© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Testfall Hessen
von Dieter Stein

In Hessen steht die neue Regierung Schröder erstmalig beim Wähler auf der Probe. Es gäbe gute Gründe, wenn sie eine Abreibung verpaßt bekäme. Doch der Unterhaltungswert des Neuen ist hoch und der Kredit nicht ganz aufgezehrt. Die Umfragen stehen gut. Trotz mancher Pannen und eines chaotischen Erscheinungsbildes des Kabinetts in Bonn sind die Wähler nachsichtig mit der "Neuen Mitte" und erholen sich noch sichtlich erstmal vom alten Kanzler.

Eher noch als für die Bundesregierung wird die Hessen-Wahl für die gebeutelte Opposition, vor allem die CDU, zu einem Test, ob sie aus der Sicht des Wählers das Ruder erfolgreich herumgerissen hat und wieder als regierungsfähig angesehen wird. Und das darf bezweifelt werden. Die Unterschriftenkampagne der Union gegen die von der Regierung Schröder anvisierte doppelte Staatsbürgerschaft wird von erheblichen Teilen der Funktionärsschicht halbherzig oder gar nicht mitgetragen. Der zu unterschreibende Text auf den Unterschriftensammlungen ist bereits eine weiche Kompromißlösung. Nun wird die Aktion obendrein von Tag zu Tag durch eitle Streber wie Peter Schwarz, Michel Friedman und anderen untergraben und verwässert.

Der Wähler hat also zweierlei mitbekommen: Erstens ist die doppelte Staatsbürgerschaft in höchstem Maße zweifelhaft, ihre Einführung unverantwortlich und undemokratisch. Zweitens ist die CDU aber höchst gespalten in dieser Frage. Wer sie wählt, kann nicht wissen, ob er womöglich später genau dieselbe Politik erntet, die er auch schon bei der SPD bekommen hätte.

Also macht die CDU-Kampagne derzeit vor allem den in Hessen starken Republikanern und anderen Rechtsparteien Hoffnungen, bei der Wahl zu reussieren. Focus gibt den Rechtsparteien bereits drei Prozent. Was ist, wenn die Republikaner in den Landtag kommen? Dann wird man sagen: Die CDU ist schuld! Sie hat das mit ihrer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zu verantworten. Und die Folge ist abzusehen: das Thema muß aus den nächsten Wahlkämpfen wieder "herausgehalten" werden, werden die analytischen Überflieger der CDU sagen, um dann stantepede die CDU opportunistisch auf noch näheren Kurs zur SPD zu führen. Es sei denn, die CDU gibt dem Druck der medialen "Öffentlichkeit" nicht nach. Das wäre etwas völlig neues und würde die Opposition wirklich stärken.

In jedem Fall hält die Wahl am kommenden Sonntag möglicherweise einige Überraschungen für die deutsche Parteienlandschaft bereit.


 
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