© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Gedenken: Zur vorläufigen Einigung über das Holocaust-Mahnmal
Wer im Glashaus sitzt …
Baal Müller

"Das Mahnmal lebt", jubelte Die Woche in ihrer letzten Ausgabe und veröffentlichte ein vierseitiges Exklusiv-Gespräch mit dem Kulturbeauftragten der Bundesregierung, Michael Naumann, und dem New Yorker "Star-Architekten" Peter Eisenman. Vor Begeisterung sprudelte es aus dem "intellektuellen Baumeister" nur so heraus: Der von beiden gemeinsam ausgehandelte Entwurf sei "etwas Neues, eine Alternative" zu den bisherigen Vorschlägen; es werde ein "einzigartiges Gebäude" entstehen, das nicht nur aus "soziopolitischer nationaler Sicht" (manche sprechen hier von "Volkspädagogik"), sondern auch "unter philosophisch-konzeptionell-künstlerischen Gesichtspunkten in der internationalen Gemeinschaft diskutiert werden" wird.

Dem Architekten, der "niemals seine Integrität verkauft", ist Eitelkeit nach eigenem Bekunden gänzlich fremd, schließlich geht es nur um die große Sache, und "Peter Eisenman ist gar nicht vorhanden". Ein bißchen stolz ist er aber doch, schließlich hat er Fanpost von Deutschlands Meisterdenker Jürgen Habermas bekommen, einen "wunderbaren Brief", zu dessen Lektüre er seine "profunde theoretisch-philosophische Ausbildung" (Naumann) allerdings nicht benötigt, denn es steht darin ohnehin nur, was er sowieso schon weiß, nämlich, "daß dies das bedeutendste Mahnmal" ist.

Doch damit nicht genug: Nicht nur brillante Vordenker wie Habermas sind aufgrund des "besonderen Charakters" und der "enormen Kraft" des Mahnmals zu einer "phantastischen" Debatte inspiriert worden, sondern auch das Fußvolk, die Familien, die Rucksacktouristen, die es nach dem Willen des Bundeskanzlers "gerne" besuchen sollen; ja sogar die "Japaner, Chinesen und Hindustani" werden auf ihre Kosten kommen, weil es eine "unglaubliche Erfahrung" sein wird: "Sie müssen in Berlin gewesen sein, sie müssen in der Ausstellung und im Garten gewesen sein, sie müssen die ’Wand der Bücher‘ gesehen haben, sie müssen auf dem Feld der Stelen gestanden haben." Mein Gott, daß wir das noch erleben können!

Bald wird es soweit sein; bereits bis Ende des Jahres 2001 sollen Betonpfeiler und Glasbunker hochgezogen bzw. der Bau "vollendet" sein.

Vor allem die "Wand der Bücher" ist das eigentlich Neue an dem überarbeiteten Entwurf. Das gläserne Gebäude soll bei einer Länge von 115 Metern und einer Höhe von 20 Metern eine Holocaust-Bibliothek mit etwa einer Million Bänden enthalten und Sitz eines "Genocide Watch Institute" sein; außerdem ist ein Ausstellungsgebäude mit einem Auditorium geplant, in dem etwa die Video-Aufzeichnungen von Steven Spielbergs Shoa-Stiftung gezeigt werden können. Träger des gesamten Komplexes ist das Jüdische Museum, das den Stiftungsbeirat nach amerikanischem Vorbild zusammenstellt.

Obgleich Naumann und Eisenman versichern, "daß jedermanns Stimme gehört wurde", ließ man den demokratischen Souverän vorsichtshalber wenig zu Wort kommen. Dem Volk wird das fertige Projekt präsentiert, nachdem durch eine über zehn Jahre andauernde Gehirnwäsche die Illusion erzeugt wurde, daß es ohne ein solches Mahnmal nicht mehr ginge, nicht zuletzt weil eine so penetrante Diskussion nicht umsonst gewesen sein dürfe.

Es entsteht der Eindruck, "die Welt" erwarte jetzt geradezu ein Holocaust-Mahnmal, und wer sich jetzt noch, nach so langer Arbeit, dagegen sperrt, der kann natürlich nur ein Antisemit sein (ähnlich wie neuerdings jeder ein Ausländerfeind ist, der nicht bereit ist, den hier lebenden Ausländern die doppelte Staatsbürgerschaft hinterherzuwerfen). Der herrschende Diskurs erzeugt somit durch permanente Wiederholung eine Faktizität, die schließlich unhintergehbar wird. Nicht nur der Holocaust selbst wird zu einem unverständlichen, inkompatiblen, unhinterfragbaren Tabu mystifiziert, sondern die Tabuisierung erstreckt sich auch auf seine Signifikanten, die ihn angeblich nicht wirklich zu bezeichnen vermögen, sondern in die Namenlosigkeit des Schreckens hineingezogen werden. Die Aura des Unnennbaren sakralisiert somit auch diejenigen Worte, Menschen oder Dinge, die sich nur in einem semiotischen Verhältnis darauf beziehen.

Eine solche Strategie der Immunisierung, Sakralisierung und Desemiotisierung ist für den mythischen und religiösen Diskurs charakteristisch, bisweilen wird sogar, etwa in der Süddeutschen Zeitung, eine Abart mittelalterlicher Gottesbeweise geboten, nach der gerade die Kritiker des Mahnmals seine Notwendigkeit erwiesen. Derartiges ist im Einzelfall peinlich, insgesamt jedoch nicht verwunderlich, handelt es sich bei dem Holocaust, dem ewig bösen Deutschen usw. doch um die Gründungsmythen der Bundesrepublik.

Das Mythische besteht nicht etwa darin, daß gewisse Ereignisse bloß erfunden seien, sondern daß sie für unhintergehbar und ewig präsent ausgegeben werden. Das Bilderverbot, der Topos der Namenlosigkeit und die Unbenennbarkeit eines Gottes, der von sich nur sagt, "Ich bin, der ich bin", ist für die jüdische Tradition von der Genesis bis hin zu Derrida charakteristisch und wurde von avantgardistischen Verfahrensweisen moderner selbstreferenzieller Kunst im 20. Jahrhundert aufgegriffen.

Diese versteht sich in der Nachfolge Nietzsches als letzte noch mögliche metaphysische Tätigkeit und stilisiert sich mit Hilfe sakralisierender Verfahren zur Ersatzreligion im nihilistischen Zeitalter. Eisenman, der nicht nur mit Habermas’ Brief, sondern auch mit der Freundschaft dessen Widersachers Derrida prahlt, ist ein später Epigone von dessen längst anachronistisch gewordener postmoderner Dekonstruktionstheorie. Es ist allerdings offensichtlich, daß die Selbstbezüglichkeit eines als Mahnmal konzipierten Kunstwerks, dessen Sinn gerade nicht dekonstruiert, sondern durch eine zehnjährige Pressekampagne jeden Tag heruntergebetet wird, ein unsinniges Dogma ist.

Einmal mehr zeigt sich, daß die Entsemantisierungsstrategie lediglich eingesetzt wird, um sehr wohl einen bestimmten Sinn durchzusetzen, nämlich den einer umfassenden Meinungsherrschaft. Da ein verspäteter ästhetischer Avantgardismus bereits in einiger Zeit nicht mehr verstanden werden und damit sein verstecktes Ziel verfehlen könnte, legt Naumann Wert auf die Ergänzung des wortlos-mythischen Konzeptes reinen "Gedenkens" durch eine Bibliothek als Stätte der Forschung und "Erinnerung".

Die Aufgabe wissenschaftlicher Forschung besteht allerdings nicht im Erinnern, denn bloßes Erinnern ist mythisches Erzählen, und erst recht nicht im religiösen Akt des Gedenkens. Wissenschaft bedeutet vielmehr die Suche nach Wahrheit, die stets nur eine vorläufige ist. Wennn sie seriös betrieben wird, führt sie immer wieder dazu, daß alte Dogmen, an die man sich gerne "erinnert", aufgegeben werden müssen, etwa die göttliche Namenlosigkeit des Holocaust, die Erbsünde des bösen Deutschen usw. Falls in dem geplanten Glashaus seriöse Forschung betrieben werden sollte, dann würde seine Existenz die "Mehrzweckhalle der Betroffenheit" (FAZ) auseinandertreiben. Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Stelen werfen.


 
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