© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Michael Wolffsohn: Die ungeliebten Juden
Solidarische Kritik wünschenswert
Götz Eberbach

Obwohl er sehr viel schreibt – was sonst nicht immer für Qualität bürgt –, lohnt es sich, die Bücher von Michael Wolffsohn zu lesen. Aber Vorsicht, der erhobene Zeigefinger wird manchmal sehr deutlich. Das Buch beginnt er mit seiner Schilderung der Geschichte des Staates Israel. Er stellt dann zwar fest, daß der Antisemitismus heute weltweit nur von einer kleinen Minderheit gepflegt wird, der "Antiisraelismus" oder mindestens die Distanz zu Israel in der westlichen Welt aber fast zum "guten Ton" gehört, ausgenommen bei der Bevölkerung der USA. Dabei sagt er mit Recht, daß Israelkritik – die er selbst auch übt – kein "Antiisraelismus" sei, unter der Voraussetzung, daß sie aus Solidarität geübt wird. Diese Kritik der "antiisraelischen" Kritik erinnert sehr an den "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm, der einen Untertanen, der vor ihm Angst hatte, mit dem Stock verprügelte und dabei rief: "Lieben sollst du mich!".

Erfrischend ist, wie Wolffsohn bei seinem Gang durch die Geschichte mit Mythen aufräumt, die sonst gerade von Israelis gerne gepflegt werden, zum Beispiel, daß das Land vor der jüdisch-zionistischen Einwanderung ein "Land ohne Volk" gewesen sei. Oder, daß die Palästinenser 1948 das Land freiwillig verlassen hätten. Bei manchen israelischen (und noch mehr bei deutschen proisraelischen) Darstellungen, bekommt man ja den Eindruck, die Israelis hätten die Araber auf Knien angefleht zu bleiben, aber diese seien herzlos abgewandert. Wolffsohn schreibt dagegen: "Die ‘Flucht’ war zum großen Teil eine regelrechte Vertreibung. Durch diese Art der ‘Säuberungen’ packte das zweite Drittel die Panik (…) Das dritte Drittel (…) zog es schließlich vor, die umkämpften Gebiete rechtzeitig zu räumen – bevor sie von den Israelis erobert wurden."

Er schildert auch anschaulich die inneren Gegensätze der Israelis, die sogar zum bewaffneten Kampf der herrschenden Sozialisten gegen die Nationalisten führten. Auch den Satz "Ohne Holocaust kein Israel" erklärt er zur Legende (auch wenn er für die deutsche Seele tröstlich sei), denn es habe schon vorher, seit 1882, eine "vorstaatliche jüdische Gemeinschaft in Israel" gegeben. Legende sei auch die gerade von "Linken" verbreitete Behauptung, Israel sei von Anfang an die "Speerspitze des US-Imperialismus" gewesen. Dazu waren die Ölstaaten wie zum Beispiel Saudi-Arabien zu interessant, gerade auch für Roosevelt. Die Waffen für den "Gründungskrieg" bekam Israel von der Sowjetunion: beispielsweise 25 deutsche Me-109-Jäger! Auch Frankreich unterstützte Israel, vor allem Maurice Papon, der in Vichy-Frankreich für die Deportation Tausender von Juden verantwortlich gewesen ist. Wolffsohn schildert die Mehrheit der "Gründerväter" als weltlich und sogar zum Teil antireligiös, die dabei aber doch eine Art weltlichen Messianismus vertraten. Es sollte ein neuer jüdischer Mensch geschaffen werden. Das geschah u.a. durch die Wiederbelebung der hebräischen Sprache (die ja schon zur Zeit Jesu nur noch Kultsprache war, während Aramäisch die Umgangssprache war) und die sozialistischen Kibbutz-Kommunen (die heute weitgehend verändert oder unbedeutend für die israelische Wirtschaft sind).

Natürlich werden auch die Kriege der "unkriegerischen Juden" geschildert, aber wichtiger ist seine Darstellung der neuen israelischen Gesellschaft, die vom Gegensatz zwischen den "weißen" (europäischen) Juden der Gründergeneration und den "schwarzen" afrikanisch-asiatischen Juden bestimmt ist, denn die verschiedenen Gruppen haben ihre Vielfalt weitgehend bewahrt. Ausführlich behandelt Wolffsohn auch die Probleme der in Israel verbliebenen Araber.

Er führt schließlich in die Vielfalt der israelischen Parteien ein, die den Leser an die Weimarer Republik erinnert. Er teilt sie in drei große Gruppen ein: die Linksparteien, die Bürgerlichen und die Religiösen (die in der Minderheit sind, aber ähnlich wie die FDP als Mehrheitsbeschaffer für jede Regierung notwendig und deshalb einen viel größeren Einfluß haben als sie stark sind.

Durch den Sieg Israels im Sechs-Tage-Krieg 1967 wurde "Großisrael" zur Besatzungsmacht und die Israelis für viele die "häßlichen Israelis". Gleichzeitig führte das zum Machtwechsel im Land selbst, die Linksparteien verlieren die Macht an die Bürgerlichen. Rabin und seine Friedenspolitik ("Land gegen Frieden") machten aus den "häßlichen Israelis" wieder "schöne Israelis", doch führte der Terror der Friedensgegner dazu, daß dann Netanjahu mit der Parole "Frieden und Sicherheit" wieder ans Ruder kam. Netanjahus Land wird wieder international als "häßlich" wahrgenommen.

Wolffsohn erhofft sich für die Zukunft politisch eine Entwicklung vom weltlichen (und wohl auch vom religiösen) Messianismus zum Realismus. Ein "Ende der Geschichte" sieht er für Israel nicht, die Geschichte geht weiter, Art und Inhalt des Fortgangs sind ungewiß. Man wird, so Wolffsohn, mit radikalen Veränderungen rechnen müssen. Israels Juden werden, mindestens in Deutschland und Europa, noch längere Zeit die "ungeliebten Juden" bleiben. Natürlich können und sollen auch Deutsche Israel punktuell kritisieren (ohne deshalb in "Antisemitismusverdacht" zu geraten). Aber mehr Verständnis für Israels existentielle Sorgen hält er für angebracht.

Das flüssig geschriebene Buch bringt das Land nahe, ohne moralisierende Legenden, aber doch mit dem Engagement des gebürtigen Israeli. Die Notwendigkeit der Existenz Israels wird durch das Buch jedem klar, der nicht antisemitischen Weltbildern oder weltbürgerlichen Utopien anhängt. götz eberbach

Michael Wolffsohn: Die ungeliebten Juden. Israel-Legenden und Geschichte. Diana Verlag, München-Zürich 1998, 352 Seiten, 44 Mark


 
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