© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Gerhard Fels: Der Aufruhr der Achtundsechziger
Das Gift des Kapitalismus
Holger von Dobeneck

Antifaschismus, Antiimperialismus und Antiautoritarismus. Auf diese Begriffstrias lassen sich die geistigen Grundlagen der 68er Studentenbewegung zusammenfassen. So jedenfalls Gerhard Fels in seiner Studie über den "Aufruhr der Achtundsechziger". Der Autor selbst studierte Philosophie, Biologie und Chemie, promovierte über Wissenschaftstheorie und war anschließend zwei Jahrzehnte Leiter eines Gymnasiums. Dort erlebte er die Auswirkungen der Studentenrevolte an der pädagogischen Front. Die geistigen Väter dieser Revolte waren Max Horkheimer, Theodor Adorno, Ernst Bloch und György Lukacs. Sie waren die Hauptdenker, die den Marxismus in Verbindung mit Psychoanalyse und amerikanischer Soziologie für die Studenten aufbereiteten. Auf Horkheimers Anregung mied man den Begriff "Marxismus" und führte statt dessen den unverfänglicheren Terminus "kritische Theorie" ein. Diese fokussierte sich vor allem in Frankfurt am dortigen Institut für Sozialforschung, das auch unter dem Namen "Frankfurter Schule" bekannt wurde und eine Art Edelmarxismus betrieb. Am meisten Furore machte dabei Herbert Marcuse. Er brachte in seinen Werken "Der eindimensionale Mensch" und "Triebstruktur und Gesellschaft" vor allem die Psychoanalyse in einer "light"-Version an den Mann.

Marcuse betrachtete sie als eine politische Philosophie. Damit traf er genau den Zeitgeist der Studenten: ihre Ablehnung von Institutionen, Autorität und Sexualunterdrückung.

Bei Horst-Eberhard Richter, einem anderen Zeitgeistinterpreten, wurde die Psychoanalyse zu einem Instrument des Pazifismus. Alle gesellschaftlichen und machtpolitischen Interessen wurden von Richter in das uneinsehbare Innere verlegt, so daß viele tatsächlich glaubten, wenn man sich nur genügend psychoanalysieren lasse, könne man Kriege vermeiden. Der Kriegsneurotiker Richter übersah, daß es im Gegenteil die Verteidigungsbereitschaft der Nato war, die den Kalten Krieg beendete und schließlich und endlich den Zusammenbruch des sowjetischen Unrechtsystems bewirkte, das beim Rüstungswettlauf nicht mithalten konnte.

Zu solch unpolitischem Denken konnte man durch die Beschäftigung mit Psychoanalyse gelangen, die eben im Kern soziale und politische Amnesie bedeutet. Abgesehen von der Psychoanalyse und einigen Konzepten der Soziologie und Sozialpsychologie waren die geistigen Väter der 68er allen wissenschaftlich-philosophischen Strömungen des Mainstream feindlich gesonnen: Sprachanalyse, Pragmatismus, Positivismus wurden allesamt verworfen und verdächtigt, systemstabilisierend zu sein. Ob Karl Popper, Hans-Georg Gadamer oder Niklas Luhmann – alle wurden von Habermas als Anpasser abqualifiziert. Die Denker der Bewegung waren holistisch und dialektisch und glaubten die Totalität der Gesellschaft denken zu können. Indem sie dem Marxismus und der Psychoanalyse das Etikett "Wissenschaft" verpaßten, glaubten sie sie gegen Kritik immunisieren zu können.

Popper gelang es zwar, in seiner Schrift "Das Elend des Historizismus" die Unwissenschaftlichkeit dieses Denkens nachzuweisen. Das half wenig, denn die selektive Rezeptionsbereitschaft der Studenten qualifizierte alles als "positivistisch" ab, was nicht in den Kanon der Frankfurter paßte.

Mit dem Begriffsinstrumentarium der Frankfurter Schule schaffte sich der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) ein theoretisches Fundament, das als Rechtfertigung für seine Aktionen diente. Theoretisch unbedarfter waren hingegen die nachfolgenden Mordbrenner der RAF. Sie hatten personalisierte Feindbilder im Kopf, die sie durch Liquidierung ausschalten wollten, um so das verhaßte System lahmzulegen. In ihrer manichäischen Weltsicht waren sie durch Argumente nicht mehr zu erreichen. Im Grunde steckten sie in einer romantischen Rückwendung zu den gedanklichen Strukturen der Weimarer Republik und versuchten gewaltsam, ihre angelesenen Interpretationen auf die Wirklichkeit zu übertragen.

Gerhard Fels charakterisiert den Aufstand der 68er als einen Kulturkampf, einen Generationskonflikt und einen psychischen Bewältigungsversuch gestörter Individuen in einem. Nicht von Ungefähr kam es, daß das "sozialistische Patientenkollektiv" in Heidelberg unter dem Arzt Wolfgang Huber zu einem Hauptrekrutierungsort der Guerilla wurde. Hier wurden schwer Gestörte indoktriniert, daß der Kapitalismus der Urheber aller Krankheiten sei, und unter dem Motto "Macht kaputt, was Euch kaputt macht" wurde zum Totschlag animiert. (Ein Graffiti, das jahrelang die Heidelberger Uni verunzierte, lautete: "Der Pflasterstein und dein Nierenstein sind austauschbar.")

Mehr und mehr nahmen die 68er die Welt quasi nur aus Schießscharten wahr. Es begann eine Serie von tödlichen Attentaten, die Fels akribisch genau nachzeichnet. Jedes dieser Attentate fand Beifall in der Symphatisantenszene.

Auf den Demonstrationen skandier-en die Studenten: "Wir sind alle angeheuert und vom Osten ferngesteuert". Doch was Ironie sein sollte, entsprach in vielen Fällen den Tatsachen. Denn diese Studenten waren zum Teil tatsächlich ferngesteuerte Marionetten der Stasi – und sie wurden zu Spielfiguren im geopolitischen Machtpoker der Sowjetunion.

Keiner hat es besser erkannt als Franz-Josef Strauß, der immer wieder die Dummheit der gesinnungethischen Intellektuellen zur Sprache brachte, die glaubten, sie könnten in ihrem Idealismus sich fernhalten von den Machtstrukturen der Welt.

Fels gelingt es hervorragend, die beklemmende Atmosphäre im "Deutschen Herbst" (1977) zu schildern. Erinnert sei an die Worte des Göttinger "Mescalero", der nach der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback in der AStA-Zeitung Göttinger Nachrichten "klammheimliche Freude" verspürte.

Heute wird man in einer seltsamen Assoziation an die Worte von Außenminister Joschka Fischer erinnert, der ein Jahr später im Frankfurter Pflasterstrand über die Ermordung von Buback, Ponto und Schleyer schrieb: "Bei den drei hohen Herren mag mir keine rechte Trauer aufkommen, das sag ich ganz offen."

Das waren die Nachwehen von ’68, und es ist gut, sich in Erinnerung zu rufen, daß manch einer dieser schamlosen Protagonisten von damals heute eine Spitzenfunktion in der Bundesrepublik Deutschland einnimmt. Hier gilt der alte Satz der Stoiker: "Tempora mutantur et nos mutamur in illis". Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen.

Heute geht von dem Gedankengut der 68er keine Ansteckungsgefahr mehr aus. Und es steht zu vermuten, daß nach dem Gezeitenwechsel – wenn erst einmal vor aller Augen ungeschminkt die Wahrheit steht und alles beim Alten geblieben ist – ein gewaltiger Paradigmenwechsel einsetzen wird, und die Söhne ihren Vätern das heimzahlen werden, was diese ihren Vätern angetan haben. Das nennt man dann Dialektik.

 

Gerhard Fels: Der Aufruhr der Achtundsechziger. Zu den geistigen Grundlagen der Studentenbewegung und der RAF. Bouvier Verlag, Bonn 1998, 286 S., 45 Mark


 
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