© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Blutopfer
Karl Heinzen

Rudolf Scharping hat auf seinem Antrittsbesuch, den er am Karnevalswochenende der KZ-Gedenkstätte Oswiecim abstattete, eine gute Figur gemacht. Man merkt, daß der Wechsel im Amt des Verteidigungsministers auch einen Wandel des Stils markiert: Seinem Vorgänger war die Geschmacksbildung im hafenstädtischen Milieu zu deutlich anzumerken, als daß man nicht auch hinter jeder Fassungslosigkeit noch irgendeine Schweinigelei hätte vermuten dürfen. Rudolf Scharping hingegen machte am Zielpunkt deutscher Vor- und Ausgangsort deutscher Nachgeschichte den glaubwürdigen Eindruck, daß er zur Verantwortung bereit ist: So etwas tut gut in stürmischen Monaten, in denen man nicht mehr so recht weiß, woran man bei dieser Regierung ist.

Soll ein solcher Besuch nicht zur Routine erstarren, darf man aber nicht nur hinfahren, sondern muß auch etwas mitbringen wollen, eine neue jakobinische Verfolgungsidee vielleicht oder auch einen neuen Auftrag, dem sich fortan alle gemeinsam stellen dürfen – und nicht nur die, die guten Willens sind. Insbesondere ein Verteidigungsminister, der in anderen Zeiten gut und gerne ein Kriegsminister hätte werden können, wird da an seinen Resultaten gemessen. Auch hier hat sich Rudolf Scharping souverän aus der Affäre gezogen und das, was er als Erwartungshaltung der Völkergemeinschaft vermutet, der Volksgemeinschaft aber nicht gerne zur Diskussion stellen möchte, ex cathedra als Lehre der Geschichte verkündet: Wir müssen uns unserer Vergangenheit endlich auch mit militärischen Mitteln stellen.

Die Soldaten von Panzerbataillon 393, die Scharping begleiten durften, werden ihre Lektion unter "frostklirrendem Himmel" (FAZ) begriffen haben: Wo die Großväter irrten, weil sie ihrem militärischen Handeln einen Sinn unterschoben, können die Enkel schon bald Genugtuung leisten, da ihr bevorstehender Einsatz zweckfrei und unschuldig sein wird. "Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß der eine oder andere von ihnen bei einem NATO-Einsatz auf dem Balkan dem Tod ins Auge wird sehen müssen", meint Michael Ludwig in der "FAZ" – und es ist nicht nur die Vorfreude des ereignishungrigen Reporters, die hier aus ihm spricht. Endlich zeichnet sich nämlich die Gelegenheit eines Nachweises ab, daß auch Blutopfer das Vergangene nicht ungeschehen machen können. Wie inhuman und zynisch sind da erst Stimmen, die ein Ende der finanziellen Opfer im Schulddienst herbeifantasieren wollen!

Ob jetzt im Kosovo oder in Kürze anderswo: Die Bundeswehr steht vor dem ersten Kampfeinsatz in ihrer Geschichte, und sie kann sich ihm in aller Gewissenlosigkeit stellen, weil sie im Auftrag des Parlaments und gemeinsam mit Verbündeten handelt. Auch wenn dann naturgemäß die ersten Zinnsärge – bedeckt mit schwarz-rot-goldenem Tuch – in Köln-Wahn einschweben: Niemand wird sich erdreisten, zu behaupten, daß es süß und ehrenvoll sei, für dieses Vaterland zu sterben.


 
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