© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Pankraz,
C. Peymann und der bunte Abend im Altersheim

Merkwürdige Sehnsüchte haben heutzutage die Künstler. Der designierte Chef des Berliner Ensembles, Claus Peymann, erklärte in einem Fernseh-Interview, wenn er zum BE komme, werde er "ein deutliches politisches Signal setzen". Und zwar wogegen? "Gegen einen eventuell aufkommenden Machtwahn oder gegen jeden Ansatz zu einer deutschen Hegemonie in Mitteleuropa."

Das ist ungefähr so, als wenn 1899 Otto Brahm gefragt worden wäre, was er denn mit dem Lessing-Theater anzufangen gedenke, und der hätte geantwortet: "Ein deutliches Signal setzen gegen die Flottenpolitik von Kaiser Wilhelm." Alle hätten damals gelacht und Brahm gefragt, warum er denn dann ausgerechnet ein Theater aufmachen wolle und nicht lieber Reichstagsabgeordneter bei den Sozialdemokraten werde.

Brahm selbst hätte natürlich nie eine solch irre Antwort gegeben. Ihm ging es um genuin künstlerische Dinge, um Gerhart Hauptmann, um den Naturalismus, um neue, die Gemüter aufwühlende Möglichkeiten auf dem Theater. Und er wollte selbstverständlich auch nicht mit "Eventualitäten" oder "Ansätzen" zu tun haben, sondern mit konkreten, handfesten Vorgängen, mit Wirklichkeiten, nicht bloßen Möglichkeiten.

Schade, daß der Interviewer Peymann nicht gefragt hat, was denn mit ihm und seinem Ensemble passieren wird, wenn in Berlin gar kein Machtwahn aufkommt und es auch keinen hegemonialen Ansatz gibt. Das ist ja eher die politische Wahrscheinlichkeit, die uns ins Haus steht.

Die "Mächtigen" im neuen Kanzleramt und im Reichstag werden den Teufel tun und mit hegemonialen Ansätzen auftrumpfen, sie werden viel lieber zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmals Versteck spielen, in den Türkenvierteln und auf den Polenmärkten fleißig alle möglichen Händchen schütteln und auch noch die letzten Deutsch-Euros zusammenkratzen, um bei den Verbündeten ja keinen Unmut über ausbleibende deutsche Netto-Zahlungen aufkommen zu lassen. Was dann? Welche Signale wird Peymann dann setzen?

Kann er überhaupt noch irgendwelche Signale setzen, die nicht längst vorher und viel wirksamer schon im Fernsehen und in den Zeitungen und im Internet gesetzt worden sind? Hat dieser Künstler überhaupt noch die Kraft, sich etwas auszudenken und in Theater umzumünzen, das die Seelen bewegt oder wenigstens für momentane öffentliche Aufregung sorgt?

Er ist doch viel zu lange aus Deutschland weggewesen. Wenn er glaubt, mit seinen Wiener Provinz-Provokationen, mit all diesen Nackenküssen und Fritz-Muliar-Ärgereien, hierzulande jemand hinter dem Ofen hervorzulocken, so täuscht er sich gewaltig. Was er auf diesem Felde kann, können die Volksbühne oder die "Baracke" allemal und besser. Er wird, heimgekehrt, schnell merken, daß jetzt ein anderer Wind weht und daß sich die Kritiker bei seinen müden Austro-Tricks schnell langweilen werden.

Wäre Pankraz sein Dramaturg und Ratgeber, dann würde er ihm etwa folgendes sagen: "Lieber Claus Peymann, wenn du hier in Berlin wirklich noch einmal zu einer gewissen Form auflaufen willst, dann mußt du immer genau das Gegenteil von dem sagen und tun, was du im ersten Überlegen sagen oder tun wolltest. Es nützt beispielsweise gar nichts, den Kultursenator einen Zigeunerbaron zu schimpfen, weil sowieso alle, inklusive der Senator selbst, davon überzeugt sind, daß er tatsächlich ein Zigeunerbaron ist. Preise ihn statt dessen als einen neuen Perikles oder Lorenzo di Medici, und er wird sich darob entsetzen, und es wird eine große, fruchtbare Diskussion anheben!"

Und weiter würde er ihm sagen: "Laß die Späße und laß die schnellen Schuldsprüche, werde auf deine alten Tage ein ganz ernster und geradezu feierlicher Promoter und Exekutor deiner Aufführungen, versuche, wie weiland Brecht – nur eben anders, vor allem ohne politische Scheuklappen – einen superstrengen Aufführungsstil zu etablieren, einen geistigen und dramaturgischen Anspruch aufzurichten, den nicht jeder Popel und Mitredner auf Anhieb versteht! Du kannst es dir doch leisten, die Leute würden sich ärgern – und trotzdem kommen."

Aber eben, Peymann ist wohl gar nicht mehr in der Lage, ein anspruchsvolles Programm aufzustellen und zu absolvieren. Die Begabung dazu hätte er vielleicht, doch die dreizehn lustigen Jahre im Wiener Wurstlprater haben ihn selber lustig und wurstig werden lassen.

Sicherlich, er hat in diesen Jahren weiterhin die neuen Kreationen seiner alten Kumpane Botho Strauß und Peter Handke an seiner Bühne herausgebracht, aber daß in diesen Kreationen eine neue, gründlich vom alten linken Paradigma sich abwendende Weltsicht zum Ausdruck und zur Darstellung drängte, das hat er ignoriert oder herunterinszeniert, auf jeden Fall nicht gefördert. Er hat die Kumpane entmutigt, statt sie zu ermutigen. So wird man kein zweiter Otto Brahm, so zieht man kein neues Aion herauf, nicht einmal ein Theater-Aion. Eine große Chance wurde vertan.

Was nun noch bleibt, gerinnt wahrscheinlich zum bunten Abend im Altersheim. "Politische Signale setzen", "Gegen eventuelle deutsche Hegemonie in Mitteleuropa protestieren". Kann man es eigentlich noch billiger haben? Der heilige Brecht wird sich im Grab umdrehen.

Sein Berliner Ensemble, in dessen Hochhuth-Holzapfel-Mauern das Remmidemmi stattfinden soll, war ja immerhin einmal angetreten, eine ganz und gar neue, grundstürzende Art von Theaterspiel zu erschaffen, ein "anti-aristotelisches, episches" Theater, eine noch nie dagewesene Art mimetischer Selbstvergewisserung und Gemeinschaftsstiftung. Keiner seiner aristotelischen, nicht-epischen Gegner wird ihm je solch einen Ausgang gewünscht haben.


 
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