© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


EU-Europa: Von Geldvernichtern und Subventionsbetrügern
Milliardengrab Brüssel
Gerhard Quast

In der Europäischen Union gibt es nichts, was es nicht gibt. Und in Sachen Subventionen ist ebenfalls nichts unmöglich: Folglich gibt es Subventionen für die private Lagerung von Tintenfischen ebenso wie für die Lieferung von reinrassigen Zuchtkaninchen in die französischen überseeischen Departements, für sage und schreibe 120 Mark pro Karnickel. Auch die Zucht von Seidenraupen hat für die EU unter Umständen einen förderungswürdigen Charakter und wird genauso unterstützt wie der Schutz offensichtlich aussterbender Industrien. Wie anders ist es sonst zu verstehen, daß die EU für die einzige "europäische" Ananaskonservenproduktion Geld erübrigen kann? Geregelt ist das in der EWG-Verordnung "Einführung einer Beihilferegelung zur Erzeugung von Ananaskonserven" von 1977. Mit der Beihilfe soll die "heimische" Ananasproduktion – die Fabrik liegt auf der Karibik-Insel Martinique – "konkurrenzfähig" gehalten werden. Subventioniert wurde sie im Haushalt 1997 mit rund 15 Millionen Mark. Das entspricht in etwa dem "Gewinn", der im gleichen Jahr erwirtschaftet wurde.

Unterstützung verdient haben nach Ansicht der EU außerdem Exporteure, die Getreide "in Form von alkoholischen Getränken" ausführen. Auf gut deutsch: Auch die drei Whiskey produzierenden EU-Länder Irland, Großbritannien und Spanien müssen sich um den Absatz ihrer alkoholischen Getränke keine Sorgen machen. Und neuerdings wird auch den Haselnußerzeugern unter die Arme gegriffen, im vergangenen Jahr mit knapp 30 Millionen Mark.

Gelder in Hülle und Fülle gibt es aber auch für keineswegs bedürftige Firmen wie Rheinbraun, Intel, Dynamit Nobel, Coca Cola oder Hasseröder. Auch sie sind in den Augen der EU förderungswürdig. Die inzwischen fünftgrößte Pilsmarke Deutschlands erhielt zum Beispiel für den Ausbau ihrer Brauerei mehr als 100 Millionen Mark, als Dank dafür, daß sie Sachsen-Anhalt die Treue gehalten hat.

Da wollten natürlich auch deutsche und dänische Molkereien nicht zurückstehen: Sie produzieren "Feta", den der Käufer für griechischen Schafskäse hält, dabei ist nicht ein einziges Schaf daran beteiligt. Der "Feta" wird aus reiner Kuhmilch hergestellt und "eingeweißt". Der Export dieses Produkts wird ebenfalls subventioniert. Daß durch diesen Betrug der Verbraucher (das Etikett zeigt einen griechischen Hirten) den Schaf- und Ziegenbauern in Griechenland der europäische und internationale Absatzmarkt verlorengeht – kein Problem: eine spezielle Haushaltslinie für Schafe und Ziegen hält dafür Finanzmittel bereit.

Daß auch ökologisch und strukturpolitisch durchaus sinnvoll erscheinende Projekte oft wenig Sinn machen, zeigt der EU-subventionierte Kläranlagenbau. Bei einer Überprüfung von Klärwerken in Italien hat sich herausgestellt, daß fünf von sechs mit EU-Mitteln fertiggestellte Anlagen auch nach Jahren nicht in Betrieb genommen werden konnten, weil bis heute keine Stromleitungen verlegt wurden oder Anschlüsse an die Abwassersysteme fehlen.

Über derart irrwitzige Fälle stolperten Volker Angres, Claus-Peter Hutter und Lutz Ribbe bei ihren Recherchen für das Buch "Bananen für Brüssel" (Droemer Verlag, München 1999), das sie vergangene Woche in Berlin vorstellten. Doch nicht nur unsinnige Unterstützungen haben sie in ihrem "Handbuch für den wütenden Europäer" zusammengetragen, auch dem in den EU-Staaten weit verbreiteten Subventionsbetrug sagen sie den Kampf an. Ihr Ergebnis ist niederschmetternd: Subventionsbetrug ist zwar überall in der EU an der Tagesordnung, kontrolliert wird aber nur unzureichend. Zwar schreibt eine EU-Verordnung vor, daß fünf Prozent der Beihilfeanträge zu überprüfen sind, doch ernsthaft betrieben werden die Kontrollen kaum. Als beispielsweise 1995/96 auf den Balearen bei 32 Prozent der 3.601 geprüften Anträge kostenträchtige Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden, hätten die spanischen Behörden im Folgejahr die Zahl der Stichproben erhöhen müssen. Stattdessen wurde die Zahl der Stichproben verringert. Erschwerend kommt hinzu, daß Subventionsbetrug nur in Deutschland, Portugal und Italien unter Strafe steht. Weder auf europäischer Ebene noch in den anderen EU-Staaten gibt es einen entsprechenden Straftatbestand.

In Brüssel seien diese wahnwitzigen Subventionen zwar genauso bekannt wie die Praxis des Subventionsbetrugs, der Geldhahn werde aber nicht zugedreht, dafür sorgen einflußreiche Lobbyisten, so Angres, Hutter und Ribbe.

Nach Ansicht der Autoren ist eine "transparente Neuorientierung" der EU-Ausgabenpolitik längst überfällig. Diese müsse folgende Punkte beinhalten:

p Bei den Strukturfonds, dem mit rund 30 Prozent zweitgrößten EU-Haushaltsposten, sollten künftig nur noch zinslose bzw. zinsverbilligte Kredite gewährt werden. Dadurch werde sichergestellt, daß Finanzmittel nicht spurlos versickern. Eingespart werden könnten so EU-weit umgerechnet rund 55 Milliarden Mark pro Jahr.

p Ausgaben von weiteren 4,6 Milliarden Mark jährlich ließen sich nach Ansicht der Autoren im Bereich des Agrarhaushaltes einsparen, würde sich die EU bei Ausgleichzahlungen zur Einführung einer Obergrenze von etwa 200.000 Mark je Betrieb durchringen. Während die in der Agenda 2000 festgelegten Ausgleichzahlungen vor allem den Agrarindustrien nützen, könnte von einer solchen "Deckelung" verstärkt die bäuerliche Landwirtschaft profitieren.

p Auch die Beendigung widersprüchlicher Förderungen würde erhebliche Ausgaben erübrigen. Denn einerseits fordert die EU eine Verminderung der Belastung der Gewässer mit Nitraten, andererseits fördert sie den gewässerbelastenden Anbau von Silomais, für den im Jahr 1998 Subventionen von zirka 2,5 Milliarden Mark vorgesehen waren.

p Verantwortungslos seien auch die Subventionen für Massentierhaltung und unsinnige Tiertransporte. Dadurch würden sich zum Beispiel die Folgen der Schweinepest verschlimmern. Allein in den Niederlanden wurden 1997 rund 13 Millionen Schweine "gekeult", der Haushaltsposten um das 41fache überschritten. Die Kosten der Massentötungen: 800 Millionen Mark, die eingespart werden könnten, wenn Schweinezüchter sich privat gegen die Folgen der Schweinepest versichern.

p Als ein Grundproblem der EU wird angesehen, daß die EU-Staaten Betrügereien im eigenen Land kaum vorbeugen und aus nationalem Egoismus von einer Ahndung absehen. EU-Staaten, die Betrugsfälle dulden oder diesen sogar Vorschub leisten, müßten deshalb alle Zahlungen gesperrt werden.

Doch über keinen dieser Punkte wird bei der Zusammenkunft der EU-Staats- und Regierungschefs am 26. Februar auf dem Petersberg bei Bonn oder beim EU-Gipfel Ende März in Berlin gesprochen. Gefeilscht wird vor allem um eine Senkung der deutschen Nettozahlungen. Statt eine Reform auf den Weg zu bringen, die diesen Namen wirklich verdient, wird auch unter der deutschen Präsidentschaft allenfalls gekürzt und umverteilt. Der "Selbstbedienungsladen EU" aber wird nicht in Frage gestellt.


 
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