© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/99 22. Januar 1999


Literatur: Theodor Fontane und seine Kriegsbücher
Poetische Momente
Burkhart Berthold

Alle lieben Fontane, und alle haben recht. Seine feine Ironie und seine heitere Resignation werden von jedem gerühmt, der nicht gerade eine Überdosis von "Stechlin", "Petöfy" und "Unwiederbringlich" zu sich genommen hat. Aber Fontane kann auch anders: In seinen Kriegsbüchern wird geschossen und gestürmt, gestorben und gerühmt wie beim alten Fritz selig, und genau darum geht es auch Fontane: Er sucht den Geist des alten Preußens in den Trivialitäten seiner Zeit – und er findet ihn.

Fontane hat die drei Kriege Preußens gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71) beschrieben. Dabei konnte er mit Bismarck kaum Schritt halten. Im April 1866 widmete Fontane ein druckfrisches Exemplar des "Schleswigholsteinischen Krieges" dem Prinzen Friedrich Karl – gerade rechtzeitig, daß dieser es in sein Marschgepäck für Königgrätz hätte stecken können –, und bis Fontane mit den Österreichern fertig ist (1871), steht Moltke längst in Paris. Die Preußen schießen nicht nur schneller, als die Österreicher laufen, sondern auch schneller als Fontane schreibt – darunter leidet der Verkaufserfolg.

Um Fontanes Spekulationen auf einen solchen Verkaufserfolg kreisen die Erklärungsversuche all derer, denen dieser kriegerische Mann peinlich ist. Immerhin hat er nicht weniger als zwölf Jahre seines Lebens der überaus sorgfältigen Arbeit an seinen Kriegsbüchern gewidmet, die biographisch zwischen seiner Balladenzeit und seiner Roman-epoche stehen, und der Tenor dieser Bücher ist durch und durch patriotisch: Gewiß beklagt er die Opfer, gewiß achtet er die Gegner, aber keinen Zweifel läßt er daran, daß es, wenn schon nicht süß, so doch ehrenvoll sei, für das Vaterland zu sterben. Selbstverständlich befindet sich seiner Meinung nach Preußen bei allen drei Kriegen im Recht, und wenn er Auftritte von König Wilhelm beschreibt, fehlt es nie an Soldaten, die ihm huldigen.

Fontanes Methode in diesen drei Büchern ist immer dieselbe und immer klar gegliedert: Lage – Auftrag – Durchführung, und dies unter besonderer Berücksichtigung "poetischer Momente", wie er es nennt: Wenn etwa eine Regimentsfahne beim Sturmangriff von Hand zu Hand geht, bis irgendein Musketier sie dort aufpflanzt, wo sie hingehört, in der eroberten Stellung des Feindes, wenn ein Leutnant im Straßenkampf vor Paris einen anderen um Feuer für seine Zigarre bittet (und im nächsten Moment fällt), wenn ein Kommandeur den Säbel zieht und sein Bataillon tambour battant über den deckungslosen Acker führt – dann spürt der Leser, wie Fontanes Herz aufgeht: Vom Feld der Ehre sagt er nie, es wäre ein allzu weites.

Statt dessen skizziert er alle Generäle, deren er habhaft werden konnte, beschreibt das Vorgehen der Einheiten wie ein Taktiklehrer und das Gelände wie ein Landschaftsmaler. Hier entstehen dichte Bilder, die allenfalls unter ihrer Häufigkeit leiden: 190 Seiten Sedan und 200 Seiten Königgrätz sind nicht jedermanns Sache. Aber die "poetischen Momente" liegen ihm am Herzen, denn in ihnen sieht er das Geschehen gleichnishaft konzentriert. Er will eben mehr sein als ein Taktiklehrer, er will das Geschehen auf die Höhe des Begriffs bringen, und dieser Begriff soll erstens anschaulich und zweitens spannend sein.

Mitunter erkennt er den "poetischen Moment" in Begebenheiten, die so seltsam sind wie der letzte Kampf des (bayerischen) Hauptmannes Thoma und seiner Männer auf dem Friedhof von Bad Kissingen: Dort wehren sie sich beinahe buchstäblich bis zum letzten Mann gegen eine preußische Übermacht – eine Woche nach der Entscheidung von Königgrätz, also längst nach Ladenschluß. Der kleine dicke Thoma ("embonpoint, lebhaft und tapfer", schreibt Fontane) schlägt sich mit einem Heldenmut, den Fontane zwischen den Zeilen für zwecklos, nicht aber für sinnlos hält. Thoma fällt, ein unglücklicher Kamerad des braven Hauptmann Tuschin, wie Tolstoi ihn geschaffen hat: Ein sehr poetischer Moment.

Was der Leser über all diese Schilderungen vermissen könnte, wäre militärische Kritik. Nicht, daß Fontane sich für inkompetent gehalten hätte: Voll Stolz verweist er auf den Sachverstand, den er sich in all den Jahren des Quellenstudiums erworben habe. Aber ob General von Steinmetz, ein Art Blücher redivivus, seine Männer mit mehr Energie als Umsicht in die Schlacht schickte (1866 erfolgreich, 1870 vor allem verlustreich), oder ob die preußische Garde ohne ausreichende Artillerienunterstützung und ohne Koordinierung mit den herannahenden Sachsen auf St. Privat angesetzt wird – für Fontane muß auf eine beinahe irritierende Weise Kritik nicht sein. Gerade der Sturmangriff auf St. Privat – über zwei Kilometer deckungsloses Gelände gegen ausgebaute Stellungen vorgetragen – wird zu einer Art Ehrensache erklärt: Sachlich sei der Angriff in dieser Hast nicht notwendig gewesen, aber für die preußische Garde könne es eben kein Warten auf Verstärkung geben. Bei der Beschreibung dieses Kampfes geht es ihm ausschließlich um die Tapferkeit der Soldaten; ihr Kommandierender General wird nach Sedan geradezu sympathisch, als er die kapitulierenden Franzosen mit einer Parade ehrt.

Ausgesprochen scharfe Kritik findet sich nur einmal in den rund 2.000 Seiten der drei Bücher, und zwar bei der Schilderung eines Sturmangriffs gegen Ende des 64er Krieges: Ein Oberst Beck führt seine Dänen bei Lundby in das Schnellfeuer preußischer Zündnadelgewehre. Das, meint Fontane, sei eine unnütze Schlächterei gewesen – aber seine Abscheu richtet sich eher gegen "die Perfektion der Technik" als gegen den ungestümen Oberst. Fontane erweist sich hier als ein vielschichtiger Charakter: Als Patriot begrüßt er den Sieg der Preußen, als Kriegsgeschichtler kritisiert er die Kurzsichtigkeit des dänischem Kommandeurs, als humaner Geist aber schaudert ihm bei dem Masaker, das überlegene Waffentechnik unter tapferen Soldaten anrichtet. Ähnliche Abscheu erregen ihm erst wieder die Greuel des Partisanenkampfes und der Partisanenbekämpfung in Frankreich während des Winters 1870/71.

Fontanes Kriegsbücher sind anschaulich und präzis, ungemein reich an Details, wohlversehen mit taktischen Karten und von einer Fairneß, die hervorzuheben niemand vergißt, der sich ihnen nähert: Dabei ist dieser Anstand gegenüber den Besiegten eine im königlichen Preußen verbreitete Haltung. Fontane zitiert das Schreiben König Wilhelms nach Sedan, das an Achtung vor dem geschlagenen Feind nicht zu übertreffen ist. Man kann sich mit Fontane heute noch auf die Reise begeben, autour de ma chambre oder draußen auf dem Acker.

Das Schlachtfeld von Königgrätz hat sich kaum verändert und das Restaurant Bohemia am Marktplatz von Horice (der Ort, in dem Bismarck nach der Schlacht übernachtete), gleich neben der Polizeistation, bietet sich zur Abschlußbesprechung bei böhmischen Knödeln und Bier hervorragend an. Gerhard Friedrich hat in "Fontanes preußische Welt" (Herford 1988) den Militärschriftsteller Fontane glänzend gewürdigt, und selbst Gordon Craigs brauchbares Königgrätz-Buch lebt nicht zuletzt von Fontanes unermüdlicher Quellenarbeit.

Das Problem ist nur, an die Bücher heranzukommen: Der 70er Krieg ist lieferbar bei Manesse, in Leinen wie in Leder, alles andere geistert nur noch durch die Antiquariate.


 
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