© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Miss-Wahlen: Im Dickicht der nationalen Schönheitswettbewerbe geht der Durchblick flöten
Als erste eine unter vielen
Ronald Gläser

Es gibt Dinge im Leben, bei denen benötigt man einfach auch ein bißchen Glück . Bei der Parkplatzsuche am Samstagmittag in der Innenstadt einer beliebiegen Großstadt zum Beispiel. Oder um drei Uhr morgens im Spiel-Casino, wenn man seine letzten Mäuse auf die 17 setzt. Alexandra Philipps hatte dieses bißchen Glück und wurde am späten Mittwochabend voriger Woche im Festival Center des Hotel Estrel in Berlin-Neukölln zur neuen Miss Germany gewählt.

Die 23jährige und ihr männliches Gegenstück, der 24jährige Student Florian Roski, beide aus Süddeutschland, brachen in Jubelstürme aus, als die Entscheidung der Jury bekannt gegeben wurde. Die Siegerin kann mit ihrem neuen Renault Clio von Berlin heimwärts fahren. Beide strahlenden Gewinner freuen sich ferner über eine 5000-DM-Reise. Und vielleicht winkt ja sogar der Einstieg in eine erfolgreiche Model-Karriere, der Traum jedes zweiten Mädchens in Deutschland. Auf der anschließenden Party in Berlins größtem Hotel gaben sich Sieger und Siegerin gelassen. Er will erst einmal den Führerschein Klasse I machen, um seinen Hauptgewinn, ein Motorrad, auch nutzen zu können.

Im Dschungel von Schönheitswettbewerben, Beauty Contests und Miss-Wahlen ist die Wahl der Miss Germany durch die Miss Germany Corporation aus Oldenburg eine der ernst zu nehmenden Veranstaltungen. Rund 4.500 Kandidatinnen und Kandidaten standen in insgesamt 290 regionalen Miss-Wahlen zur Auswahl.

Hier geht es nüchtern zu, wenn die Schönsten der Schönen ermittelt werden sollen. In der Jury unter dem Vorsitz von Erina Prinzessin von Sachsen sitzen Alt-Stars wie Grit Boettcher und Bernhard Brink, Gaby Baginsky und Tina York, die Moderatorin Dagmar Frederic und die Entertainerin Kim Fisher, Zehnkampf-Olympiasieger Christian Schenk und der Mann mit der Pfeife, Ex-Fußballschiedsrichter Walter Eschweiler; moderiert wurde der Abend von Gotthilf Fischer. Unternehmer Horst Klemmer, Veranstalter dieser Miss-Wahl, hat jahrzehntelange Erfahrung in Sachen Schönheit. Nach Bekanntgabe des Jury-Ergebnisses erhoben sich die 1.200 Gäste, darunter 280 Journalisten, zum Singen der Nationalhymne.

Aber der heißbegehrte Titel wird noch von mehreren anderen Organisationen vergeben. Er ist nicht geschützt, könnte also auch von der JF-Redaktion vergeben werden. Wer am Tag vor der Wahl der Miss Germany in Berlin, am Dienstag in der Harald-Schmidt-Show die 21jährige Diana Dubig, die sich als "die richtige Miss Germany" ausgab, gesehen hat, hatte also keineswegs eine Hochstaplerin vor Augen.

Die junge Dame war in der Tat zunächst zur Miss Sachsen und in der Endausscheidung am 13. Januar in Trier zur Miss Germany der Miss Germany Association avanciert. Die MGA ist einer der größten Konkurrenten der MGC; ebefalls im Geschäft ist zum Beispiel die Gruppe "Supermodel of the World".

Die Konkurrenz in der Beauty-Branche nimmt stetig zu. Jede Diskothek wählt irgendwann ihre "Miss Wet T-Shirt" oder "Miss Bikini". Allein in der Hauptstadt wird schätzungsweise monatlich die Wahl einer neuen Miss Berlin durchgeführt. Dann werden Titel von Zeitschriften oder anderen Veranstaltern wie die "Miss Penthouse" oder "Miss Filmfestspiele" ermittelt.

Ein anderer großer Veranstalter eines nationalen Schönheitswettbewerbs, BerlinModels, steht vor schwerwiegenden Problemen. Wie ein MGC-Mitarbeiter hämisch erklärt, sei BerlinModels "nach seinem Höhenflug tief abgestürzt."

Die letzte Gesicht-98-Wahl hatte sich als Flop erwiesen. Verschiedene Sponsoren wie SAT 1 sprangen aus unterschiedlichen Gründen ab. Gäste und Presse waren über die unfreundliche Behandlung enttäuscht. Dann folgten schwere Beschuldigungen ehemaliger Models, die in dem Unternehmen unter Vertrag standen und sich über die Arbeitsbedingungen und Honorarabrechnungen beklagten. Ein Gericht hat mittlerweile zugunsten eines Klägers entschieden.

Unternehmensgründer Zielesch hat indes die Gegenoffensive angetreten und dementiert den drohenden Konkurs seines Unternehmens. Über die Auflösung einer Tochtergesellschaft, der "Gesicht Marketing GmbH", und die Entlassung der Mitarbeiter wollte man allerdings vor Redaktionsschluß keine Auskunft geben.

Zielesch hatte indes schon nach der letzten Gesicht-Wahl angekündigt, daß es kein Gesicht ’99 geben würde. Interessant ist, daß die Zahl der Teilnehmer an "Gesicht" meist mit über 100.000 angegeben worden ist. Gegen einen solchen Run auf den Gesicht-Laufsteg spricht, daß Teilnehmerinnen aus zurückliegenden Wettbewerben sogar telefonisch angefragt worden sind, ob sie nicht noch einmal teilnehmen wollten.

Das neue Siegerpärchen interessiert sich weniger für solche Hiobsbotschaften von der Konkurrenz. Alexandra Philipps ist nämlich gelernte Sozialversicherungsfachangestellte und will ihre Arbeit ganz normal fortsetzen. Mit ein bißchen Glück macht sie ja auch dort Karriere.


 
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