© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/99 12. Februar 1999


Nach der Hessen-Wahl: Die CDU hat Angst vor dem konsequenten nächsten Schritt
Volksabstimmung jetzt!
Hans-Georg Münster

Wahlforscher und Bonner Regierungsparteien sind sich einig: Der von Rot-Grün geplante Doppelpaß hat die Gemüter in Hessen so bewegt, daß bei der Landtagswahl die Regierung des SPD-Ministerpräsidenten Hans Eichel vom CDU-Spitzenkandidaten Roland Koch gekippt wurde. Die CDU, so heißt es, habe wie selten zuvor ihre Mitglieder und Anhänger durch die Unterschriftenaktion gegen die Hinnahme der generellen doppelten Staatsbürgerschaft mobilisieren können. Den eigentlich logischen zweiten Schritt, eine bundesweite Volksabstimmung über den Doppelpaß, wagen die Unionschristen jedoch nicht.

Die Bundesbürger haben ein feines Gespür für bevorstehende Veränderungen. Längst hat ein Großteil mitbekommen, daß rot-grüne Regierungsideologen – frei nach Bert Brecht – das Volk auflösen und sich ein neues schaffen wollen. Drei Millionen bald wahlberechtigte Doppelstaatler sollen erst der Anfang sein. Am Ende wird aus dem Nationalstaat eine Art Weltstaat – allerdings unter der Kontrolle Brüsseler Hoher Kommissare, die sich selbst wiederum jeglicher Kontrolle entziehen.

In Millionenstärke eilen also die Wahlberechtigten an die CDU-Stände, um sich in Unterschriftenlisten einzutragen und damit ihre Meinung gegen die Ausländerpolitik der Regierung kundzutun. CDU-Chef Wolfgang Schäuble gibt die motivierende und mobilisierende Wirkung der Aktion für seine sonst dahinsiechende Partei zu. Die logische Konsequenz aus der Aktion scheut Schäuble wie der Teufel das Weihwasser: eine Volksabstimmung.

Gewiß, das Grundgesetz sieht keine Plebiszite vor, wenn man einmal von dem Sonderfall beim Zusammenschluß von Bundesländern absieht. Doch die Verfassung kann mit Zweidrittelmehrheit geändert werden. Änderungen des Grundgesetzes nach Belieben, zu eigenen Gunsten (Diätenerhöhung) oder zu modischen Zwecken (Beispiel Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel) sind aus Gründen der Rechtssicherheit eigentlich unerwünscht. Was spricht dagegen, dem Volk mehr Rechte einzuräumen, als alle paar Jahr von den Parteien in Hinterzimmern gefertigte und nicht abzuändernde Landeslisten ankreuzen zu lassen?

Schäuble und auch CSU-Chef Edmund Stoiber, die in dieser Frage übereinstimmend einsilbig sind, hätten es einfach. Innenminister Otto Schily (SPD) war unbedacht vorgeprescht und hatte der Opposition bereits Verhandlungen über diese Frage angeboten. Doch beinahe entrüstet wiesen die Unionschristen das Angebot zurück. In den Köpfen der CDU-Präsidiumsmitglieder herrscht der Gedanke vor, die Bundesrepublik müsse eine repräsentative Demokratie bleiben.

Auch Schilys Vorstoß war nicht mit der SPD-Führung abgesprochen. Die etablierten Parteien haben unisono viel zu große Angst, der Souverän könne Geschmack daran finden, direkt zu entscheiden. Das Volk könnte wichtige Themen an sich reißen: Es würde vielleicht über die Kernenergie abstimmen wollen; über die Einführung des Euro hätte es sicher gern abgestimmt. Und gegen oder für den Doppelpaß würden etwa 80 Prozent ins Wahllokal gehen.

Aber repräsentative Demokratie heißt für die Etablierten, daß Volkes Wille gefiltert werden muß. Die Menschen, so wird immer argumentiert, seien nicht frei von Stimmungen. Volkes Stimme und Wille läßt man daher lieber von Demoskopen testen (die sich jedoch immer häufiger irren, weil sich der Wähler – gemein, wie er nun einmal ist – nicht mehr an die Umfragen hält).

Das Ergebnis fließt dann in die typischen Bonner Kompromisse ein, die nichts vernünftig regeln und niemanden zufriedenstellen. Schon freut sich Schäuble, daß die Bundesratsmehrheit von SPD, Grünen und kommunistischer PDS fürs erste dahin ist. Jetzt kann der Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat wieder aktiv werden. Unionspolitiker liebäugeln bereits mit der Möglichkeit, beim Doppelpaß ein wenig Einfluß nehmen und "nachbessern" zu können.

Denn das muß man wissen: Kochs Hessen-Wahlkampf im Fahrwasser der Positionen von Alfred Dregger und in enger Anlehnung an die bayerische CSU war für die CDU ein Sonderweg. Die Verhältnisse lassen sich nicht auf Bremen, Schleswig-Holstein oder Berlin übertragen. Um ein Haar hätte die Unionsfraktion einen "kleinen Doppelpaß" beschlossen. Schäuble hat nicht einmal im Parteipräsidium unbedingt eine Mehrheit für diese von der CSU ausgehende Unterschriftenaktion.

Die größte Angst vor Volksabstimmungen haben die Bonner Mandatsträger in eigener Sache: Der Souverän könnte ihre Diäten kürzen und die Politiker in der BfA zwangsversichern, damit sie die Folgen ihrer Rentenpolitik am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Verdient hätten sie’s ja.


 
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