© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Union: Die Doppelte Staatsbürgerschaft wird für Schäuble zum Fallstrick
CDU vor der Spaltung
Hans-Georg Münster

Rechts von der Union darf es dauerhaft keine demokratisch legitimierte Kraft geben." Kaum hatte CDU-Chef Wolfgang Schäuble zur Eröffnung seiner Pressekonferenz über die Strategieklausur der Schwesterparteien Luft geholt, da rutschte ihm wieder dieser wunderschöne Satz aus dem Mund. Wie üblich vergaß Schäuble den Nachsatz von Franz Josef Strauß, der diesen Grundsatz aufgestellt hatte: FJS hatte vorsorglich darauf hingewiesen, daß sich seine Doktrin nur werde durchhalten lassen, solange kein charismatischer Politiker rechts von dieser Union auftrete.

Strauß ist zehn Jahre tot, der Charismatiker von rechts bisher nicht aufgetaucht. Aber die Union hat auch keine Galionsfiguren mehr, vielleicht wird aus Stoiber wieder eine. In dieser bürgerlichen Tristesse hat die CDU offenbar keine anderen Sorgen, als daß rechts von ihr etwas wachsen könne. BRD-verbunden bis zum eigenen Untergang, verzichtet die CDU nicht nur auf potentielle Bündnispartner, sondern auch auf Konkurrenz, die das bürgerliche Lager mit neuen Ideen beflügeln und zum geistigen Diskurs ermutigen könnte. Dabei hat Schäuble noch nicht begriffen, daß seine Wunsch-BRD genauso untergegangen ist wie einst die DDR.

Schäuble hat eigentlich gar nichts begriffen. Immer noch verkündet er die Theorie, die Union könne wieder Mehrheiten bekommen. Das gilt sicherlich noch für die CSU; die Bayern überstanden 1989 bisher unbeschadet. Ungebrochen herrscht das "Mir-san-mir"-Gefühl. Mut macht dem CDU-Vorsitzenden der Verlauf der Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.

Und wieder einmal merkt Schäuble nicht, daß er Geister auf den Plan ruft, die er möglicherweise nicht mehr los wird. Es geht wohlgemerkt nicht um ein paar Rechtsaußen, die auch gerne Unterschriften sammeln. Nein, es ist das Plebiszit, das sich hier einen Weg durch das Dickicht Bonner Verfilzung bahnen könnte. Die Bürger, in ihrer überwiegenden Mehrheit gegen den Doppel-Paß, werden zu Hunderttausenden unterschreiben. Sie könnten auf den Geschmack kommen und verstärkt fragen, warum sie Bedeutungsvolles nicht direkt selber entscheiden dürfen. Hier knickt Schäuble dann wieder ein. Eine Volksabstimmung lehnt er ab, das CDU-Präsidium genauso, obwohl Innenminister Otto Schily (SPD) den Schwarzen das Plebiszit bereits angeboten hat. Aber eher trinkt der Teufel Weihwasser, als daß der CDU-Chef das Volk befragen würde.

Bei der doppelten Staatsbürgerschaft herrscht heilloses Durcheinander: In der Bonner Fraktion kam ein Gegenantrag auf den Tisch. Ziel war, ausländischen Kindern automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft zu geben. Mit 18 Jahren sollten sie sich dann entscheiden, ob sie Deutscher oder Ausländer sein wollen. Abgesehen davon, daß die Verfassung aus guten Gründen verbieten würde, Entscheidungsunwilligen die deutsche Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen, hat Stoiber recht: Dieser Antrag, der beinahe eine Zufallsmehrheit gefunden hätte, bedeutet die doppelte Staatsbürgerschaft durch die Hintertür.

Und es waren nicht nur "die üblichen Verdächtigen" (Süssmuth, Geißler), die sich für den Gegenantrag stark machten. CDU-Vize Volker Rühe glaubt, mit SPD-nahen Vorstellungen noch mehr Wähler in Schleswig-Holstein gewinnen zu können. Und auch Generalsekretärin Angela Merkel will ihre Kampagne zum Parteiaufbau-Ost mit der doppelten Staatsbürgerschaft auf Touren bringen. Wenn man es genau betrachtet, ist Schäuble von Präsidialen umgeben, die voller Zweifel sind, ob sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, den Parteitext zu unterschreiben. Nicht mehr lange, dann zweifeln sie auch an ihrem Chef. Zerknirscht forderte Schäuble von den Abweichlern eine "gewisse Zurückhaltung". Erbost über die Entwicklung, die seinen "Sturm auf Berlin" lange Jahre unmöglich machen könnte, polterte Stoiber auf der Klausurtagung gegen doppelte Staatsbürgerschaften in allen Varianten.

Das Alpengrollen wird nicht lange wirken. Die Gründe des Streits lägen viel tiefer, orakelte bereits die FAZ, ohne sie zu nennen. Vielleicht kommt in Betracht, daß nach dem Brechen der Klammer Helmut Kohl in der CDU Zentrifugalkräfte ihr Wirken wieder beginnen. Im Rheinland ist nicht zu übersehen, daß linkskatholische und Zentrums-Traditionen das Denken in CDU-Vorständen bestimmen. Herz-Jesu-Marxisten wie Nobert Blüm sind hier verwurzelt. Im nordrhein-westfälischen CDU-Verband ist die Unterschriftenaktion auch besonders umstritten.

Keine 100 Tage nach dem Bonner Wechsel werden in der CDU Risse sichtbar. Vielleicht kann Schäuble den Riß wieder kitten. Doch die CDU ist morsch. Beim nächsten Mal sind es zwei Risse, dann drei, und schließlich könnte die Partei implodieren. Neues wächst dann von allein.


 
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