© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Raimund von dem Bussche: Konservatismus in der Weimarer Republik
Kaum mehr als ein Rinnsal
Peter Boßdorf

Armin Mohlers Handbuch zur "Konservativen Revolution" zieht noch immer einen Schweif von Literatur nach sich. Ein Ende ist nicht in Sicht, zu verlockend bleibt offenbar die Herausforderung, den von ihm hergestellten Zusammenhang aufzulösen, zu erweitern oder neu zu akzentuieren. Den bislang spektakulärsten Versuch, das letzte Wort in der "Debatte" an sich zu reißen, unternahm Stefan Breuer, doch die Sturmflut, die er gegen Mohlers Argumentation zu peitschen suggerierte, stellte sich, vielleicht aus arbeitsökonomischen Zwängen, dann doch eher als Rinnsal heraus.

Bei dem Buch, das nun Raimund von dem Bussche vorgelegt hat, ist es hingegen sogar schwer, von einem Versuch zu reden, wenngleich ihm ein essayistischer Charakter nicht abgesprochen werden kann. Im einleitenden Literaturbericht – es handelt sich nämlich um die überarbeitete Fassung seiner Dissertation – kritisiert er zwar das Ende und die Willkür der Auswahl, die Mohler in seiner Kanonisierung vorgenommen habe, macht dann aber unmißverständlich deutlich, daß er dessen Werk selber als dem Stoffgebiet zugehörig ansieht, das es bloß darzustellen vorgibt.

Raimund von dem Busche hingegen betreibt Wissenschaft, schließlich ist seine Arbeit ja auch mit Mitteln des für diese zuständigen Bundesministeriums gefördert worden. Er weiß, daß es einer Dissertation nicht schaden kann, wenn sie mit einer These aufwartet, und er hat sich alle Mühe gegeben, eine solche zu finden. Sie lautet in etwa: Fast alle konservativen Strömungen der Weimarer Republik lassen sich mehr oder weniger auf den Begriff bringen, daß sie das Unpolitische zu politisieren trachteten. Dies sei, so räumt von dem Bussche freimütig ein, allerdings "kein völlig neuer Gedanke", ist er doch in der "längst zum unentbehrlichen Standardwerk avancierten Studie" von Kurt Sontheimer "mit einer beispielhaften analytischen Stringenz" zelebriert worden. Und richtig: Im vorletzten Satz seiner Einleitung zum "Antidemokratischen Denken in der Weimarer Republik" erlaubt sich Sontheimer, dem der Begriff des Irrationalismus hier ansonsten besser schmeckt, tatsächlich diesen kleinen Fingerzeig. Damit ist, von dem Bussche hat es herausgefunden, auch schon glatt der Bogen zu Thomas Mann geschlagen. Dieser wiederum war so freundlich, durch die kritische Beschäftigung mit seinem eigenen frühen Denken zugleich das Schrot bereitzustellen, das sich nun bequem gegen Mohlers gesamte bibliographische Literatur verschießen läßt. So schnell kommt auch bei fehlender Beherrschung des Stoffes eins zum anderen, wenn man nur unerschrocken genug ist.

Von dem Bussche mag es dabei an Kenntnissen der von ihm berührten Autoren und Kreise gar nicht einmal mangeln, er ist aber auf geradezu pathologische Weise davon besessen, seine epochemachede These ohne Erbarmen für Ideengeschichte und Leser durchzukonjugieren. Die Methode, nach der dies geschieht, erschließt sich bereits nach wenigen Seiten. Ist man auf geheimnisumwitterten Pfaden bei einem Autor angelangt, so wird dessen Schrifttum exzerpiert und zitiert, als hätte man dabei einen Zufallsgenerator zu Hilfe genommen. Die Zitatcollage wird dann für das Werk ausgegeben. "Ist dies Dada?" soll sich vielleicht der Leser oder der Zweitgutachter fragen, aber da beginnt auch schon sein rettender Kommentar und belehrt: Nein, das ist die Politisierung des Unpolitischen, so wie es die These der Arbeit versprach.

Immerhin könnte auf diese Weise ein Rekord in den Geisteswissenschaften aufgestellt worden sein. Die Häufigkeit der Thesenfloskel dürfte – eine genaue Bezifferung wäre noch ein Desiderat der Forschung – deutlich im vierstelligen Bereich liegen, dennoch ist diese Beweistechnik bislang weniger in der Wissenschaft als in Psychosekten verbreitet. Immerhin läßt sich so aber Seite um Seite füllen und unter der Verwendung eines Thesentextbausteins viel Zeit in der Produktion gewinnen. Das sprachliche Niveau kann auf diese Weise deckungsgleich mit dem wissenschaftlichen werden. Manche der hier auftretenden Kuriositäten dürften ihren Ursprung allerdings nicht im literarischen Gefühl Raimund von dem Bussches haben, sondern in seinem Denken zu suchen sein: Wo die Zitate selber nicht wirr oder radikal genug sind, verstärkt er sie gerne entsprechend in seinen An- und Abmoderationen. So gelingt es ihm, eben jene Realität zu produzieren, die er braucht, um seine These zu stützen.

Viel Raum für Zeitverständnis und für eine geistesgeschichtliche Einordnung kann sich bei so viel Besessenheit nicht entwickeln. Daß es zum Beispiel im 19. Jahrhundert längst eine ausgiebige theoretische Reflexion über das konservative Selbstverständnis gegeben hat, scheint Raimund von dem Bussche noch nicht ganz bewußt geworden zu sein. Die Möglichkeit, daß das Phänomen des Irrationalismus sich nicht auf den Konservatismus beschränkt, sondern vielleicht sogar im Zentrum des demokratischen Denkens anzutreffen ist, scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen, jedenfalls ist ihm wohl bei seiner vertieften Sontheimer- und Krockow-Lektüre nichts Böses aufgefallen. Welche Gründe, welche vielleicht sogar guten Gründe gegen die Weimarer Republik gesprochen haben mögen, ist für ihn offenbar eine Frage, die sich nicht stellt oder nicht stellen darf. Ihm ist halt nur denkbar wenig nachvollziehbar. Um so unbeschwerter kann er die Rolle eines auktorialen Erzählers einnehmen.

 

Raimund von dem Bussche: Konservatismus in der Weimarer Republik. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1998, 428 Seiten, 98 Mark


 
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