© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/99 12. Februar 1999


Ruhrgebiet: Eine Bürgerinitiative wehrt sich gegen den Bergbau
Der Berg fängt nichts auf
Christian Uebach

Persönliche Interessen der Allgemeinheit unterzuordnen, ist nicht leicht. Besonders schwierig wird es jedoch, wenn sich das Interesse der Allgemeinheit an einen Wirtschaftszweig bindet, dessen Fortbestehen unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten höchst zweifelhaft ist. Der deutsche Steinkohlenbergbau fördert einen Rohstoff, der auf dem Markt keine Nachfrage findet, weil Steinkohle in Übersee weitaus günstiger und qualitativ hochwertiger im Tagebau gewonnen werden kann. Nur durch Subventionen in gigantischer Höhe kann der Untertageabbau weiterhin betrieben werden.

"Ihr Widerspruch ist zulässig, aber unbegründet", lautete der Bescheid, den zirka 400 Bürger der Stadt Recklinghausen im Mai 1997 vom Landesoberbergamt in Dortmund erhielten. Der Widerspruch richtete sich gegen die Zulassung eines Rahmenbetriebsplans des Steinkohlebergwerks Blumenthal/Haard in Recklinghausen, der unter anderem den Abbau von Kohlenlagerstätten unter dem Stadtteil Recklinghausen Ost vorsieht. Die betroffenen Anwohner fürchten im Zuge der Abteufung der Lagerstätte B 1 Süd unter ihrem Stadtviertel massive Erdsenkungen und schwere Schäden an ihrem Wohneigentum.

Das überwiegend mit mittelständischen Einfamilien- und Eigentumswohnhäusern bebaute Recklinghausen Ost wurde Mitte der sechziger Jahre zur Bebauung freigegeben. Damals waren die Steinkohlevorkommen unter diesem Gebiet wohl bekannt. Die Zeche Blumenthal gehörte damals vor der Zwangsvereinigung der Ruhr-Bergwerksgesellschaften zur Ruhrkohle Bergbau AG in den Jahren 1967/68 der Bergbau AG Lippe. Eine Anfrage der Stadtverwaltung bei der zuständigen Bergbehörde hatte ergeben, daß das Bergwerk Blumenthal nicht beabsichtige, das Kohlenfeld B 1 Süd abzuteufen. Daraufhin pries die Stadt Recklinghausen das Gelände als bergschadenfreies Bauland an. Verschiedene Bauträger erkundigten sich dennoch schriftlich bei den Behörden, ob sie Bergschadenssicherungsvorkehrungen an den Bauprojekten treffen müßten. Dies wurde verneint. Heute sind zirka 900 von den rund 1600 Häusern in Recklinghausen Ost nicht gegen Bergschäden gesichert.

Das Bergwerk Blumenthal/Haard besaß noch zum Ende der achtziger Jahre Abbaurechte für Kohlenfelder unter dem Naturschutzgebiet Hohe Mark und unter dem Halterner Stausee am Nordrand des Ruhrgebiets. Damals beabsichtigte die Konzernleitung der Ruhrkohle AG, das Bergwerk Auguste Viktoria in Marl, das bis 1991 noch dem Chemiekonzern BASF gehörte, zu arrondieren. Damit die BASF das Marler Bergwerk, welches damals über keine nennenswerten Abbaurechte mehr verfügte, lukrativ abstoßen konnte, einigten sich die Konzernleitungen darauf, daß die Ruhrkohle AG der Zeche Auguste Viktoria die Abbaurechte von Blumenthal/Haard unter der Hohen Mark zuteilen sollte.

Der Erdboden kann sich um 2,5 Meter absenken

Nach dem Verlust dieses Abbaufeldes sah sich das Bergwerg Blumenthal/Haard nun großen technischen Problemen gegenüber, die Abteufung unter dem Halterner Stausee, der als Trinkwasserreservoir dient, ohne Wassereinbrüche zu bewerkstelligen. Hinzu kam, daß die Ruhrkohle AG hier auf den Widerstand der Wassergesellschaft Gelsenwasser AG stieß, die Wasserrechte vor Bergbaurechten geltend machen konnte. Vermutlich vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Steinkohlebergwerke ohne vielversprechende Lagerstätten mittelbar von der Stillegung bedroht sind, entschloß sich die Bergwerksleitung von Blumenthal das Kohlenfeld B 1 Süd unter dem Neubaugebiet nun doch abzuteufen.

Als diese Pläne im Jahr 1991 veröffentlicht wurden, machte sich Empörung unter den Eigenheimbesitzern in Recklinghausen Ost breit. Anfang 1992 erreichte die Stadtregierung durch die Einberufung von Bürgerversammlungen mit Gewerkschafts- und Bergwerksvertretern eine gewisse Beschwichtigung. In der Folgezeit begannen jedoch betroffene Anwohner sich zu organisieren. Als die Stadtverwaltung am 15. April 1996 in einer Planungsausschußsitzung den Rahmenbetriebsplan zum Abbau von B 1 Süd durch einen Vertreter des Bergamtes bekannt machte, nachdem der Plan sechs Wochen zuvor genehmigt worden war, konstituierte sich in den Folgemonaten die Bürgerinitiative "Kein Kohleabbau in Recklinghausen Ost".

Sachkundige unter den Betroffenen, unter ihnen ein Geologe, wissen, daß die Bergstruktur unter dem Gelände aufgrund starker tektonischer Störungen und schwer beherrschbarer Sandablagerungen besonders anfällig für unregelmäßige Bergsenkungen ist. Diese treten infolge der Hohlräume auf, die der Abbau im Berg hinterläßt. Seitens der Ruhrkohle AG wurde zugegeben, daß sich der Erdboden im Durchschnitt um 2,5 m absenken könne, was bereits zu nennenswerten Schäden an den nicht gesicherten Bauten führen kann. Der Sprecher der Bürgerinitiative, Albert Ploenes, fürchtet jedoch Bergschäden weit größeren Ausmaßes. Der pensionierte Diplom-Handelslehrer äußerte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, daß der zuständige Markscheider, ein Untertage-Vermessungsingeneur, die Äußerung getätigt haben solle: "Der Berg fängt nichts auf." Daraus schließt die Bürgerinitiative bei einer geschätzten Flözhöhe von über zehn Metern, daß es zu viel stärkeren Bodensenkungen kommen könne, als von den Bergbauvertretern zugegeben. Die daraus entstehenden Schäden an Bebauungsobjekten könnten sich summiert auf über eine Milliarde Mark belaufen.

Unbestätigten Berichten zufolge soll das Bergwerk Ewald in Herten, das im Jahr 2000 stillgelegt werden wird, die Vortriebsgeschwindigkeit untertage erhöht haben. Die Bergwerksleitung der Zeche in der Nachbarstadt Recklinghausens wolle die Förderleistung vor der Stillegung noch einmal erhöhen, da nur geförderte Kohle auch subventioniert wird. Diese Erhöhung der Förderleistung soll mit stärkeren Bergschäden und vermehrt auftretenden Beeinträchtigungen an Bauten in Herten einhergegangen sein.

Die Umweltverträglichkeit wurde nicht geprüft

In den vergangenen Monaten haben sich immer wieder Hauseigentümer aus der Recklinghäuser Innenstadt an die Bürgerinitiative "Kein Kohlenabbau in Recklinghausen Ost" gewendet. Diese beklagten mitunter zwei-Finger-breite Risse im Mauerwerk ihrer Gebäude, die auf Bergsenkungen infolge des Abbaus unter der Recklinghäuser Innenstadt zurückzuführen seien. Bei Entschädigungsforderungen gegenüber der Bergbaugesellschaft stehen diese Hauseigentümer dem Problem gegenüber, daß nach dem bundesdeutschen Bergrecht die Beweislast im Fall von Entschädigungsforderungen beim Bergbaubetreiber liegt. Das heißt, daß dieser beweisen muß, daß die Schäden an den Immobilien nicht durch den Bergbaubetrieb verursacht worden sind. Die dafür benötigten Gutachter werden von der Bergbaugesellschaft engagiert!

Über 400 der betroffenen Anwohner legten im März 1997 Widerspruch gegen die Genehmigung des Abbaus unter ihrem Wohnviertel ein mit dem Hinweis darauf, daß aufgrund einer klaren Aussage des Bergwerks gegen den Abbau von B 1 Süd ihre Eigenheime nicht gegen Bergschäden gesichert seien. Die Bergbehörde habe durch die Genehmigung des Plans die Voraussetzung dafür geschaffen, daß sich Unternehmer zukünftig entgegen ihren eigenen Zusagen verhielten. Die Zurückweisung durch das Oberbergamt erfolgte mit der Begründung, daß vor der Bebauung Recklinghausen Osts das Bergamt nur auf geplante bergbauliche Maßnahmen hätte hinweisen können, für die auch ein Rahmenbetriebsplan vorgelegen hätte.

Um Rechtsmittel gegen diesen Entschluß einsetzen zu können, gründete die Bürgerinitiative "Kein Kohleabbau in Recklinghausen Ost" im April 1997 einen Rechtshilfefond, der einen von sieben Klägern bei rechtlichen Schritten gegen die Bergbaubehörde vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen stützt. Nach Meinung des Klägers hätte der geplante Abbau nicht ohne Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und entsprechende Auflagen genehmigt werden dürfen. Die Klage baut darauf, daß das Verwaltungsgericht einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 22. Oktober 1998 Bedeutung beimessen wird, die die Rechtswidrigkeit des deutschen UVP-Rechts entschieden hat. Der Rahmenbetriebsplan für B 1 Süd wurde dem Bergwerk Blumenthal/Haard nach der 1990 in Kraft getretenen Bergrechtsnovelle genehmigt. Diese sieht vor, daß alle Bergbaupläne, die vor Beginn des Jahres 1998 beantragt worden sind, nach dem alten Bergrecht, ohne die überarbeiteten, strengeren Umweltauflagen zu genehmigen sind. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch festgestellt, daß nach einer Richtlinie, die die EG-Kommission 1985 erließ, das nationale Bergrecht bis spätestens 1988 den EG-Umweltverträglichkeitsprüfungs-Bestimmungen hätte angepaßt werden müssen und nicht erst 1990, wie in der Bundesrepublik geschehen. Da das Bundesverfassungsgericht den Anwendungsvorrang von EU-Recht gegenüber nationalem Recht festgestellt hat, verspricht sich die Bürgerinitiative "Kein Kohleabbau in Recklinghausen Ost" von der Klage, daß die Ungültigkeit der Genehmigung des Rahmenbetriebsplans für B 1 Süd festgestellt wird.

Die Anwohner hoffen so, daß die inzwischen mit dem Saar-Bergbau zur Deutschen Steinkohle AG zusammengeschlossene Ruhrkohle im Falle einer Entscheidung gegen die Bergbehörde von einer Abteufung von B 1 Süd absieht. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung würde nämlich schätzungsweise zwei Jahre in Anspruch nehmen und die Rentabilität erneut in Frage stellen.

Dem Vorwurf, die Arbeitsplätze der Bergleute von Blumenthal/Haard zu gefährden, begegnet der Sprecher der Bürgerinitiative, Ploenes, mit dem Verweis auf den im rheinisch-westfälischen Steinkohlebergbau geltenden Tarifvertrag, in welchem die Arbeitgeber die schriftliche Zusage gemacht haben, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen. Die betroffenen Kumpel müßten im Falle einer Schließung von Blumenthal/Haard auf anderen Zechen eingesetzt werden.


 
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