© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Balkan: Jugoslawiens Botschafter Zoran Jeremic über die Interessen Dritter auf dem Balkan
"Der Kosovo wird mißbraucht"
Karl-Peter Gerigk

Die aktuelle Situation im Kosovo bringt die Bundesrepublik Jugoslawien in eine schwierige Lage. Die Nato droht mit Militärschlägen. Wäre es da nicht besser, den Albanern die Autonomie zurückzugeben, die sie bis 1989 hatten?

Jeremic: Es handelt sich nicht um eine Autonomie wie 1989, denn das war eine Autonomie des Gebietes Kosovo und Metohien, das heißt all derer, die dort lebten, und nicht nur der Albaner. Die Albaner haben wie alle anderen nationalen Gemeinschaften in Kosovo und Methohien schon eine Autonomie, die niemals beseitigt wurde. Der beste Beweis dafür ist die Autonomie, die im anderen serbische Gebiet, der Vojvodina, funktioniert, in dem neben den Serben auch etwa 500.000 Angehörige der ungarischen und noch zwanzig anderer Minderheiten leben. Sie haben ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung. Das gleiche gilt nach der serbischen Verfassung auch für Kosovo und Metohien. Das Problem ist, das die sezessionistischen Albaner gar keine Autonomie wollen. Sie fordern eine Unabhänigkeit, um ein Groß-Albanien zu schaffen. Darin sind sich alle Szessezionisten gleich. Rugova hat immer gesagt, er sei für Unabhängigkeit. Er behauptet zwar, dies nicht so mit Gewalt durchsetzen zu wollen, wie die sogenannte UCK, doch stecken die Seperatisten alle unter einer Decke. Deshalb ist es sinnlos, daß die NATO Serbien mit Militärschlägen droht, denn die Albaner haben eine Autonomie, aber sie wollen sie nicht nutzen.

Warum agiert Serbien im Kosovo mit paramilitärischen Polizeieinheiten und dem Militär und bezieht die Zivilbevölkerung mit ein?

Jeremic: Im Kosovo wird nicht militärisch vorgegangen. Das Militär wird vorwiegend an den Grenzen eingesetzt. Für die Ordnung im Kosovo und Methohien sorgen spezielle Polizeieinheiten. Das sind 10.000 Mann, die für die Bekämpfung von Terroristen ausgestattet sind. Sie sind nicht einmal so gut ausgestattet wie die GSG 9. Es sind eben Anti-Terror-Einheiten. Daß die Terroristen die Zivilbevölkerung als Schutzschilde mißbrauchen und sich zum Teil als Zivilisten tarnen, ist ein ausgesprochen hinterhältiges Vorgehen. Dadurch wird die Polizei gezwungen, auch in den Dörfern antiterroristische Aktionen durchzuführen. Die sogenannte UCK setzt auch ihre eigene Bevölkerung unter Druck, indem sie sie in die Wälder schickt, um "schwere humanitäre Situation" zu schaffen.

Sind diese Anti-Terroreinheiten nicht verantwortlich für das Massaker in Racak, bei dem albanische Zivilisten ums Leben kamen, wie die OSZE festgestellt hat?

Jeremic: Hierbei handelt es sich um einen Mißbrauch der OSZE durch den Chef der OSZE-Mission William Walker und der sogenannten UCK, die versuchten, ein Massaker zu inszenieren. Das Szenarium bestand darin, daß man die Terroristen, die im Kampf mit der Polizei umkamen, danach in Zivilkleidung steckte, womit für die Medien ein Bild eines Massakers an der unschuldigen Bevölkerung geschaffen werden sollte. Das beweisen auch die bisher inoffiziellen Ergebnisse der Obduktion, die ein Expertenteam von Pathologen durchgeführt hat.

Jetzt kämpft die UCK doch nicht wie eine Terrorgruppe, sondern eher mit der Taktik von Partisanen. Ein geschlossener Verband ist doch da im Nachteil?

Jeremic: Nach unserer Auffassung sind Partisanen jene, die im Zweiten Weltkrieg gegen den Faschismus kämpften. Doch bei der sogenannten UCK handelt es sich um Terroristen, die auch aus dem Ausland kommen. Sie werden in Albanien ausgebildet und ausgerüstet, in Kosovo und Methodien zum Teil zwangsweise mobilisiert und in Uniformen gesteckt. Das ist kein Militär und schon gar keine Befreiungstruppe.Es handelt sich um eine paramilitärische Seperatistengruppe, seperatistisch nach ihren Bestimmungen, faschistisch nach ihrer Ideologie und terroristisch nach ihren Kampfmethoden.Diese Terroristengruppe verfolgt die Absicht, ihre Handlungen zu legalisieren, um durch die Anwendung von Gewalt politische Ziele zu erreichen.

Warum sucht die serbische Seite nicht den Dialog?

Jeremic: Wir sind in der letzten Zeit achtzehnmal zu den Albanern nach Pristina gereist. Doch sie wollen nicht über Autonomie reden. Sie sind nicht einmal in der Lage oder willens, eine Delegation zu besetzen. Doch es gibt auch Albaner, die den Dialog wünschen. Es ist bekannt, daß die Vetreter dieser Albaner mit dem Präsidenten der Republik Serbien, Milan Milutinovic, eine Deklaration über den politischen Rahmen der Selbstverwaltung in Kosovo und Metohien unterschrieben haben, womit sie die Bereitschaft bestätigen, in Serbien zu leben. Das wird von den Sezessionisten in Kosovo und Metohien nicht akzeptiert.

Ist der Kampf im Kosovo nicht eine Fortsetzung des Traums von einem Groß-Serbien?

Jeremic: Der Schutz des Kosovo und Metohien hat nichts mit dem Traum von einem Groß-Serbien zu tun. Kosovo und Metohien sind das Herz Serbiens. Es wäre so, als wenn man jemanden, der Paris schützen wollte, vorwerfen würde, er sein ein Groß-Franzose. Der Kern der serbischen Nation ist im Kosovo und Metohien entstanden. Das Patriarchat, das Zentrum der serbisch-orthodoxen Kirche, liegt im Kosovo und Metohien. Dort gibt es über 1.800 Kirchen und Klöster. Es ist die größte Konzentration von christlichen Objekten in Europa.

In Serbien gab es eine große Opposition gegen den Krieg schon in Bosnien-Herzegowina. Nun sitzt der damalige Führer der Oppositionsbewegung, Vuk Draskovic, in einer Koalition mit Milosevic in Belgrad. Sind die Oppositionellen auch Großserbische Nationalisten?

Jeremic: Es gibt keinen Krieg im Kosovo und Metohien, sondern nur Polizeiaktionen gegen Terroristen, und gegen den Krieg steht das ganze serbische Volk gemeinsam mit seiner Führung in Opposition. Aber wir sagen aber ganz klipp und klar: Wenn jemand versucht, uns Kosovo und Metohien wegzunehmen, dann werden wir alles unternehmen, um die Wiege der serbischen Nation zu behalten. Wir haben in der Geschichte den Kosovo und Metohien schon vor verschiedenen Angreifern geschützt. Das tun wir auch heute. Es ist verständlich, daß Vuk Draskovic sich der Bewegung anschließt. In einem Interview mit einer italienischen Zeitung hat er dieser Tage gesagt, daß Jugoslawien seine Grenzen verteidigen muß wie jeder andere Staat, denn es wird von einem "nazistischen Projekt eines Gross-Albaniens" bedroht.

Die Nato will die Kämpfe im Kosovo eindämmen. Was halten Sie von dem Einsatz deutscher Bodentruppen?

Jeremic: Das ist das letzte, was man sich wünscht, nach der Geschichte der Deutschen und Serben. Ich plädiere dafür, daß Deutschland eine bewußte Verantwortung gegenüber seiner eigenen Geschichte zeigt. Wir wollen keine fremden Soldaten im Kosovo und Metohien. Auch keine Deutschen mit Waffen. Wir brauchen statt dessen deutsche Investoren, Spezialisten. Wir wollen mit Deutschland und der EU zusammenarbeiten. Warum sollte Deutschland unilaterale amerikanische Interessen verfolgen? Es geht den Amerikanern darum, die Bündnispartner zu disziplinieren. Deutschland setzt hierbei Europa aufs Spiel. Wir waren Zeuge, mit welchen Tricks die Deutschen gezwungen wurden, Zusagen für eine militärische Teilnahme zu machen, als Fischer und Schröder vor dem Regierungswechsel bei Clinton waren.

Sollte Europa auf dem Balkan eine größere Rolle spielen?

Jeremic: Es ist vor allem ein Fehler der deutschen Politik und eben auch der europäischen, das sie den amerikanischen Interessen nachgegeben und keine selbständige größere Rolle auf dem Balkan gespielt haben. Aber das Hauptinteresse Serbiens ist gerade Europa. Wir sind ein Teil Europas. Es ist ein riesiger Fehler, Serbien hier in die Ecke zu treiben. Wir sind und waren eng verflochten mit der deutsche Wirtschaft. Siemens hat erst letztes Jahr sein 110jähriges Jubiläum im Belgrad gefeiert. Große und kleine deutsche Firmen haben ein großes Interesse daran, in Serbien zu investieren. Doch deutsche Firmen haben zur Zeit für Projekte in Serbien keine Hermes-Bürgschaften. Sie sind so nicht konkurrenzfähig, aber diese Garantien gibt es nicht weil die BR Jugoslawien nicht im Internationalen Währungsfond ist. Das lassen eben die USA nicht zu, was letztlich bedeutet, daß die Amerikaner das Engagement deutscher Firmen in Serbien blockieren. Das geschieht mit Absicht, um den deutschen und europäischen Einfluß in dieser Region zurückzudrängen. Daneben ist es das vorrangige Interesse der USA, Kosovo und Metohien als Beispiel zu mißbrauchen, mit der man die Notwendigkeit der Selbstmandatierung der NATO und der Zurückdrängung der UNO in eine zweitrangige Rolle beweisen kann. Dafür wird der Konflikt im Kosovo und Metohien benötigt und daher rührt die amerikanische Unterstützung für die sogenannte UCK bzw. daß man es vermeidet, sie als terroristische Organisation zu kennzeichnen. Deswegen braucht man auch die Unterstützung der UCK.

Ist Rußland für Sie nicht der große Verbündete im Hintergrund und Gegenspieler Amerikas?

Jeremic: Wir sehen Rußland als einen Teil Europas an. Sein Beitrag sollte es sein, nicht ohne weiteres der amerikanischen Interessenpolitik zu folgen. Indem es unseren Standpunkt bezüglich Kosovo und Metohien verteidigt, sollte es auch seine Interessen verteidigen. Wir erwarten von Rußland, daß es unsere Sicht auf eine friedliche Lösung des Kosovo-Problems durch Dialog unterstützt, der zu einer Autonomie für alle nationalen Gemeinschaften, die in Kosovo und Metohien leben, also auch für die Albaner, auf der Grundlage der Gleichberechtigung und der Achtung der territorialen Integrität Serbiens und Jugoslawiens führt. Alles das im Sinne des Artikels 23 der Konvention des Europarates. Wir erwarten also auch von den Minderheiten, so wie es dort festgeschrieben ist, eine Loyalität dem Staat gegenüber, in dessen Grenzen sie leben.

 

Zoran Jeremic ist Botschafter der Bundesrepublik Jugoslawien in Bonn. Geboren 1947 in Beograd, studierte er Politische Wissenschaften. Von 1976 bis 1980 war er Sekretär für Wirtschaftsangelegenheiten an der Botschaft Jugoslawiens in Ost-Berlin, danach Legationsrat im Bundessekretariat. Von 1983 bis 1987 war er erster Sekretär für konsularische Angelegenheiten in Warschau, anschließend Vortragender Legationsrat. Seit 1993 ist er in Bonn, zunächst als Geschäftsträger und Gesandter, seit 1996 als Botschafter.


 
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