© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Jugendliche: Das Aufbauwerk in Berlin hilft benachteiligten jungen Menschen bei der Berufsausbildung
"Weil ich dich achte, fordere ich dich"
Karl-Peter Gerigk

Ich habe die Schule nach der zehnten Klasse abgebrochen. Dann habe ich vor allem rumgehangen und getrunken. Eine Maurerlehre habe ich angefangen, aber nicht zu Ende gemacht. Durch eine Zeitungsanzeige bin ich dann zum Jugendaufbauwerk gekommen. Gut ist, daß man hier nicht so schnell rausfliegt", erzählt Bastian, 21 Jahre. Er ist einer von 160 Jugendlichen die im Jugendaufbauwerk (JAW) in der Prenzlauer Allee ihre Ausbildung machen. Er ist im dritten Lehrjahr seiner Tischlerlehre.

Damit hat er großes Glück gehabt. Denn die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildung steigt. Und die Wahrscheinlichkeit sinkt, daß sie noch einen Arbeitsplatz finden. Qualifikation ist immer noch der beste Schutz vor Arbeitsslosigkeit. Waren in Westdeutschland 1997 von den Hochschulabsolventen nur etwa 4,2 Prozent ohne Anstellung (Neue Bundesländer: 6,4, Prozent) so sind es bei den Arbeitnehmern ohne Berufsausbildung 18,3 Prozent (28,6).

Und dies trifft gerade junge Leute. Fast 500.000 Jugendliche unter 25 Jahren waren im Jahr 1998 ohne feste Anstellung. Das geht aus den Unterlagen der Arbeitsämter hervor. Auch wenn die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland in letzter Zeit tendenziell gesunken ist, besteht kein Anlaß zu Entwarnung. Insbesondere ist die Anzahl derer, die ohne eine Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, immer noch zu hoch. Arbeitslosigkeit trifft junge Menschen in einer wichtigen Phase der persönlichen Entwicklung. Wer da schon persönliche Probleme hat, wie viele der Jugendlichen, die Hilfe beim Arbeitsamt suchen, hat oft auch Probleme, eine geeignete Ausbildungsstelle zu finden.

Anhaltende Orientierungs- und Perspektivlosigkeit können ein Abrutschen in Randgruppenmilieus, Drogenkonsum und Kriminalität zur Folge haben. Das Sofortprogramm der Bundesregierung soll hier Abhilfe schaffen. In enger Abstimmung mit den Arbeitsämtern sollen 100.000 Arbeitsplätze für Jugendliche geschaffen werden. Dafür sind rund zwei Milliarden Mark vorgesehen. Es sollen den Arbeitssuchenden Qualifizierungsmöglichkeiten und direkte Beschäftigungsmaßnahmen angeboten werden. Auch die Lehrstellensuchenden können bei den Arbeitsämtern auf bessere Hilfe hoffen. Modellhaft und effektiv ist die Arbeit des Jugendaufbauwerkes, das eng mit den Arbeitsämtern kooperiert.

Damit sie nicht wie andere auf der Straße leben

Das Jugendaufbauwerk existiert seit den fünfziger Jahren, zuerst mit einer Keimzelle in Berlin-Spandau. Nach der Wende wurde im Prenzlauer Berg, auf Bitten der Bundesanstalt für Arbeit, eine weitere Einrichtung aufgebaut. Das Jugendaufbauwerk ist eine öffentlich-rechtliche Organisation, die sich vorwiegend aus Landesmitteln finanziert. Beaufsichtigt wird es unmittelbar vom Innensenator.

Das Haus in der Prenzlauer Allee wird darüber hinaus mit Geld der Bundesanstalt für Arbeit und der Stiftung Jugendmarke unterstützt. Das JAW soll vor allen Dingen sozial benachteiligten Jugendlichen helfen. In der Prenzlauer Allee wird diesen Jugendlichen hinsichtlich beruflicher Ausbildung der Steigbügel gehalten, so daß sie später einmal eine geregelte Tätigkeit ausüben können. Aber es wird auch Hilfe angeboten, damit die Jugendlichen, aus was für Gründen auch immer, nicht auf der Straße leben müssen.

Die Heimunterbringung ist eine wesentliche Aufgabe des Jugendaufbau-werkes. Es gibt alleine in Berlin 28 Häuser, die jungen Menschen eine Wohnung bieten. Die jungen Leute sind meist ab 16 Jahre alt, werden aber zum Teil auch über das 18. Lebensjahr hinaus betreut.

Die berufliche Ausbildung verläuft in Stufen. Erst wird ein Lehrgang zu Berufsfindung durchgeführt, in dem der Jugendliche feststellen kann, für welchen Berufszweig er sich interessiert. Dann wird seine Fähigkeit für den Beruf getestet. Auch soll er im Rahmen dieses Kurses, der seine Begabung fördern möchte, sozial in eine Ausbildungsgruppe integriert werden. "Dies ist ganz wichtig und auch das größte Problem. Denn die soziale Prägung ist recht unterschiedlich. Je nachdem was sie im bisherigen Leben mitbekommen haben. Die Integration in die Gruppe und das Miteinander auch mit dem Ausbilder, dem Meister, entscheidet über den Erfolg der Ausbildung bei uns", erklärt Harald Zöllmer, Leiter des JAW in der Prenzlauer Allee.

Der Erfolg der Jugendlichen ist recht unterschiedlich. Denn nur etwa ein Drittel derjenigen, die in der Ausbildungsstätte, die mit den modernsten Maschinen und Geräten ausgerüstet ist, eine Lehre beginnen, schließen sie auch ab. Grundlegend für diese ernüchternde Zahl sind die sozialen Vewerfungen, die Ursache auch für die Schwierigkeiten der Jungen und Mädchen schon in der Schule waren. Oft sind sie drogenabhängig oder trinken zuviel Alkohol. So kommt es, daß nach etlichen Abmahnungen und trotz aller Nachsicht ein weiteres Drittel die Ausbildung am JAW wieder abbrechen. Der Rest schafft einfach die Prüfung nicht, trotz bester Betreuung und großer Mühen.

Jeder Jugendliche wird in der Regel von einem Meister, einer Sozialpädagogin und einem Lehrer betreut. So ist die Umsorgung umfassend. Der Unterricht findet in kleineren Gruppen statt. In besonders schwierigen Fällen wird auch Einzelunterricht durchgeführt oder ein Psychologe zu Rate gezogen. Auch wird versucht, denjenigen, welche die Ausbildung schaffen, einen Arbeitsplatz zu besorgen. Betriebspraktika sollen den Kontakt zwischen Unternehmen und Auszubildenden herstellen. Oft hat das JAW so schon einigen Jugendlichen eine feste Anstellung besorgt.

Die meisten Jugendlichen, die sich an das JAW wenden – es sind zunehmend auch Abiturienten, die eine Lehrstelle suchen oder junge Leute aus geordneten Verhältnissen –, haben schon vage Vorstellungen von dem, was sie machen wollen. "Doch können wir nicht alle Wünsche erfüllen, die so in den Gehirnen rumschwirren. Bei einer schriftlichen Befragung hatten wir schon Berufsvorstellungen wie Rennfahrer oder Barmieze", sagt Harald Zöllmer etwas amüsiert. Doch das Angebot an Berufen im JAW läßt viele Begabungen entwickeln.

"Wir können nicht alle Wünsche berücksichtigen"

Ausgebildet wird in den verschiedensten Berufen. Vom Maschinenbaumechaniker über den Metallbauer bis hin zum Koch. Die Gruppen sind in der Regel bis zu zwölf Auszubildenden groß. Bezahlt werden die Teilnehmer wie in der externen Berufswelt. Im dritten Ausbildungsjahr sind es rund 700 DM. Auch wenn das Enrico und Bastian anders sehen: "Das Geld, was wir hier bekommen, reicht vorn und hinten nicht. Ich habe eine eigene Wohnung seitdem ich 17 bin. Gut ist, das dich hier keiner nervt, wie in einem Heim. Schlecht ist, daß man alles alleine machen muß", sagt Bastian, und Enrico meint: "Eine eigene Wohnung ist gut – aber sie ist eben zu teuer."

Die größten Schwierigkeiten hätten die Jugendlichen, so Zöllmer, den Stoff, der gelehrt wird, theoretisch zu erfassen. Es gibt allerdings Bereiche und Berufe, da falle es ihnen leichter. Die Kantine des JAW wird zum Beispiel von den jungen Leuten selber bewirtschaftet. "Es wird jeden Morgen von ihnen das Frühstück zubereitet und auch das Mittagessen mit den Küchenchef zusammen hergerichtet. So haben die Auszubildenden einen geordneten Tagesablauf und kommen nicht auf dumme Gedanken oder zurück auf krumme Wege", hofft der Direktor des JAW. Aber die Tätigkeiten, die weniger Abstraktionsvermögen verlangen, sind besonders beliebt, weil eher die Augen und Hände gefordert sind und auf diese Art gelernt werden kann.

Doch werden nicht immer die Berufe gewählt, die der Begabung nahe kommen. Es wird meist der Ausbilder, mit dem die jungen Leute am besten auskommen, gesucht. "Das ist auch ganz sinnvoll, denn die persönliche Ebene entscheidet über den Erfolg der Ausbildung mit", weiß Lutz Michaelis, Ausbilder für die Elektroinstallateure. Das liege vorwiegend an der schwierigen sozialen Herkunft. Die Charaktere seien sehr komplex und die persönliche Bindung in diesem Falle oft das wichtigste. Denn es kommt darauf an, daß sich die Auszubildenden wohl fühlen und auch gerne kommen, will man ihnen bis zum Abschluß helfen.

Persönliche Bindung entscheidet über Erfolg

Gearbeitet wird im JAW nach dem Marenkischen Prinzip, das heißt es wird ganz nach den Vorbild des russischen Pädagogen, der in den 20er Jahren Jugenddörfer aufbaute, in denen jungen Menschen sich in allen Bereichen selbstverwalten mußten, auf die Selbstverantwortung gesetzt. Das Motto heißt: Weil ich dich achte, fordere ich dich. Das bedeutet, daß trotz aller Sorge doch eine ganz normale Ausbildung mit allen Anforderungen des alltäglichen Lebens durchgeführt wird. Es wird auch eine ganz normale Berufschule besucht. Pünktlichkeit, Sauberkeit, Ordnung – alles Tugenden, die den Jugendlichen vermittelt werden sollen, wenn sie nicht schon vorhanden sind. Und vollzogen wird diese Ausbildung durch Fachkräfte, die sich durch ihre pädagogische Qualifizierung und durch ihre Neigung auszeichnen, jungen Menschen, die Schwierigkeiten in der Lebensführung haben, einen Halt zu geben.

Die Gruppe der Tischler und Elektroinstallateure wird von sozialpädagogischer Seite betreut von Annette Lindner. Sie kümmert sich vor allem um die Mädchen in den Gruppen. "Mädchen führen dazu, daß die Gruppen aufgelockerter arbeiten und fördern die Kommunikation untereinander, was für die Entwicklung der sozialen Kompetenz bei den Einzelnen gut ist", erläutert die studierte Sozialpädagogin. Auch Jugendliche, die mit dem Gesetz in irgendeiner Weise in Konflik geraten sind, gehören zu den Klienten von Frau Lindner.

Es geht darum, jungen Leuten Halt zu geben

Das Aufbauwerk arbeitet auch mit der Jugendstrafanstalt zusammen So haben Freigänger die Möglichkeit, ihre Ausbildung im JAW zu absolvieren. Sie werden dann durch das Arbeitsamt vermittelt, wenn sie sich selbst vorher um diese Möglichkeit bemüht haben. "Doch es ist erschreckend, wie sich die Situation der Jugendlichen von Jahr zu Jahr verschlimmert. Die soziale Lage, so beobachten wir, wird schlechter. Es sind zunehmend auch junge Leute mit Schulabschluß, die bei uns eine Ausbildung machen wollen", sagt Frau Lindner.

Die vielen Mitarbeiter des Jaufbauwerks in Berlin und Brandenburg benötigen eine Menge Geld. So beläuft sich das Jahresbudget der Anstalt auf 120 Millionen DM. Angesichts der Notwendigkeit dieser Einrichtung als letzte Chance für viele, die weder Schulabschluß noch Ausbildung haben, sicherlich sinnvoll verwendetes Geld.


 
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