© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/99 22. Januar 1999


Atomausstieg: Betriebsräte wehren sich gegen den "Rauskauf"
Unsolidarisches Verhalten
Ines Steding

Die Grünen behaupten, die Deutschen seien mehrheitlich für einen Ausstieg aus der Atomenergie, und hier wie bei so vielem leiten sie aus einer unterstellten Stimmungslage fundamentale politische Schlußfolgerungen ab. Eine völlig andere Position zur rot-grünen Energiepolitik nehmen hingegen die gewählten Arbeitnehmervertreter der von Schließung bedrohten Kernkraftwerke (KKWs) ein. Die beiden Betriebsratvorsitzenden Jürgen Grieger von der Hamburgischen Electricitäts-Werke AG (HEW) und Alwin Fitting von RWE zeigten sich in einem Gespräch mit der Presse in Bonn, organisiert vom unternehmernahen "Informationskreis Kernenergie", besorgt über die anläßlich der Konsensgespräche in immer neuen Varianten kursierenden Aussteigeszenarien.

Indes, sowohl Grieger, in den KKWs Krümmel und Brunsbüttel zum Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats gewählt, als auch Fitting, der dem Betriebsrat von Biblis Block A und B vorsteht, bejahten nur bis zu einem gewissen Grade einen Interessengleichklang mit dem Unternehmerlager: Im Vordergrund stehen für sie der Erhalt heimischer Arbeitsplätze in einem bis dato lukrativen Wirtschaftsbereich, während die Vorstände der Energieversorgungsunternehmen sich nötigenfalls, gegen entsprechende Entschädigungszahlungen, einer Aufgabe der Anlagen nicht verschließen würde.

Ein solcher "Rauskauf" setzte allein nach konservativen Schätzungen 40.000 Arbeitsplätze aufs Spiel. Dabei zählen zum Kernbestand die etwa 10.000 Stellen in den KKWs und hinzu kommen 30.000 Stellen in der Zulieferindustrie. Keine Illusionen ließen die Arbeitnehmervertreter darüber aufkommen, daß auch nur annähernd ausreichend Ersatzarbeitsplätze mit ähnlichem Qualitätsprofil zu finden sind, vielmehr erklärten sie das Zauberwort "Konversion" zur begrifflichen Schimäre. Als Gewinner, machten Grieger wie Fitting das benachbarte Ausland, u.a. Frankreich, aus, das einen Zuwachs an Investitionen und Arbeitsplätzen zu gewärtigen hätte, um für anstehende Energieexporte nach Deutschland gerüstet zu sein. Diese desolaten Zukunftsaussichten gehen nicht spurlos an den Mitarbeitern der KKWs vorüber: Nicht nur, daß niemand nachvollziehen kann, warum in Europa so verschiedene Maßstäbe angelegt werden. Überdrüssig sind die Kraftwerker auch der andauernden öffentlichen Verfemung der KKWs "als Sicherheitsrisiko", was völlig ausblende, daß diese Anlagen mit ausgefeilter Technik und einem engen Netz gesetzlich dekretierter Vorstandsmaßnahmen betrieben werden.

Und obwohl HEW und RWE weiterhin ausbildeten und einstellten, meinte Fitting, daß neue Arbeitsverträge kaum noch zu verantworten seien, wenn absehbar Gespräche über Sozialpläne begännen. Im übrigen machte er auf einen besonderen Aspekt aufmerksam: Nach dem Atomgesetz müssen die KKWs in regelmäßigen Abständen für etwa zwei Monate vom Netz gehen, um gründlich überprüft zu werden. Die danach nötige "Anfahrgenehmigung" erteilt der Umweltminister des jeweiligen Bundeslandes. Letztere wurde jedoch, im Hinblick auf die lange Laufzeit des ansonsten funktionstüchtigen Block A vom KKW Biblis durch den zuständigen hessischen Umweltminister noch nie erteilt, so daß die Inbetriebnahme stets der Bundesminister anwies. Wenn im Mai dieses Spiel wieder ansteht, rechnet der Betriebsratvorsitzende nicht mehr auf Schützenhilfe aus Bonn. Freilich, nach den hessischen Landtagtswahlen im Februar könnte sich unter einer CDU-Regierung das Kräfteverhältnis wieder zu Gunsten von Block A Biblis wenden...


 
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