© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Forschung: Der Golfstrom als Problem der Klimaforschung
Folgen sind nicht auszuschließen
Herbert Kraft

Der Golfstrom ist so etwas wie der Ofen Europas. Diese Meeresströmung im Nordatlantik entsteht entlang der Ostküste Amerikas, wendet sich in einem zirka 100 Kilometer breiten Band nach Osten und erreicht dann die europäischen Gewässer. Der größte Teil seines transportierten Wassers wird im Zentrum des Atlantiks nach Süden als Kompensationsströmung abgelenkt. Der Golfstrom nimmt subtropisches Wasser auf, befördert es in höhere Breiten und gibt es dann an das ihn umgebende kühlere Wasser ab. Die damit entstehende latente Verdampfungswärme bildet eine der Hauptenergiequellen der Atmosphäre über den Nordatlantik und beeinflußt das europäischen Klima.

Dieser Vorgang ist seit längerer Zeit Gegenstand sorgenvoller Untersuchungen der Klimatologen. Diese fürchten, daß Emmissionen von Treibhausgasen den Umsatz im Nordatlantik vermindern oder sogar stoppen. Das könnte radikale regionale Klimaveränderungen zur Folge haben. Es stellt sich die Frage, ob die in Europa seit zirka 10.000 Jahren für ein mildes Klima sorgende Meeresströmung nicht plötzlich unterbrochen oder sogar beendet werden könnte. Erste Computersimulationen weisen auf diese Möglichkeit hin. Sie zeigen, daß die Stabilität der ozeanischen Zirkulationen nicht nur von der Gesamtmenge der ausgestoßenen Treibhausgase abhängt, sondern auch von der Rate, mit der die Gase in die Atmosphäre gelangen.

Die Ozeane transportieren riesige Mengen an Wasser um unseren Planeten. So empfängt zum Beispiel der Nordatlantik 1015 Watt an Wärmeenergie aus dem Golfstrom und der Nordatlantischen Strömung. Sie wird in die Atmosphäre abgegeben. Diese erwärmt den Luftstrom, der über Europa fließt. Der größte Teil der Wärme wird nicht durch windbetriebene Meeresströmungen transportiert, sondern durch "thermohaline Zirkulation" im Seewasser. Warmes Oberflächenwasser fließt nach Norden, gibt dabei Wärme ab und sinkt in höheren Breiten nach unten, um als kaltes Wasser in einer Tiefe von etwa zwei Kilometern nach Süden zurückzufließen. Das Problem liegt darin, daß die Stärke dieser Zirkulation, und damit die Intensität des Wärmetransportes, von kleinen Dichteunterschieden abhängt. Diese wiederum sind auf eine subtile Balance des Nordatlantiks in Bezug auf die Abkühlungen in höheren Breiten und den Zufluß von weniger dichtem Frischwasser aus den Niederschlägen und Flüssen angewiesen. Ein höherer Zufluß würde demnach den Wasserumsatz verlangsamen. Dabei gibt es eine klar definierte Schwelle, ab der die thermohaline Zirkulation nicht mehr mit der Situation fertig wird und zusammenbricht.

Die bisherigen Ergebnisse der Untersuchungen tiefenozeanischer Sedimente und erbohrter grönländischer Eiskerne enthalten reichhaltige Klimamerkmale, die darauf hinweisen, daß in der Vergangenheit diese Zirkulationen zusammengebrochen sind oder sich zumindest sehr verändert haben. Die Folge waren jahrhundertelange Kälteperioden. Die letzte dieser Art war vor zirka 11.000 Jahren. Leider geben sie keine verbindlichen Hinweise für unsere Zukunft, weil sie unter Eiszeitbedingungen stattfanden. Sie zeigten uns aber, daß die Gefahr eines Zusammenbruchs der Zirkulation real ist.

Über Konsequenzen einer Unterbrechung der Zirkulation gibt es unterschiedliche Ansichten. In allen diesen Überlegungen und Modellen sind noch erhebliche Mängel enthalten. Die bisher erarbeiteten Klimamodelle sind zwar noch zu grob, um genaue Vorhersagen zu machen. Sie sagen aber voraus, daß das Überschreiten einer kritischen Grenze im Bereich des Möglichen liegt. In der Vergangenheit haben schon kleinste Veränderungen der ozeanischen Zirkulationen schwerwiegende Folgen auf marine Ökosysteme gezeigt und zum Zusammenbruch der Population geführt. Eine weitere Sorge ist, daß eine reduzierte thermohaline Zirkulation zu einer Verminderung der CO2-Aufnahme der Meere führt, was das Klima aufnahmefähiger für anthropogenische Emissionen macht. Verschmutzen wir weiterhin die Atmosphäre in der augenblicklichen Größenordung, kann eine Unterbrechung des heutigen natürlichen Kreislaufs mit allen erwähnten Folgen nicht ausgeschlossen werden.


 
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