© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/99 12. Februar 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Global Player
Karl Heinzen

In den meisten europäischen Staaten regte sich vor knapp zwei Jahrzehnten ein Protest gegen die NATO, der sie von einer Nachrüstung gegen das gewachsene Militärpotential der Sowjetunion abzuhalten versuchte. Man wußte, was auf dem Spiel stand: Aus würde es sein mit allen Bemühungen, Westeuropa strategisch von den USA abzukoppeln und dann politisch unter Kontrolle zu bringen. Aus würde es sein mit den Hoffnungen, die sozialdemokratischen, sozialistischen und prä-post-kommunistischen Parteien vom Konkurrenzdruck, der sie von der Entfaltung ihrer Identität abhielt, zu befreien. Und noch mehr: Am Ende drohte vielleicht sogar das große Menschheitsobjekt des real existierenden Sozialismus selber in Gefahr zu geraten. Alle diese Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Und doch hat die Auflösung des Warschauer Paktes und der Zerfall der Sowjetunion den Fürsprechern ihrer Interessen im Westen nicht geschadet. Dies ist als ein Indiz ihrer Uneigennützigkeit zu werten.

In den meisten westeuropäischen Staaten sind heute Politiker und Parteien an der Regierung, die in den Jahren, in denen den Interessen des westlichen Bündnisses noch geschadet werden konnte, dies redlich versucht haben. Mit Javier Solana ist sogar jemand im Konsens NATO-Generalsekretär geworden, der sich an Straßenumzügen gegen den Beitritt seines Landes zur Allianz beteiligt hatte. Es kann somit kaum von der Hand gewiesen werden, daß eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität längst dabei ist, Gestalt anzunehmen.

Je weniger Bedeutung der NATO in der Weltpolitik zukommt, desto mehr Gewicht können die Europäer im Bündnis entwickeln. Die Amerikaner müssen dabei nicht einmal auf den Anschauungsunterricht verweisen, den sie einst der Sowjetunion erteilten. Die Europäer wissen aus eigenem Erleben in fünfzig Jahren NATO (und mehr), wo ihre Stärken liegen, und werden sie beileibe nicht in der Entfaltung einer militärischen Machtprojektion suchen. Der Versuch der Amerikaner, ausgerechnet ihre Verbündeten auf dem alten Kontinent zu weltweiten Einsätzen notfalls ohne Mandat und bei bloßer Bedrohung von Interessen zu überreden, darf daher als Jubiläumsscherz gewertet werden – genauso wie der Vorschlag, den verstärkten Rüstungsanstrengungen der USA (112 Milliarden Dollar in sechs Jahren zusätzlich) nachzueifern. So viel Spaß muß unter Freunden aber schon erlaubt sein. Die Europäisierung der NATO in diesem wohlverstandenen Sinn hilft, eine mögliche Konfliktlinie zwischen beiden Ufern der Atlantiks schon im Ansatz zu verhindern. Sie markiert zugleich eine neue Aufgabenteilung im Bündnis, in der den Europäern die Rolle des Global Payer zukommen würde. Joseph Foscher hat auf der jüngsten Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik erneut darauf hingewiesen, daß Deutschland sie schon seit langem ohne Starallüren spielt. Für Frankreich und Großbritannien jedoch gibt es hier noch Nachholbedarf.


 
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