© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/99 12. Februar 1999


NATO: Die USA sichern ihre Vorherrschaft in Europa
Ein Fuß in der Tür
Alain de Benoist

Am 25. April dieses Jahres wird in Washington ein NATO-Gipfel zur Feier des 50jährigen Bestehens stattfinden. Dieses Treffen wird mit besonderer Spannung erwartet, weil die Amerikaner dort die Annahme eines "neuen Strategiekonzepts" vorschlagen wollen. Ihr wahres Bestreben ist, sich selbst eine institutionelle Macht zu schaffen, die es ihnen erlaubt, die globale Sicherheit unter ihrer Regie zu behalten. Darunter fallen nach amerikanischem Verständnis die Einsätze der NATO, aus geographischer wie aus konzeptioneller Perspektive: Die Ausweitung des Begriffs der "Bedrohung" wird dazu führen, daß NATO-Truppen überall auf der Welt intervenieren können. In Europa ruft diese Vorstellung zumindest gemischte Gefühle hervor.

Die Uneinigkeiten betreffen im Kern zwei Punkte: die Intervention der NATO außerhalb ihres Verfügungsbereichs, der bisher auf das Territorium der Mitgliedstaaten beschränkt ist, und die Beziehungen zur UNO. Die Amerikaner, deren Geringschätzung gegenüber der Autorität der Vereinten Nationen man im Irak erlebt hat, wünschen, daß die NATO außerhalb ihres Territoriums agieren kann, ohne dafür vom Weltsicherheitsrat grünes Licht zu benötigen. Da die NATO in Wirklichkeit unter der Herrschaft der Amerikaner steht, würde eine solche Entwicklung die USA zur Weltpolizei ermächtigen, die niemandem Rechenschaft abzulegen hätte. Das "neue Strategiekonzept", über das in Washington diskutiert werden soll, kommt einer Blankovollmacht gleich, die es den USA erlauben würde, sich aus allen internationalen Verpflichtungen zu befreien und eine Eingriffzone zu definieren, die ihren globalen Interessen entspricht. Verständlicherweise verursacht dies einiges Zähneknirschen.

Die europäische Verteidigung ihrerseits war schon immer eine prekäre Angelegenheit, denn sie setzt einen politischen Willen voraus, den die Europäer erwiesenermaßen nicht haben, Ausgaben, denen sie nicht im Ansatz bereit sind zuzustimmen, und ein gemeinsames Projekt, auf das sie sich zu keinem Zeitpunkt einigen können.

Die USA ihrerseits zeigen kein Interesse daran, das Gleichgewicht zwischen den beiden "Pfeilern" des Bündnisses wieder herzustellen, außer natürlich auf der finanziellen Ebene: Sie sind gerne bereit, finanzielle Lasten zu teilen, nicht aber die Macht. Das komplette Scheitern der französischen Bemühungen seit 1995/96, eine Reform der NATO durchzusetzen, die der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) Europas ihren gebürenden Stellenwert einräumt, führt dies beispielhaft vor. Anders gesagt, spricht sich Washington zwar für ein europäisches Verteidigungsabkommen aus, aber nur unter der Bedingung, daß dies die amerikanische Vorherrschaft nicht in Frage stellt – was ihm von vornherein jegliche Bedeutung nehmen würde. Amerikanische Kommentatoren sprechen das im übrigen ohne Vorbehalte aus. So denunzierte John O’Sullivan im Juni letzten Jahres im American Spectator die "Schimäre einer unabhängigen europäischen Großmacht", die unvermeidlich ins "Chaos" führe, und erläutert hochwissenschaftlich, daß "eine Organisation, in der ein Mitglied eine Führungsposition einnimmt, von Natur aus harmonischer funktioniert"!

Das Hauptziel der USA besteht also darin, die EU und die europäische Verteidigungspolitik voneinander zu trennen – aus dem einfachen Grund, den Madeleine Albright ausführte, daß es nämlich nicht in ihrem Interesse liegt, die Interessen der NATO den Entscheidungen einer Organisation unterzuordnen, der die USA selbst nicht angehören. Dies gilt gleichermaßen für die NATO-Osterweiterung, die mit Polen, Ungarn und der tschechischen Republik eingeleitet wird, deren Integration noch in diesem Jahr erfolgen soll. Effektiv bedeutet dies einerseits, daß diesen Staaten militärischer Schutz im Gegenzug für diplomatische Unterstützung (die die EU-Staaten den USA nicht mehr bedingungslos gewähren) angeboten wird, und andererseits eine weitere Öffnung ihrer Märkte für amerikanische Produkte.

Schließlich wissen die Amerikaner sehr wohl, daß sich ihre Interessen letztlich von denen der europäischen Staaten unterscheiden. Amerika blickt mehr und mehr in Richtung Asien, sei es auf der ökonomischen Ebene (mit der Krise der asiatischen Märkte) oder auf der geopolitischen Ebene (mit dem Aufstieg Chinas sowie dem Eintritt Indiens und Pakistans in das nukleare Zeitalter). Wenn die europäische Integration gelingt, droht sie früher oder später mit den USA in Konkurrenz zu treten, und das zu einem Zeitpunkt, da die neue politische Klasse Amerikas sich immer mehr von Europa abwendet. Schließlich steht die amerikanische Öffentlichkeit Interventionen, die viel Geld und vor allem Menschenleben kosten, mit zunehmender Abneigung gegenüber. Unter diesen Umständen mag man sich fragen, wie es der NATO gelingen könnte, sich wieder eine glaubhafte Identität zu geben. Das atlantische Bündnis ist noch nicht in Auflösung begriffen, aber der Washingtoner Gipfel könnte sehr wohl einen Zersetzungsprozeß einleiten.


 
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