreichen Kampf gegen Troja von der Göttin Diana nach Tauris (Krim) entrückt. Dort, im Land der barbarischen Skythen, diente sie im Tempel der Retterin. Nach ihrem Kommen beherrschten zunehmend menschlichere Gesetze das Leben des in der südrussischen Steppe nomadisierenden Reitervolkes. Dem Werben des Königs Thoas (Ferdinand Dörfler) widersteht sie. "Das Land der Griechen mit ihrer Seele suchend" will die Priesterin eines Tages den Fluch der Götter lösen, der auf ihrem Geschlecht der Tandaliden lastet. Mit diesem Anspruch stellt die Priesterin der Diana gottgegebene Feindschaften in Frage, erkennt längst festgeschriebene Gegensätze nicht an. Ihre Botschaft an unsere Gesellschaft: neu anfangen zu denken, und sei es gegen alle vermeintliche Vernunft.

Nach anfänglichem Zögern übernahm Hannelore Koch die Rolle der Protagonistin und revidierte später ihre vorher geäußerten Bedenken: "Bei den Proben habe ich bemerkt, daß die Dramatik in den Figuren selbst steckt. Mit Iphigenie assoziiert man eine ruhige sanfte Frau. Doch wie stark diese Frau in ihrem Verweigern ist, das reizt mich unheimlich."

Unter der Regie von Klaus Dieter Kirst gelingt dem Dresdner Staatsschauspiel erneut eine aufsehenerregende Klassikerinszenierung. Gemeinsam mit den tragenden Figuren des Stückes transportieren die Schauspieler Hanns-Jörn Weber (Orest), Albrecht Goette (Pylades) und Olaf Burmeister (Arkas) die Gedanken und das Anliegen Goethes zeitgemäß, zum heutigen Gebrauch und zum Nachdenken, dem Zuschauer entgegen. Über Bühnenbild und Kostüme (Henning Schaller) kann man geteilter Meinung sein, aber die früher so gern genutzten Verfremdungseffekte bleiben dem Publikum im wesentlichen erspart.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen