© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Frankreich: Die Auseinandersetzungen im Front National gehen weiter
Quittung für Personenkult
Charles Brant

Die plötzliche Spaltung im Herzen des Front National, die die außerordentliche Parteiversammlung von Marignane vollzogen hat (die JF berichtete), ruft in der Pariser Presse vorsichtige Kommentare hervor. Dieselbe Vorsicht herrscht in der politischen Klasse. Auf der Linken gehen Erleichterung und besserwisserische Schadenfreude Hand in Hand. Auf der Rechten spekulieren die Wagemutigsten offen über die Hypothese einer "Rückkehr verirrter Wähler in den Schoß der Herde". Das trifft auf Charles Millon, den Vorsitzenden der Bewegung La Droite, ebenso zu wie auf Philippe de Villiers, den Vorsitzenden des Mouvement pour la France, oder auf Claude Gloasguen, der Alain Madelin, dem Chef der Démocratie libérale, nahesteht.

Patrick Gaubert, Vertrauter Charles Pasquas und neuer Vorsitzender der Licra (internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus), hat seinerseits die erstaunlichen Vorwürfe des "Rassismus" zurückgewiesen, die Jean-Marie Le Pen gegen Bruno Mégret und dessen Freunde erhoben hat. Le Pens Denunziationen einer "Minderheit extremistischer und sogar rassistischer Aktivisten" richtete sich direkt gegen Personen wie Pierre Vial, die einst dem GRECE angehört hatten, einer intellektuellen Vereinigung der Neuen Rechten. Dieser Angriff hat die Mitglieder des FN traumatisiert, die nicht damit rechneten, anhören zu müssen, wie ihr Chef die klassischen Bannflüche der Linken übernimmt.

Unter den dünn gesäten Stellungnahmen läßt sich die von Pierre-André Taguieff, einem selbsternannten Spezialisten des Antirassismus, hervorheben. In den Kolumnen der Tageszeitung Libération hat er sich daran gemacht, die Entstehungsgeschichte der mégretistischen Ideologie zu schreiben, indem er die – allseits bekannten – Verbindungen Bruno Mégrets, Jean-Yves Le Gallous und Yvan Blots zum Club de l’Horloge offenlegt. Man mag auch diejenige des Philosophen Alain Finkielkraut erwähnen. Gefragt, ob er einen Unterschied zwischen Le Pen und Mégret sehe, erklärte dieser in einem Interview, das am vergangenen Samstag von Le Figaro Magazine veröffentlicht wurde: "Nein, das sind zwei Monster, und ich wünsche mir, daß sie sich gegenseitig bis zum Tode bekämpfen, dadurch Frankreich vom Front National erlösen und damit das erreichen, woran vor ihnen alle gescheitert sind."

Das Ausmaß seiner Macht ist noch unklar. Bruno Mégret ist es gelungen, 2.500 Delegierte für die außerordentliche Versammlung in Marignane zusammenzutrommeln. Er hat es erreicht, 63 von 100 Abteilungssekretären, zwei Drittel der Bezirksvereinigungen, einen Großteil des FNJ (Front national de la Jeunesse; die Jugendorganisation des FN) und des Renouveau étudiant (der Studentenorganisation) sowie die Hälfte der Mitglieder des DPS (Département-Sécurité-Protection), des Ordnungsdienstes des FN, für sich zu gewinnen. Zuletzt stellten sich Martin Peltier, Chefredakteur des wöchentlichen ParteiorgansNational Hebdo, und Jean-Marie Le Pens Kabinettschef Bruno Raccouchot hinter ihn. Unter Berufung auf seine Legitimität will Bruno Mégret jetzt frei über den "Paquebot" (das Grundstück, das die Räumlichkeiten des FN in Saint-Cloud beherbergt) und die Finanzen verfügen.

Ein mörderischer Bruderkrieg hat begonnen, der alte Freundschaften genauso zerstört wie jene geschlossene Fassade, die den FN immer ausgezeichnet hat. In Toulon, einer von drei Städten, in denen der FN regiert, hat sich die Mehrheit im Rathaus am vergangenen Wochenende selbst zerfetzt. Um dem Bürgermeister und altem Freund Le Pens, Jean-Marie Le Chevallier, eins auszuwischen, zögerte die mégretistische Minderheit nicht, einen eigenen Kandidaten zur Wahl eines neuen Stellvertreters aufzustellen.

Die Fernsehsendung "Envoyé special", die in der vergangenen Woche zur Hauptsendezeit ausgestrahlt wurde, widmete der Amtsführung Jean-Marie Le Chevalliers in Toulon viel Sendezeit. Dieser Reportage, die ihn natürlich in einem ungünstigen Licht darstellte, folgten umgehend eine Batterie ausgewählter Zeugenaussagen im Departement von Var aus dem Umkreis ehemaliger Verantwortungsträger des FN. Diese rückten ihre Enttäuschung und ihre Kritik an Jean-Marie Le Pen ins Rampenlicht. Diese Männer, die, dem Beispiel Colonel Jean-Jacques Gerardins folgend, viel Verantwortung übernahmen, haben freizügig ihren tiefen Ekel bekundet. Es besteht wenig Hoffnung, daß sie sich von dem Versuch einer Umkrempelung verführen ließen, wenn Bruno Mégret dabei Regie führt. Diese Enttäuschung steht in unmittelbarer Beziehung zu der gefühlsmäßigen Verbundenheit der Parteimitglieder, die, von allem anderen einmal abgesehen, den Zusammenhalt des FN ausmachen. Die radikale Rechte Frankreichs riskiert teuer für den Personenkult zahlen zu müssen, den Mégret, Le Gallou und Blot selber ein gutes Jahrzehnt lang mit aufgebaut haben.

Die Anhänger Le Pens – die "Lepenisten" – bilden ein "Karree" um ihren Chef herum. Dieser tadelt und verspottet weiterhin den "Verbrecher" Mégret. Dennoch macht sich bei seinen "patriotischen Abenden" eine gewisse Erschlaffung bemerkbar. Von dem Streit erschüttert, den beide Fraktionen eifrig schüren, geben sich die Mitglieder nicht mehr mit mehr oder weniger schönen Worten und dem Schmettern der Nationalhymne zufrieden.

Wenn sein Zorn verflogen ist, wird Jean-Marie Le Pen seine Einsamkeit im Kreise derjenigen feststellen, die ihm treu bleiben, wenn seine politischen Möglichkeiten schwinden. Dann wird er sich an die traurigen Gestalten Shakespeares erinnern können, die in der Asche ihrer kaputten Träume herumtrampeln.

Die Mégretisten stellen die Entschlossenheit derer zur Schau, die optimistisch in die Zukunft blicken. Philippe Olivier, junger Würdenträger am Hofe des ehemaligen Generaldelegierten, verkündet lauthals, Mégret, der "legale und tatsächliche" Präsident des FN verfüge praktisch über die 500 Unterschriften von Bürgermeistern, die notwendig sind, um sich als französischer Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Die Unterschriften bleiben geheim, müssen aber vor Zulassung der Kandidatur beim Conseil Constitutionel (Verfassungsart) zur Prüfung eingereicht werden, der die Kandidatur zuläßt. Aber schon jetzt treten Rivalitäten innerhalb der mégretistischen Führungsriege zutage. Es ist sogar von einem "Stellungskampf" die Rede, in dem es um die Listenplätze bei den kommenden Europawahlen geht. So wird zum Beispiel gemunkelt, Pierre Vial, der Anführer der "fraction paienne" ("heidnischen Fraktion") sei "zu grell", um eine Spitzenrolle zu spielen.


 
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