© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Technokrat ohne Charisma
von Charles Brant

Der Normalbürger weiß nicht, was er von diesem Familienzwist halten soll. Die Parteibasis hat ihre Orientierung verloren, denn die emotionale Bindung an Le Pen ist stark. Le Pen seinerseits täuscht Geringschätzung vor. Während er diverse Flüche in die Richtung Abtrünniger schleudert, die er als Angehörige der "bürgerlichen Rechten" bezeichnet, bereitet er sich darauf vor, gerichtlich gegen sie vorzugehen. Mégret brüstet sich damit, die Materialschlacht gewonnen zu haben. Aber ihm steht noch bevor, Mitstreiter und Wähler für sich zu gewinnen. Außerdem muß er die notwendigen Ideen und Mittel finden, einer politischen Organisation Leben einzuhauchen. Im Moment verfügt er über kein einziges Presseorgan, um die breite Öffentlichkeit zu erreichen.

Für Mégret, der es versteht, auf die Attitüde des reinen Protestredners zu verzichten, ist das klar formulierte Ziel, an die Macht zu gelangen, um "möglich zu machen, was notwendig ist". Um dieses Ziel zu erreichen, strebt er danach, unter seiner Flagge alle diejenigen zu versammeln, die mindestens einmal für den FN gestimmt haben: 30 Prozent des Wahlvolks. Die Frage ist, ob das Wahlvolk mitmacht. Ebenfalls ungewiß ist, welche Strategie Mégret bezüglich der institutionalisierten Rechten verfolgen wird. In diesem Punkt verfügt er über wenig Spielraum zum Manövrieren. Um die Wählerschaft des FN für sich zu gewinnen, muß er an dessen klassischen Themen festhalten: Einwanderung, Sicherheit, Widerstand gegen die Europäisierung. Dies verbietet ihm jegliche Öffnung oder Veränderung seines Profils und zwingt ihn, in den Refrain anerkannter Anti-Europäer wie Philippe de Villiers und Charles Pasqua einzustimmen. Er sitzt so in einer Zwickmühle, die ihn daran hindert, sich Charles Millon anzunähern oder eine Gangart à la Fini anzudeuten.

Zur Zeit werden Le Pen, dessen Charisma ihm einen starken Vorsprung gibt, in Meinungsumfragen neun Prozent der Stimmen zugeschrieben, während Mégret bei vier Prozent stehenbleibt. Bei den Europawahlen im Frühjahr wird man klarer sehen.

Was zeichnet Mégret aus? Kalter Ehrgeiz, Methodik, Sinn für Organisation und Taktik, Zurückhaltung und klare Ausdrucksweise, die Ideen seiner engsten Vertrauten (Le Gallou, Blot), die Zustimmung des Parteiapparates sowie ein glattes Image, das die ranghöheren Kader überzeugen kann. Sein größtes Handicap? Das fehlende Charisma. Mit seinem Profil des hohen Funktionärs verkörpert er vor allem die von Max Weber evozierte Figur des "Technikers", während Le Pen sämtliche Eigenschaften des charismatischen Führers besitzt. Und dies ist nicht unwichtig, wenn es darum geht, einer Volksbewegung in der Rolle des Tribunen vorzustehen.

Wie man sieht, fällt es im Moment Mégret zu, die zweiteilige Frage zu beantworten: Ist die radikale Rechte Frankreichs in der Lage, ihre Metamorphose zu vollenden und wird es ihr gelingen, dem Verhängnis des "Boulangismus" zu entrinnen, der von jeher ihr Schicksal gewesen ist?


 
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