© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Doppelte Staatsbürgerschaft: Keine Mehrheit in der CDU/CSU für einen Volksentscheid
"Die Union vergiftet das Klima"
Karl-Peter Gerigk

Otto Schily ist wieder einmal vorgeprescht und beweist konservative Attitüde. Nach seiner Bemerkung über die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung weiß er nun mit einem Vorschlag der Union den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn ein Volksentscheid über die geplante Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ist schließlich wirksamer und entspricht dem Volkswillen eher als eine Unterschriftenaktion.

Prompt kommt auch die Ablehnung der Christdemokraten. Denn hierzu müsse die Verfassung geändert werden und, die Union ist, so Jürgen Rüttgers, gegen die Einführung von plebiszitären Elementen. Schily hatte die Union aufgefordert, mit den Grünen und der SPD zusammen eine Verfassungsänderung herbeizuführen, statt Unterschriften zu sammeln.

Doch auch Joschka Fischer ist nicht mehr uneingeschränkt für Plebiszite. Die nach der Koalitionsvereinbarung geplante Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene sollte nach Ansicht des Bundesaußenministers erst einmal zurückgestellt werden. Die Bundesregierung müsse hier ihre Prioritäten setzen, meinte Fischer in einen Interview mit der Woche. Hinsichtlich der Kontroversen in der Union zu dieser Frage ist Fischer der Ansicht, daß dies in deren Reihen zu einer neuen Nachdenklichkeit führe. Wichtig sei hier die Unterscheidung, ob Plebiszite der Minderheit helfen sollen, ihre Ansichten mehrheitsfähig zu machen, oder ob es der Mehrheit diene, den Status Quo in einer politischen Frage zu erhalten. Grundsätzlich blieben die Grünen jedoch bei ihrer Forderung aus dem Koalitionspapier, wie aus der Pressestelle von Bündnis90/Die Grünen zu erfahren war.

Innerhalb der Union wird hingegen heftig gestritten, besonders in der CSU. Der Fraktionschef im bayerischen Landtag, Alois Glück, warf Innenminister Günter Beckstein in einem Brief den Bruch der Kreuther Absprachen vor. Überrascht habe dieser zur Kenntnis genommen, daß Beckstein für Plebiszite auf Bundesebene eintrete. Doch steht Beckstein mit seiner Sympathie für einen Volksentscheid nicht alleine da. Auch CSU-Parteichef Edmund Stoiber bekundete seine Neigung, plebiszitäre Elementen in die bundesdeutschen Verfassung aufzunehmen.

Auch der Verein "Mehr Demokratie" will in den kommenden Monaten verstärkt auf die Einführung bundesweiter Volksentscheide drängen. Die neue Vorstandsprecherin Claudine Nierth forderte am Montag in Hamburg einen Abschluß der Beratungen über einen Gesetzesvorschlag. Diese Initiative soll bis zum Jahr 2001 gestartet werden, wenn die Regierungsparteien nicht etwas Konkretes zur Umsetzung ihrer Koalitionsvereinbarung unternommen hätten. "Mehr Demokratie" will dann in einer Volksinitiative Abstimmungsunterlagen an alle Bürger verschicken. Ziel sei eine Volksabstimmung über den Volksentscheid. Alle Fragen, die der Bundestag behandelt, sollen auch per Volksentscheid bestimmt werden können, so Frau Nierth.

Für die Republikaner offenbart sich in der Unterschriftenaktion der CDU eine Scheinheiligkeit. Einerseits frage man die Bürger um ihre Meinung, andererseits halte man ihnen die Möglichkeit zur Entscheidung jedoch vor. Rolf Schlierer, der Vorsitzende der Republikaner, plädiert dafür, daß die CDU zusammen mit der SPD einen Volksentscheid ermöglichen solle. Auf diese Weise würden Forderungen erfüllt, welche die Republikaner schon im Zuge der Euro-Einführung erhoben hätten.

Unterdessen sehen sich die Unionsparteien bei ihrer Unterschriftenaktion mit heftigen Protesten und Ausschreitungen konfrontiert. In mehreren Städten wurden Stände mit den Listen attakiert und umgestoßen, CDU-Mitglieder bedroht und angegriffen, so der Pressesprecher in der CDU-Bundesgeschäftsstelle in Bonn, Ralf Weidner, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

In Hamburg hatten etwa 30 Linksradikale einen Tisch umgeworfen und die Listen zerrissen. Auch in Darmstadt kam es vereinzelt zu Rempeleien. In Berlin wurden gleich in mehreren Bezirken Handgreiflichkeiten und Übergriffe gemeldet. In Frankfurt am Main demonstrierten etwa 200 Menschen gegen die Unterschriftenaktion. Auch die Polizei meldete mehrere Verletzte. Randalierer bewarfen die Unterschriftensammler mit Eiern und Farbbeuteln; auch die Sicherheitskräfte wurden attackiert und mußten 21 der Störer festnehmen.

Die Grünen übten bei ihrem kleinen Parteitag heftige Kritik an der Union. Jürgen Trittin machte die CDU/CSU mitverantwortlich für die Brandanschläge von Solingen und Mölln, da die Union auch durch ihre Aktionen zur Asylproblematik das Klima vergiftet hätte. "Am Ende dieser Kampagne stand der Mord und Brandanschlag von Solingen", so Trittin. Die Vostandssprecherin der Bündnisgrünen, Antje Radke, unterstellte der Union eine "Ausländer-Raus-Mentalität".

CDU-Generalsekretärin Angela Merkel verteidigte die Kampagne auf dem CDU-Landesparteitag in Berlin. Die generelle doppelte Staatsbürgerschaft sei das falsche Mittel zur Integration. Die Angriffe der Grünen seien unvernünftig. Zudem spreche sich die große Mehrheit der Bevölkerung klar gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aus. Zufrieden zeigt sich die Union denn auch mit dem Stand ihrer Unterschriftensammlung. In Hessen hat die CDU nach eigenen Angaben bisher 150.000. Unterschriften gesammelt. Dies veranlaßte Roland Koch zu der Forderung an Gerhard Schröder: "Machen Sie Schluß mit der gegen die überwältigende Mehrheit des Volkes gerichteten Politik."

Dessen ungeachtet fordert der Interkulturelle Rat in Deutschland in einem Aufruf die Union dazu auf, die Unterschriftenaktion zu beenden, da diese "fremdenfeindliche Vorurteile" verstärke. Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehören der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dieter Schulte.


 
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