© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Kino: Jan Schüttes Film "Fette Welt" mit Jürgen Vogel
Suff, Tod und Romantik
Ellen Kositza

Da ist zum einen Hagen (Jürgen Vogel), jung, gesund und nicht ganz dumm. Hagen lebt auf der Straße, er bettelt, klaut hin und wieder und übernachtet gelegentlich in einer Pinkelkabine der Münchener Bahnhoftoilette. Omen oder Ironie des Schicksals, daß "Trinker" sein Nachname ist. Lose gebunden ist Hagen an die anderen Gestalten der städtischen Pennerszene, er ist nicht eben unglücklich oder gar verzweifelt, das Leben ist, wie es ist, und warum ausgerechnet seine Biographie bislang schräg bergab verlaufen ist, erfährt der Zuschauer nicht.

Auf der anderen Seite ist da Judith (Julia Filimonow), noch pausbäckiger Teenie aus bürgerlichem Hause. Die Berliner Schülerin, optisch eine Zwillingsschwester der Pop-Biene "Blümchen" ist von zu Hause ausgerissen und trifft in München durch Zufall auf Hagen. Jugendliche Sinnsuche, naive Abenteuerlust – die Kleine schließt sich der gammeligen Randgesellschaft an und sucht Hagens Herz zu gewinnen. Es ist wohl weniger irgendein misanthropisches Mißtrauen als einfach eine tiefverwurzelte emotionale Lustlosigkeit, die Hagen auf Judiths immer deutlicher werdendes Ansinnen nicht eingehen läßt – bis er sich eher unverhofft doch in sie verliebt. Nachdem die Polizei die beiden bei unerlaubten Handlungen erwischt und Julia in ihre Heimatstadt zurückfliegen lassen hat, klammert der Stadtstreicher sich an die Liebe des Mädchens wie an den berühmten rettenden Strohhalm. Das Leben auf der Straße, wenn es auch vielleicht der selbstgewählte Weg war, könnte ein Ende haben...

Der Film ist kein Klassendrama, er zeigt weder bürokratische Unmenschlichkeit deutscher Sozialämter noch sonstigen Sozialkitsch, der vielleicht zu erwarten wäre. Statt dessen ist "Fette Welt" zweierlei: Zum einen die melancholische Schilderung des Pennerdaseins mit ihren verschiedenen Charakteren; der schönen kaputten Drogenabhängige, dem psychotischen Träumer von einem besseren Leben, der verkrachten Intellektuellenexistenz. Suff, Aggression und Tod stehen hier neben Solidarität und Momenten urbaner Grillfeuer-Romantik. Besonders wirkungsvoll ist dabei, daß "echte" Penner hier die Nebenrollen besetzen – man sieht diesen Gesichtern ihre Lebensform an, authentisch wirkt daher zumindest diese Seite der Geschichte. Zum anderen beschreibt der Film die Liebe zwischen einem, der sich selbst verloren gegeben hat, und und einer, die sich selbst noch finden wird. Man mag viele Klischees vermuten in einer solchen Handlung, doch Jan Schütte, ehemals ein Dokumentarfilmer, der für diesen Film eine Zeit als Penner gelebt haben will, vermeidet souverän jegliche Gemeinplätze und pathetischen Outlaw-Schwulst.

Böse Zungen behaupten, die Darstellung eines leicht angeschmuddelten Penners sei die Paraderolle schlechthin für Jürgen Vogel, dessen markantestes Erkennungszeichen neben einer beeindruckenden Tätowierung seine unglaublich schlechten Zähne sind. Ausgesprochene Vogel-Fans dagegen meinen, daß selbst für den, den die großstädtische Bettlerszene in Form einer filmisch ausgebautenMilieustudie wenig lockt, wenigstens Jürgen Vogel selbst als Hauptdarsteller Garant für einen sehenswerten Film ist.


 
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